Bauer Li: Kartoffel süss zum Naschen
Er ist freundlich, lässt sich auch gerne fotografieren, doch einen Namen will er nicht nennen. Der Grund ist einfach, er hat kein Hukou – keine Aufenthaltsbewilligung – in der chinesischen Hauptstadt. Nennen wir ihn der Einfachheit halber Bauer Li. Er ist einer von geschätzten drei bis vier Millionen "Illegalen" in Peking, das heisst Chinesinnen und Chinesen, die auf Arbeitssuche in die Grossstädte des reichen Küstengürtels strömen. Der Traum von einem besseren Leben also. Unterdessen sind nach offiziellen Angaben 200 Millionen Chinesinnen und Chinesen als Wanderarbeiter im Riesenreich unterwegs. Einige legal mit Arbeitsverträgen, viele jedoch illegal auf eigene Faust.
Kurz vor Ende des Tiger-Jahres bin ich Bauer Li begegnet. Im Westen Pekings betreibt er seit seiner Ankunft vor sieben Monaten seinen mobilen Süsskartoffel-Stand. In Fahrrad und Heiztonnen-Seitenwagen hat er 1'050 Yuan oder umgerechnet 180 Franken investiert, eine ziemlich happige Summe für einen Migranten. "Aber", sagt Li, "es hat sich gelohnt". Seiner erweiterten Familie konnte er das vorgestreckte Geld bereits zurückzahlen. Zudem kann er jetzt als pietätvoller Sohn nach alter konfuzianischer Tradition seinen betagten Eltern monatlich 200 Yuan aufs weit entfernte Dorf überweisen. Li besuchte seine Eltern, so wie es der Brauch will am Frühlingsfest, dem chinesischen Neujahr. Es fiel diesmal nach dem Mondkalender auf den 4. Februar und markiert den Übergang vom Jahr des Tigers zum Jahr des Hasen.
Warum hat Li aber ausgerechnet Süsskartoffeln gewählt? Er hat den Tipp von einem "Landsmann" erhalten, das heisst die Wanderarbeiter leben in den Grossstädten fein säuberlich nach Provinzen getrennt eng beieinander, tauschen Informationen aus, kennen sich zum Teil bereits aus der Heimat, kurz: Es ist ein gut funktionierendes Netzwerk. Heisse Süsskartoffeln - das ist wie in der Schweiz heissi Marronni. Seit es im Oktober kühler geworden ist, und jetzt natürlich in der kältesten Jahreszeit bei Temperaturen weit unter Null, läuft das Geschäft besonders gut. An Wochenenden pedalt Bauer Li an den Hohai See nördlich der Verbotenen Stadt, wo Jung und Alt auf den zugefrorenen Seen Schlittschuh laufen. Hier verkaufen sich die heissen Süsskartoffeln – um im europäischen Sprachbild zu bleiben – wie frische Weggli, zum Preis von zwei bis dreieinhalb Yuan (30 bis 50 Rappen) pro Knolle.
Die Süsskartoffel ist eben – botanisch gesehen – keine Kartoffel, sondern verwandt mit der amerikanischen Knollenwinde, also eine Wurzelknolle oder im lateinischen Fachjargon auch als Ipomoea Batatas bekannt. Der Weg der im tropischen und subtropischen Amerika ursprünglich beheimateten Knolle nach China ist lang und verschlungen. Christophorus Kolumbus entdeckte am Ende des 15. Jahrhunderts nicht nur Amerika sondern auch die Süsskartoffel – und die Kartoffel – für Europa.
Bald schon wurde die Knolle in Spanien, Portugal und Italien heimisch. Sie hatte den Vorteil, überall prächtig zu gedeihen, zudem hat sie einen hohen Nährwert mit Kohlenhydraten, Stärke, Zucker, Vitamin A und C. Je nach Anbau-Region ist die süsse Knolle mehr oder weniger süss, mal gelblich, weiss, lachsfarben oder purpurrot. Die Schale ist dick und gut zum essen. Columbus hörte, dass die Arawak-Indianer die Süsskartoffel "Batatas" nannten. Daraus soll dann das englische Wort "potato" entstanden sein. Nach China fand die Knolle erst später und zwar über den Pazifik. Von der spanischen Kolonie Philippinen kam die Süsskartoffel im 17. Jahrhundert nach China und von dort schliesslich auch nach Japan.
Von alledem weiss Bauer Li natürlich nichts. Aber er weiss, wie man die in China recht süsse Knolle zubereitet. Bei minus zehn Grad bedient er – weil durch die mit Kohle gefeuerte Seitenwagen-Tonne immer schön warm gehalten – lächelnd die frierenden Kunden mit der günstigen Zwischenverpflegung. Hier das Rezept – e Guete!!
Süsskartoffel
• Süsskartoffeln etwa fünf Minuten in heissem Wasser garen.
• Gänzlich kalt werden lassen.
• Die Knolle auf das heisse Sieb der Tonne legen.
• In Schweizer Breitengraden vielleicht am besten die Süsskartoffeln grillen.
• Achtung: NICHT schälen, da Knollenhaut gesund und köstlich.
• Natürlich kann man aus der etwas mehligen Knolle auch eine subtropische Form der Röschti herstellen. Ich habe es versucht. Das Urteil meiner Versuchskaninchen-Gäste: gewöhnungsbedürftig ...
31. Januar 2011