... der Dong Dan-Strasse: Popcorn und Cola
Der chinesische Film ist international mittlerweile so gefragt, wie einst in den siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts der japanische. Hin und wieder greifen chinesische Zensoren ein und verbieten die offizielle Teilnahme an einem internationalen Filmfestival. Das aber ist heute im Unterschied zu früher die Ausnahme. Ein so berühmter Regisseur wie Zhang Yimou ("Red Sorghum" oder Eröffnungsfeier der Olympischen Sommerspiele 2008) fing als Kultur-Rebell an und gehört heute schon fast zum Establishment. Und macht immer noch hochinteressante Filme.
Ich notiere das hier, nicht weil ich plötzlich in den Genre der Filmkritik gewechselt hätte. Vielmehr bin ich seit Jahr und Tag – trotz DVD und allerlei anderer digitaler Gadgets – noch immer ein vergifteter Kinogänger. Für Kinogänger ist China das Paradies. Sicher, die Kinosäle sind nicht mehr, was sie einmal waren. Multiplex mit dem letzten technischen Schnickschnack haben Einzug gehalten. Mit Erfolg, denn die Zuschauerzahlen steigen stetig. Mein Lieblingskino liegt an der Pekinger Dong Dan-Strasse, ist noch nicht total multiplex, also noch ein wenig altmodisch, dennoch technisch hochgerüstet mit allem, was es braucht. Auch das aus Amerika importierte Popcorn und Cola fehlt nicht. Nur rauchen darf man nicht mehr wie früher ...
Technisch hat sich also das Kino geöffnet, aber seit dem Beitritt Chinas zur Welthandelsorganisation WTO auch inhaltlich. Das heisst, es sind sehr viel mehr ausländische, vor allem amerikanische Filme zu sehen. Der neueste Knüller, der Hollywood-Streifen "Avatar", liess die chinesischen Kinokassen klingeln, Nach einem Monat erspielte "Avatar" ein für China unglaubliches Rekordergebnis von umgerechnet rund 90 Millionen US-Dollar ein.
Soweit, so gut. Nur eben, "Avatar" verschwand trotz des kommerziellen Erfolges aus sehr vielen Lichtspielhäusern. Ganz plötzlich. Zur gleichen Zeit hatte landesweit eine sündhaft teure chinesische Grossproduktion Premiere: "Konfuzius". Der kommerzielle Erfolg blieb aus.
In der chinesischen Blogosphäre – jawoll, das gibt es trotz Informationsmonopol der Partei – hob alsbald eine interessante, kontroverse Debatte an. In der Tat, vieles in "Avatar" lädt ein zu Vergleichen mit dem heutigen China. Die Metaphern drängen sich auf. Ein Blogger beispielsweise interpretierte die Zerstörung des Na'vi Lebensraums durch die Amerikaner in "Avatar" als analoges Bild zur Zerstörung von altem Wohnraum in Peking oder Shanghai. Andere Blogger wiederum lesen viele Szenen in "Avatar" wieder ganz anders und ziehen Parallelen zu Tibet.
"Avatar" jedenfalls ist, interpretiert man ihn aktuell auf die sozialen und innenpolitischen Verhältnisse Chinas hin, äusserst ambivalent. Den Kulturbehörden mag das auch aufgefallen sein. "Konfuzius" dagegen ist politisch korrekt, lautet doch die offizielle Linie seit dem Parteitag vor drei Jahren gut konfuzianisch "Harmonie", "harmonische Gesellschaft", "soziale Stabilität". Immer auf der Grundlage einer strengen Hierarchie. Die politisch inkorrektesten Blogger-Einträge blieben, wen wundert's, gerade mal zwei bis drei Minuten im Chat, dann plötzlich waren sie weg.
Im Dong Dan-Kino habe ich nach "Atavar" auch "Konfuzius" gesehen. Beide wohlverstanden mit Jumbo-Tüten voller Popcorn und einem Jumbo-Becher Cola. Der "Konfuzius"-Streifen müsste auch im Westen gezeigt werden. Der aufwendig gedrehte Film nämlich verrät mehr über China als so manches gelehrte Buch, und ist beileibe nicht gar so langweilig, wie es viele Auslandkorrespondenten für ihre Länder natürlich politisch absolut korrekt darstellen.
Auf der Stasse vor dem Dong Dan-Lichtspielhaus wie üblich die flinken Strassenverkäufer mit ihren raubkopierten DVDs. Auch hier hat "Avatar" das bessere Ende für sich, nämlich 10 Yuan (umgerechnet 1.80 Franken). Konfuzius und alle andern Filme aus nah und fern sind bereit zu 6 Yuan zu haben. Nach chinesischem Recht alles illegal, aber ein gutes Geschäft. Wie "Atavar".
1. März 2010