... hier und dort: Angst vor China und Asien?
In der besten aller Welten lebe ich, fürwahr. Das neue Jahr kann gleich mehrfach gefeiert werden. Einmal hier, einmal dort, einmal kalt-eiskalt in Peking oder der Schweiz, ein andermal schön warm bis heiss in Nha Trang oder Hainan. Dank der wirtschaftlichen Globalisierung im Allgemeinen und der digitalen Globalisierung im Besonderen. Das westliche, weltweit begangene Neujahr also, dann Mitte Februar das chinesische Neujahr und das vietnamesische Tetfest mit dem Übergang vom Jahr des Ochsen zum Jahr des Tigers im Chinesischen. Angesichts der im Westen zunehmenden Skepsis, ja der medial verbreiteten Verteufelung der Globalisierung sind einige Anmerkungen fällig. Vogel Strauss hilft da nicht weiter.
Zeitpunkt und Standort sind günstig. Hier und dort, nicht wahr, zwischen zwei Neujahr-Übergängen, noch besser zwischen zwei Welten und schliesslich zwischen zwei Jahrzehnten im neuen Jahrhundert. Zunächst einmal ist Globalisierung entgegen dem, was Neunmalkluge dem Plebs vormachen, keineswegs etwas Neues. Eine erste Globalisierung gab es bereits vor gut zweitausend Jahren, als die chinesischen Han-Dynastie in der Hauptstadt Chang'an (heute Xi'an) über Zentralasien mit dem Mittelmeer und Rom erste Kontakte knüpfte. Mit der zweiten Globalisierung, das hiesst der "Entdeckung der Welt" vor fünfhundert Jahren begann der unaufhaltsame Aufstieg Europas und der langsame Niedergang der bislang führenden Macht China.
Nichts Neues also. Seit der Industriellen Revolution in England um 1750 haben unter dem Strich, bei aller noch vorhandenen Armut, alle profitiert.
Jetzt, am Anfang des 21. Jahrhunderts, mitten in der dritten Globalisierung wird vornehmlich in den westlichen Medien der "Aufstieg Chinas/Asiens" und der "Langsame Niedergang Europas/Amerikas" wortreich, nicht selten larmoyant und meist unberührt von Fakten beklagt. Das schlägt voll auf die Volksseele durch. Und wie! Dank medialer Globalisierung konnte ich mir fernab der mitteleuropäischen und der Pekinger Kälte – oh ja, per iPhone – die Neujahrsbotschaften von Budespräsidentin Doris Leuthardt und Chinas Staats- und Parteichef Hu Jintao zu Gemüte führen. Der Unterschied war eklatant. Hu, würdevoll dennoch aber locker, verbreitete vorsichtigen Optimismus. Leuthard hingegen gab die besorgte Landesmutter; würdevoll auch sie, doch ziemlich verkrampft, redete sie Miteidgenossen und Miteidgenossinnen ins Gewissen. Mit vorsichtigem Pessimismus sozusagen.
Die Bundesrätin brachte die Stimmung auf den Punkt. In vielen Medien wurde in Rückblick-Ausblick-Beiträgen zum anbrechenden neuen Jahrzehnt der Niedergang des Westens beklagt (Ausnahme: NZZ), kurz, das Zeitalter Chinas/Asiens sei definitiv angebrochen. So what?, könnte man auf Neudeutsch entspannt fragen. Ob dann dereinst das 21. Jahrhundert das Jahrhundert Asiens, Chinas oder Chindias werden wird, muss sich noch weisen. Seit Adam Smith, David Ricardo, Carlo Marx und Fritz Engels wissen wir ja, dass der real existierende Kapitalismus mit Welthandel und grenzenlosem Finanzmarkt kein Null-Summen-Spiel ist. Wenn klug reguliert wird (WHO, OECD und dergleichen), kommen am Schluss alle auf ihre Rechnung. Die Welt wird ganz einfach weiter, offener, durchlässiger – ein Trend, der seit Beginn der Industriellen Revolution vor über zweihundert Jahren zu beobachten ist.
Wir Schweizerinnen und Schweizer täten also gut daran, den internationalen Wettbewerb und die Offenheit der Welt als Chance und Gewinn zu verstehen, anstatt in wehleidiger Abwehrhaltung – notabene auf hohem Niveau – zu verharren. Auch hier wäre von der Vergangenheit zu lernen. Die Schweiz hat sich immer wieder neu erfunden. Und wie! Sonst wären wir auch am Anfang des zweiten Jahrzehnts des 21. Jahrhunderts nicht dort, wo wir sind, nämlich ganz an der Spitze. Nirgendwo in der Welt, auch nicht in Chindia, leben die Menschen auf einem derart hohen Niveau und nirgendwo ist die Innovationskraft so hoch.
Capito? Neujahrswunsch also beim Übergang vom Jahr des Ochsen zum Jahr des Tigers: weniger klagen. Von der Globalisierung profitieren alle. Im Westen und vorab in der Schweiz können wir auf eine aufgeklärte demokratische, transparente Zivilisation bauen mit verbrieften Bürger- und Freiheitsrechten. Die Herausforderung liegt nicht in Asien, sondern bei uns selbst.
18. Januar 2010
"Herrlich erfrischend"
Peter Achten ist für mich ohnehin ein Highlight auf OnlineReports. Und bei "... hier und dort: Angst vor China und Asien?" meine ich auch: Herrlich erfrischend, das Ganze aus einer weiteren Warte und vor allem gelassen und zuversichtlich zu betrachten, statt ständig Ängste und Sorgen zu schüren. Besten Dank!
Urs Lehmann, Basel
"Ach wie gut tut es doch"
Ach wie gut tut es doch, wieder einmal einen anderen Standpunkt zu lesen als das ewige professionelle Gejammer unserer hiesigen Meinungsmacher. Danke, Peter Achten und ein dreifaches guets Nöis.
Peter Ensner, Basel