Sichuan : Scharf, schärfer. am schärfsten
Dass ich im kulinarischen Paradies auf Erden lebe, wissen die kochkundigen Leserinnen und Gourmet-Leser dieser "De Gustibus"-Kolumne längst. Aber die Vielfalt der regionalen chinesischen Küchen ist gross. So hat denn im Paradies durchaus noch dieses oder jenes Paradieschen Platz. Nach meinem ganz persönlichen Gustus ist weltweit die Küche der Provinz Sichuan die Krone der kulinarischen Schöpfung.
Das wesentlichste Merkmal der Sichuan-Küche ist Schärfe. Farbe, Aroma und Wohlgeschmack sind ebenfalls entscheidend. Dabei spielen Gewürze die Hauptrolle, allem voran der einheimische, in den Bergen wachsende Sichuan-Pfeffer. Dieser chinesische Blütenpfeffer, botanisch Zanthoxylum piperitim, ist – vorsichtig formuliert – beissend scharf. Nach Ernkenntnissen der chinesischen traditionellen Medizin soll der Blütenpfeffer den Körper gegen das extrem feuchte Dschungel-Wetter immunisieren.
Das zweite wichtige Gewürz der Sichuan-Küche kann man jeden Morgen in der Provinz-Hauptstadt Chengdu auf dem Engros-Gewürz-Markt in grossen Mengen bestaunen. In Säcken und Fässern warten die getrockneten roten Schoten auf Käufer. Die Schärfe der Sichuan-Küche ist schon seit zweitausend Jahren belegt. Chili-Schoten allerdings fanden erst nach der europäischen Wiederentdeckung Amerikas vor rund 500 Jahren den Weg nach China und machten die Sichuan-Küche noch schärfer. Sichuan-Küche ohne Chili ist heute nicht mehr denkbar.
Neben Pfeffer und Chili spielen auch Knoblauch, Ingwer, Sternanis, Frühlingszwiebeln, Salz, Essig, Soja-Sauce, gegorene Sojabohnen und Reiswein eine wichtige Rolle. Ja, und getrocknete Mandarinen-Schalen als Gewürz dürfen nicht vergessen werden. Scharf und farbig muss es also sein. Zu den Klassikern der Sichuan-Küche gehört zum Beispiel Mapo Doufu. Es ist gebratenes Doufu mit chinesischem Lauch und Gehacktem vom Schwein oder Huhn. Das Ganze scharf gewürzt natürlich. Mmhh!
Die feuerscharfe Suppe Suan La Tang, eine süsssaure Suppe, ist zusammen mit Thai-Suppen die beste auf der Welt. Sie enthält Eier, Fleisch, eingedicktes Geflügelblut, Essig, Sesamöl, Bambussprossen, Pilze, getrocknete Lilienknospen und – natürlich – nicht zu knapp rote Chilischoten und Sichuan-Pfeffer. Herrlich! Fliegende Händler in Sichuan verkaufen leckere Dandan Mian, Stangennudeln. An langen Stangen transportieren sie die aus Reis oder Weizen gefertigten Nudeln. Dazu gibt es eine mit Fisch, Fleisch und Doufu angereicherte Sauce. Deliziös! Die Liste herausragender Sichuan-Gerichte ist lang und könnte ein Buch füllen.
Nun liegt Sichuan nicht gleich neben Peking, sondern gut dreitausend Kilometer im Westen. Trotzdem ist die Küche Sichuans nah. Die chinesische Hauptstadt Peking zählt soviele Sichuan-Restaurants wie die Schweiz Pizzerias. Also sehr viele. Ich persönlich gehe seit Jahren ins "Chengdu", eine kleine, unscheinbare, bescheidene Beiz im Chaoyang-Distrikt, dem Zentrum des Pekinger Geschäftsviertels. Im Sommer sind sechs Tische unter drei Bäumen verteilt, im Winter acht Tische in einem Lokal, das eher als etwas bessere Bretterbude bezeichnet werden könnte. Das alles mitten in einem Wald von Wolkenkratzern aus Beton, Stahl und Glas.
Das Essen im "Chengdu" ist so lecker wie in Chengdu. Besitzer, Chef- und Alleinkoch Meng Xuping hat es vor zwanzig Jahren nach Peking verschlagen. Seither kocht er in einer winzig kleinen Küche alle Herrlichkeiten seiner Heimatprovinz. In Perfektion. Das kleine Restaurant ist rund ums Jahr jeden Abend voll besetzt. Reservation gibt es nicht, denn Meng braucht sein Handy nur privat und eine Website hält er – oh wie erfrischend – für sein Business für völlig überflüssig.
An einem heissen Juni-Abend habe ich Meng bei heimischem, köstlich kalten Yanxing-Bier gefragt, welches Rezept er denn für ein europäisches Publikum für besonders geeignet halte. Mit einer gebratenen Schweinelunge an pikanter Chili-Sauce, meinte Meng lachend, wollen wir in Europa niemanden erschrecken. Schade, finde ich, denn auch die Lunge a la Sichuanaise mundet köstlich.
Chefkoch Meng schlägt den im Ausland wohl bekanntesten Sichuan-Klassiker vor, Gongbao Jiding (Bild) nämlich, im Wok gebratene Hühnerfleischwürfel mit gerösteten Erdnüssen. Hier das Rezept. E Guete!
Gongbao Jiding
Zutaten:
• Hühnchen-Fleisch
• Geröstete Erdnüsse
• Rote Paprikaschoten
• Sichuan-Pfeffer
• Getrocknete Mandarinen-Schalen
• Frühlingszwiebeln.
• Ingwer
• Knoblauch
• Salz
• Sesamöl
• Soja-Sauce
• Reiswein
Zubereitung:
• In einem Mörser fein zerstossenen Sichuan-Pfeffer, Salz, Paprikaschoten, Ingwer, klein gehackte getrocknete Mandarinen-Schalen, Soja-Sauce, Frühlingszwiebeln und fein gehackter Knoblau mischen. Ein Schuss Reiswein dazu geben.
• Fein gewürfeltes Hühnchenfleisch dazu geben und zwei Stunden marinieren.
• In einen erhitzten Wok Sesamöl geben und die marinierte Masse zusammen mit den gerösteten Erdnüssen kurz anbraten, fortwährend wenden und drei bis fünf Minuten garen.
18. Juni 2012