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"Empfindung verschleudert": Paul Schmitz alias Dominik Müller
Nur zwei Jahre Pensions-Ehre für Fröntler-Dichter Dominik Müller
Wie sich der grosse Basler Mundart-Poet mit bürgerlichem Namen Paul Schmitz seine Sympathien verspielte
Von Christof Wamister
Der Grosse Rat und der Regierungsrat von Basel-Stadt entzogen 1939 dem Satiriker und Mundartdichter Dominik Müller die Staatspension, weil er in einem Gedichtband Sympathien für die Frontisten und das Dritte Reich offenbart hatte. Unbekannt war bis jetzt aber, wie Paul Schmitz – so sein bürgerlicher Name – überhaupt in den Genuss dieser Pension gelangt war.
Es gschbängschtet
In unserem freie Bürgerschtaat
- s waiss Kaine rächt worum -
Het Aine vor em Andere-n-Angscht,
Tschyssangscht* goht bynis um.
Und reede Zwai en offe Wort,
so luege si zerscht sich um,
Ob Kaine niene naime loost -
Tschyssangscht goht bynis um.
I waiss e wärti Redaktion,
witt si got luege? Kumm!
De gsehsch er es vo Wytem aa:
Tschyssangscht goht bynis um.
Mer händ kai Keenig und kai Baabscht
Und doch - `s isch kaibedumm:
Es zidderet alles vor enand -
Tschyssangscht goht bynis um.
Si isch`s, wo d`Lyt bi uns regiert
Und macht so Mängge schtumm,
Bym glaine Ma und grosse Heer
-Goht Tschyssangscht, Tschyssangscht um.
Dominik Müller (1871-1953) ist nach Hebel Basels bedeutendster Dialektdichter. Er schrieb auch Theaterstücke, Erzählungen, Satiren, Glossen und beherrschte virtuos den hochdeutschen Hexameter. Doch seine Bücher finden sich nur noch in Antiquariaten, darunter immerhin auch eine gut zusammengestellte Anthologie von 1985 mit einem Nachwort von Fridolin Leuzinger, in dem leider Fakten und Deutungen durcheinander gewirbelt werden.
Kein Nazi, aber Sympathisant
Vergessen ist Dominik Müller nicht ganz. Liebhaber des Genres lesen ab und zu noch in seinen Bänden und sagen: "Das ist ja hervorragend. Schade, dass er ein Nazi war." Im Unterschied zu Jakob Schaffner (1875-1944) war er das nicht wirklich. Aber der unverbesserliche Reaktionär und Querschläger veröffentlichte am Jahresanfang 1939 einen Band mit Gedichten, in denen er gewisse Sympathien für das Dritte Reich und die Schweizer Fronten bekundete.
Das löste Empörung aus, und war für den Autor verhängnisvoll. Denn Paul Schmitz, wie er mit bürgerlichem Namen hiess, war erst zwei Jahre vorher in den Genuss einer ausserordentlichen Staats-Pension für seine dichterischen Verdienste gekommen. Der Grosse Rat strich ihm diese Pension darauf auf Antrag des Regierungsrates.
Leichtfertig verscherzte Staats-Pension
Mit seiner Buchpublikation hab er sich seine Pension "leichtfertig" verscherzt, warf ihm sein Freund und Gönner Adolf Zinsstag vor. Schmitz verteidigte sich im Antwortbrief: "Ich konnte damals doch unmöglich denken, dass die Regierung so erbärmlich und feig sein werde, sich von meinen Feinden dermassen beeinflussen zu lassen, dass sie meine freien Meinungsäusserungen mit meinem wirtschaftlichen Ruin bestrafen werde."
Dazu ist allerdings zu sagen, dass Müllers Buch nicht verboten wurde, wie es ein Jahr später auf Grund der Zensurmassnahmen möglich gewesen wäre. Er wurde für die Veröffentlichung auf eine andere Weise bestraft – eben durch Entzug der Rente aus der Staatskasse. Das hinterlässt einerseits einen unguten Nachgeschmack, auch wenn der Entscheid der trotzig-anitfaschistischen Volksstimmung jener Zeit durchaus entsprach. Dominik Müllers Berufung auf die freie Meinungsäusserung erscheint in diesem Kontext anderseits als etwas gewollt naiv.
Krach mit den besten Freunden
Feinde hatte Paul Schmitz alias Dominik Müller zur Genüge. Er konnte sich keine Bosheit verkneifen und verdarb es sich mit den besten Freunden. Seinen wirtschaftlichen Ruin hatte er schon lange selber herbeigeführt. Überleben konnten er und seinen Familie nur dank dem Freundeskreis um den Goldschmied und Musiker Adolf Zinsstag, der für ihn Geld sammelte, ihm (ungeliebte) Stellen vermittelte und letzten Endes 1937 die Staats-Pension verschaffte. Es wurde ihm nicht ganz zu Unrecht vorgeworfen, er beisse die Hand, die ihn füttere. "Beobachter"-Herausgeber Max Ras bezeichnete ihn deswegen in einem Brief an Felix Moeschlin schlicht als "Charakterlump". Ras hatte Dominik Müller in den Anfangsjahren des "Beobacher" als Redaktor beschäftigt, sich aber bald mit ihm zerstritten.
Schmitz litt unter der Situation, von andern abhängig zu sein. Seine publizistischen Fehltritte waren auch Abwehrreflexe dagegen. Sein immer wieder hervorbrechender Antisemitismus soll deswegen nicht verharmlost werden. Aber dieser spielte in der Affäre von 1939 kaum eine Rolle. Der Verfasser wurde nicht wegen antijüdischen, sondern wegen antischweizerischen Auslassungen sanktioniert. Das belegt die Aufzählung der Anstoss erregenden Gedichte durch die Basler Regierung.
Dialog mit dem jüngeren Ich
Mit seinen Boshaftigkeiten und politischen Attacken überdeckte PaulSchmitz/Dominik Müller, dass er im Grund ein unglücklicher, hypochondrischer und an sich selbst zweifelnder Mensch war. "Leider bin ich viel trockener und innerlich nicht so reich, wie sie sich mich vorstellen", schrieb er Adolf Zinsstag 1919. "Zu viel Empfindung habe ich ans Leben verschleudert und so hab ich künstlerisch und menschlich nicht erreicht, was ich vielleicht hätte können."
Schon 1911, zu seiner besten Zeit, als seine Gedichte und Glossen in der von ihm mitherausgegebenen Zeitschrift "Der Samstag" Furore machten, hatte er ein grüblerisches Gedicht veröffentlicht, einen Dialog zwischen sich und einem jungen Mann, der niemand anders ist als sein jüngeres Ich. Der unheimliche Besucher spricht folgendes:
Ists möglich, du bist Ich in zwanzig Jahren?
Philister Du, mit Deinen zwanzig Haaren,
der da in seinem Nest zufrieden hockt
und Zwieback in den Bürgerkaffee brockt!
Ist dies das Ende meiner kühnsten Träume?
Schweif darum ich durch alle Himmelsräume,
um eines Tages derart zu verdumpfen
und zum Lokalpoetlein einzuschrumpfen,
das schamlos und verächtlich sich ernährt
von dem, was seine Muse ihm gewährt?
Die Hassliebe zur Vaterstadt
Dominik Müller hegte eine lebenslange Hassliebe zu seiner Vaterstadt, in die er 1902 nach Aufenthalten in Russland und Spanien zurückgekehrt war. Seine Russlandjahre als bald gescheiterter Familienvater und Gutsbesitzer stellte er später verschlüsselt im Roman "Felix Grollimunds russisches Abenteuer" dar. Der Ich-Erzähler schildert im zweiten Teil des Roman unter anderem, wie ihm ein Basler Studienkollege die russische Ehefrau ausspannte, was Vorgängen im realen Leben des Paul Schmitz entspricht. Nach einem unangenehmen Scheidungsprozess in der Schweiz zog er nach Madrid, wo er sich als Deutschlehrer und Journalist durchschlug und eine fast lebenslange Freundschaft mit dem spanischen Schriftsteller Pio Baroja (1872-1956) schloss.
Baroja ist im deutschen Sprachraum nicht sehr bekannt, aber in Spanien gehört er zu den modernen Klassikern. Auf der Flucht vor dem Spanischen Bürgerkrieg lebte Baroja 1937 während drei Monaten als Gast von Paul Schmitz/Dominik Müller in dessen Haus auf der Bottminger Seite des Bruderholz. Baroja widmete in seinen Memoiren diesem Aufenthalt ein eigenes Kapitel. Darin zeigte er sich als eigenwilliger Beobachter von baslerischen und schweizerischen Zuständen.
Auszug ins Zürcher Exil
1940 zog Paul Schmitz von Basel weg und wohnte mit seiner zweiten Ehefrau, wieder einer Russin, in ärmlichen Verhältnissen zuerst in Zürich und dann in Üerikon bei Stäfa, wo er 1953 starb. Obwohl die Schweizer Literatur der ersten Hälfte des Zwanzigsten Jahrhunderts seit den siebziger Jahren wiederentdeckt und erforscht wurde, machten die Literaturhistoriker einen grossen Bogen um Dominik Müller. Die bisherigen Angaben zu seiner Biographie, darunter – wegen der Beziehung zu Baroja – sogar eine spanische Wikipedia-Seite, enthalten viele Fehler und sind lückenhaft. Doch wer sich mit der Basler Geistesgeschichte jener Zeit befasst, dem erscheint er immer wieder – wie die unheimlichen Besucher in einigen seiner Gedichte.
Der Autor hat die "Fakten im Fall Paul Schmitz" aufgrund der Akten und Nachlässe in einem biographischen Aufsatz dargestellt (Basler Zeitschrift für Geschichte und Altertumskunde 2011).
* Tschyssangscht: Dominik Müller experimentierte noch etwas mit der Dialektschreibung. Heute würde man schreiben: „d Schyssangscht“, oder gemäss dem neuen Baseldeutsch Wörterbuch: „d Schissangst“, auf hochdeutsch: Scheissangst; eine in der Mundartlyrik vor 1914 ungewohnte Derbheit.
4. Januar 2012
"Diskussion beendet"
Wir hatten einen Lehrer in der Primarschule in Riehen (meine Anwesenheit 1940 bis 1944), der las uns Gedichte von Dominik Müller vor. Ich war begeistert und erzählte dies am Mittagstisch. Mein Vater (Gfreyte Schütze 5) bemerkte: E Schwob und e Nazi!. Damit war die Diskussion beendet.
Jan Krieger, Basel
"Eine interessante Entdeckung"
Der Beitrag ist eine interessante Entdeckung, wie alle Artikel von Christof Wamister sehr gut recherchiert.
Helena Kanyar Becker, Basel