Yonganli: Z'Morge-Brötchen mit Füllung
Zehntausende strömen jeden Morgen in die Innenstadt Pekings. Im überfüllten Bus, in der prallvollen, aber schnellen Untergrundbahn, im eigenen Auto im Verkehrsstau, bequem auf dem Fahrrad oder ebenfalls bequem, schnell, aber gefährlich und Umwelt zerstörend auf dem E-Bike beziehungsweise altdeutsch auf dem Elektro-Velo.
Wie immer im Menschengewühl der chinesischen Metropole gependelt wird, alle haben Hunger und müssen frühstücken. Das Pekinger Angebot ist wahrlich das Paradies auf Erden, insbesonderte dort im Zentralen Geschäftsviertel, das auf neuchinesisch Central Business District (CBD) heisst. Die Chinesinnen und Chinesen sind im Unterschied zu den Eidgenossinnen und Eidgenossen beim Essen sehr heikel und kritisch. Auf Auslandreisen vergehen keine zwei Tage, und schon wird das nagende Heimweh nach chinesischer Kost überwältigend: Reis, Nudeln, Gemüse, Schweinefleisch und Stäbchen. Bei Schweizer Ferienreisenden geht es nach meiner Beobachtung mindestens zehn Tage, bis die Lust nach Bratwurst, Wurstsalat, Rösti, Saucisson, Raclette oder Fondue sich meldet.
Die meisten Pekinger Berufstätigen frühstücken nicht zu Hause, weil sie der langen Pendlerzeiten wegen sehr, sehr früh aus den Federn müssen. Das Angebot ist dann bei der Ankunft downtown riesengros. Es gibt mittlerweile Bäckereien, die westlich backen. Auch Kaffees wie die weltbekannte Kette von der Ostküste Amerikas, die über hundert Filialen allein in Peking betreibt und wo die jungen, studierten, modernen Chinesinnen und Chinesen das schwarze Gebräu schlürfen und dazu teigig-fettige, aber sehr teure Croissants essen. Zudem herrscht Stille, denn fast alle sind dank WiFi mit dem Computer oder dem Handy beschäftigt.
Ihr Kolumnist und die grosse Mehrzahl der Pekinger freilich verpflegt sich traditionell, delikat und billig am Strassenrand. Von frittierten Teigstangen über mit Gemüse, Ei oder Schweinefleisch gefüllten Jiaozi (Ravioli) oder runden gefüllten Dampf-Krapfen Baozi bis hin zu Crêpes jeder Grösse und Machart, süss, sauer oder salzig. Grüner Tee wird dazu getrunken und meist ist auch leckere Soya-Milch erhältlich. Es gibt Tausende und Abertausende solcher Strassen-Imbissstände in der 20 Millionen Einwohner-Metropole. Die Konkurrenz in der "sozialistischen Marktwirtschaft chinesischer Prägung" ist deshalb auf der Strasse gross. Nur eben, der Frühstückshunger ist noch weit grösser, und so kommen schliesslich alle auf ihre Rechnung.
Acht Uhr früh, am Ausgang der Metro-Station Yonganli im CBD. Dort hat sich das Ehepaar Chen aus der Provinz Shaanxi mit einem auf einem Dreirad installierten Stand eingerichtet. Auf einer heissen Platte prutzeln Hühnchen- und Schweinefleisch-Spiesschen, auch fein geschnittene Wursträdchen. Die vorbereiteten runden Fladen-Brötchen liegen zur Warmhaltung auch auf der Platte. Rechts daneben ein Plastiksack mit frisch gewaschenen Salatblättern. Gleich daneben ein Gefäss mit der Pflaumensauce und eines mit scharfen, zerriebenen Sichuan-Pfefferschoten. Die Warteschlange ist lange, gut fünf Minuten braucht es, bis man zum Frühstück kommt. Das spricht für die Qualität der scharfen Brötchen. Kostenpunkt, je nach Füllung, zwei bis vier Yuan (umgerechnet 25 bis 50 Rappen).
Mit Ausnahme der Frühlingsfestes Ende Januar, anfangs Februar arbeitet das Ehepaar Chen das ganze Jahr über. Sieben Tage die Woche. In der drückenden Hitze im Sommer, in der klirrende Kälte im Winter. Bei Regen, Schnee und Sonnenschein. "Unser Sohn", meint Frau Chen (Bild) so typisch für China "muss mal eine gute Ausbildung haben, und das ist teuer geworden". Herr Chen hat zwar eine gute Ausbildung als Koch in einer gewerblichen Berufsschule absolviert, aber vermutlich ist auf der Strasse mehr zu verdienen. Wieviel – ich habe es aufgrund des Andrangs über Wochen hochgerechnet – das bleibt natürlich Geheimnis, denn vielleicht liest der Steuerbeamte des Pekinger Bezirkes Chaoyang OnlineReports. Man weiss ja nie.
Abends im bescheidenen Zuhause am Rande der Stadt bereiten die Chens den nächsten Tag vor. Teig für die Brötchen zubereiten, Fleisch und Wurst portionieren, Salat waschen, Soyamilch einkaufen. Vor Jahren, beim ersten Mal, sagte mir Frau Chen angesichts einer der raren westlichen Kunden unaufgefordert, die Hygiene sei hundertprozentig gewährleistet. Die Pekinger Gesundheitspolizei sei streng und gnadenlos. Nach jahrelangem Genuss jener leckeren Brötchen von Herr und Frauch Chen jedenfalls hatte ich noch nie auch nur im geringsten über ein Magen-Malaise zu klagen.
Und hier ist das Rezept – e Guete!!
Morgen-Brötchen mit Füllung
Zutaten:
• Mehl, dunkel wenn möglich
• Trockenhefe
• Wasser
• Eier
• Fein geschnittenes Hühnerfleisch
• Fein geschnittenes Schweinefleisch
• Wurst (in der Schweiz z.B. Cervelat oder Klöpfer)
• Grüne Salatblätter
• Sonnenblumenöl für die Pfanne und die Pfefferschoten-Paste
• Pflaumen und Soja-Sauce
• Salz
• Scharfe rote und grüne Sichuan-Pfefferschoten.
Zubereitung:
• Aus Wasser, Mehl und Trockenhefe einen Teig kneten. In der Pfanne vorbacken.
• Sauce: Pflaumen pürieren, mit Sojasauce vermengen.
• Pfefferschoten klein zerhacken, mit etwas Oel und ein paar Tropfen Essig vermengen.
• Hühner- und Schweinefleisch in dünne Scheibchen schneiden und an einem Holzstäbchen aufspiessen.
• Wurst in Scheibchen schneiden.
• Salat waschen und entblättern.
• Auf die heisse Kochscheibe oder in die Pfanne Fleisch, Wurst und die vorgebackenen Brötchen legen.
• Aus den Eiern ein Vorrat an Spiegeleiern anlegen. Neben der Kochscheibe warmhalten.
• Dann "von Frau Chen lernen": alles geht blitzschnell. In der rechten Hand hält sie, hygienisch eben, mit einem Plastiksäckchen das Brötchen, teilt es in der Mitte, bestreich es mit einem Pinsel mit Pflaumensauce und wers scharf will mit der Pfefferschoten-Paste. Danach das Spiegelei, Wurst oder Fleisch mit der Holzzange ins Brötchen, zuletzt ein Salatblatt, und fertig isch dr Z’morge.
19. September 2011