... Banda Aceh: Nachbeben
Landung auf dem Polonia International Airport in Medan, der Hauptstadt der indonesischen Provinz Sumatra Utara (Nordsumatra). Mit über drei Millionen Einwohnern ist die Stadt nach Jakarta und Subaraya die drittgrösste Indonesiens. Im Grossraum der Provinz-Hauptstadt mit dem Hafen Belawan an der Malakka-Strasse, einer der wichtigsten Arterien des Welthandels, leben über sechs Millionen Menschen. Durch die enge Meeresstrasse wird aus dem Nahen Osten Erdöl nach Ostasien transportiert. Nach Japan, nach China, nach Vietnam. Die Malakka-Strasse ist deshalb strategisch wichtig, und ein amerikanischer Flugzeugträger ist nie weit davon entfernt. Dieser Situation eingedenk versuchen sowohl Japan mit Pipelines aus Russland und China mit Öl-Überlandleitungen von Pakistan nach Xinjiang und von Burma nach Yunnan das strategische Nadelöhr zu umgehen.
All das geht mir beim Betrachten der Container-Schiffe aus aller Welt im quirligen Hafen Belawan durch den Kopf. Zurück im Stadtzentrum von Medan. Autos und motorisierte Rickshaws. Chaos, Lärm, die Luft mit Benzin-Diesel-Abgasen geschwängert. Die Medaner nehmen es gelassen. Sie sind freundliche Leute, leben zusammen mit zugezogenen Javanern, Indern, mehreren Minoritäten der Sumatra-Insel und natürlich Chinesen.
Die meisten sprechen die Lingua Franca Indonesiens, Bahasa Indonesie, eine relativ leicht erlernbare Sprache. Die Chinesen wiederum sprechen Hokkien, ein weit verbreiteter chinesischer Dialekt in Südostasien. Im Kaffee im älteren Teil der Stadt spricht ein Chinese mich auf English an. Doch bald stellt sich heraus, dass er auch fliessend des Mandarin, der chinesischen Standard-Sprache mächtig ist. In wenigen Quartieren der Stadt sind aus der holländischen Kolonialzeit Gebäude erhalten geblieben.
Bei Indonesiern in andern Teilen des Insel-Archipels ist Medan bekannt als Schlemmer-Paradies. Die Küche, beziehungsweise die Küchen sind exzellent und reichen von vielerlei indonesischen Varianten über indische Spezialitäten, Chinesisches von Peking bis nach Kanton und Sichuan, bis hin - jawoll - zu Holländischem und Old Europe's Pizza.
Doch nicht wegen der freundlichen Medanesen und dem guten Essen bin ich in Medan, noch um im nahe gelegenen Nationalpark Bohorok im Rehabilitationszentrum meine alten Freunde, die Orang Utans zu besuchen. Vielmehr zieht es mich in die Sumatra-Nordprovinz Aceh, dort, wo vor viereinhalb Jahren ein Tsunami über Hunderttausend Todesopfer gefordert und traumatische Wunden hinterlassen hat. Im Jahre 2005 habe ich mehrmals verfolgt, wie Indonesien zunächst mit der Katastrophe, dann mit den Aufräumarbeiten, schliesslich mit dem Wiederaufbau fertig wurde. Auch die Schweiz war mit drei Puma-Helikoptern der Armee im Einsatz.
Im Mittelpunkt stand damals nach einem langen, blutigen Bürgerkrieg die Versöhnung zwischen Aceh-Unabhängigkeitskämpfern und der Regierung. Bis Ende 2004 war Aceh für Journalisten gesperrt. Dann aber reagierten die Behörden schnell. Mit dem Auto fuhr ich kurz nach Erdbeben und Tsunami mit Chauffeur und einem landeskundigen Führer dank einem eilends ausgefertigten Laisser-passer der Regierung fast 700 Kilometer an der Ostküste Sumatras entlang nach Bandah Aceh. Kurz zuvor etwas ausserhalb der Kleinstadt Bireuen ein erstes Interview mit bewaffneten Rebellen. Keine zwei Kilometer entfernt drei gepanzerte Fahrzeuge der Armee. Doch der Tsunami hat wenig später unter der Führung des neu gewählten indonesischen Präsidenten, Ex-General Susilo Bambang Yudhoyono zuerst einen Waffenstillstand, dann Frieden geschlossen.
Diese Leistung ist umso höher einzuschätzen, wenn man weiss, dass selbst die holländischen Kolonialisten das einst mächtige Sultanat Aceh erst am Anfang des letzten Jahrhunderts endgültig unterwerfen konnten. Die Acehnesen habe aber nie aufgegeben und haben nach der Unabhängigkeit in der erdgas- und erdölreichen Provinz Widerstand geleistet. Der Krieg forderte mehrere Zehntausend Tote. Die Jahrhundert-Katastrophe des Tsunami hat ein Umdenken bewirkt, das man in Sri Lanka, einer andern vom Tsunami schwer betroffenen Region, in den letzten Jahren so schmerzlich vermisst hat.
Ankunft in Banda Aceh, viereinhalb Jahre danach. Fazit: Noch gibt es Probleme beim Wiederaufbau, noch gibt es Misstrauen zwischen den ehemals Verfeindeten. Doch ein hoher Beamter der Provinzregierung, einst ein Rebellenführer, zieht alles in allem eine positive Bilanz. Äusserlich ist Banda Aceh nicht wieder zu erkennen. Zaghaft wird auch der Tourismus gefördert. Die Erde freilich bebt noch immer hin und wieder, wie am Tag vor der Abreise. Epizentrum ist die Insel Simeulue vor der Westküste Sumatras. Trotzdem: Banda Aceh ist allemal eine Reise wert.
5. Oktober 2009