... Turkmenabat: Der Zöllner und die Zigarre
Nicht von dem rund 250'000 Einwohner zählenden Turkmenabat soll hier die Rede sein. Die im Nordosten des zentralasiatischen Staats Turkmenistan liegende Stadt ist nur wenige Kilometer entfernt von der Grenze zu Usbekistan. Und die eben hat es in sich.
Die Beziehungen der seit 1991 unabhängigen ehemaligen Sowjetrepubliken sind nach einigen Spannungen jetzt wieder durchaus – um es diplomatisch auszudrücken – gut und freundnachbarlich. Trotzdem trennt die beiden Länder eine handfeste Grenze mit Zollbeamten, Militärs und allem, was dazugehört. Auf beiden Seiten. Um es kurz zu machen: Der Grenzübertritt dauerte viereinhalb Stunden, der Pass wurde zwölf mal kontrolliert und selbstverständlich waren unzählige Formulare pingelig auszufüllen. Auf beiden Seiten der Grenze ziemlich lange Lastwagen-Kolonnen. Vermutlich mussten die Chauffeure noch mehr Papierkram ausfüllen.
Nach der usbekischen Hürde ein Fussmarsch von einem Kilometer durchs "Niemandsland“ zur turkmenischen Grenze. Mit Gepäck. Dort warten, die Kalaschnikow lässig über den Rücken geschultert, zwei Grenzwächter. Unglücklicherweise war gerade Mittagszeit. Um Punkt ein Uhr mittags begehrten wir Einlass ins Reich des Turkmenbashi, des Gründervaters der modernen Republik, offiziell "Vater und Führer aller Turkmenen", den zu seinen Lebzeiten ein Personenkult sondergleichen umgab: Stalin, Mao und Kim Il-sung hätten noch etwas lernen können.
Sparmyrat Nyyazow, so hiess der Mann, war einst Vorsitzender der Kommunistischen Partei der Sowjetrepublik Turkmenien. Er hat sich nach dem Zerfall der Sowjetunion 1991 mit einem politischen Salto neu erfunden. Turkmenbashi starb vor drei Jahren. Noch heute stehen allüberall vergoldete Statuen (Bild), nachts hell beleuchtet, ja bestrahlt. Die Statuen stellen aber nicht nur den Vater aller Turkmenen dar, sondern beispielshalber auch Nyazovs Vater und Mutter. Die Monate waren bis vor kurzem noch nach Turkmenbashis Familienmitglieder benannt. Er hatte auch durchaus Sinn für bizarre Entscheidungen. Er liess sich zum "Präsidenten auf Lebzeit" ausrufen, wobei er da sicher von Nordkoreas Lichtgestalt Kim Il-sung, dem ehemaligen "Grossen Führer" und Vater des jetzigen "Geliebten Führers" Kim Jong-il, noch etwas hätte lernen können. Der ist nämlich noch heute, 15 Jahre nach seinem Tod, Präsident, weil Sohn Kim Jong-il seinen Papi als "Präsident auf Ewigkeit" ausrufen liess.
Andrerseits könnte der Nordkoreaner durchaus vom Turkmenbashi lernen. Der nämlich liess Oper und Theater verbieten, und wurde gar von seinem Kabinett zum "Propheten" ausgerufen. Turkmenbashis Buch "Ruhnama" ist noch heute Pflichtlektüre. Der gütige Landesvater aber ging in seiner Weisheit noch Riesenschritte weiter. Sogar westliche Politiker könnten da noch eine Scheibe abschneiden. Beispielsweise ist rauchen in der Öffentlichkeit, also auf der Strasse, strikte verboten. Wer trotzdem eine runter zieht, zahlt umgerechnet zwanzig Franken Busse. Dafür darf man drinnen, auch in Restaurants, rauchen. In Anbetracht der Anti-Raucher-Hysterie im Westen ist das schon fast ein salomonischer Entscheid. Finde ich.
Aber auch bei den explodierenden Gesundheitskosten gab es durchaus innovative Vorschläge. Null Problem, sagte sich der Turkmenbashi, denn er plante, alle Spitäler zu schliessen mit Ausnahme eines einzigen in der Hauptstadt Aschgabat. Auch bei der turkmenischen Invalidenversicherung fackelte Turkmenbashi nicht lange und kürzte knapp vor seinem Tod Renten und Behindertenzuschüsse. Überhaupt: Er setzte Sozialausgaben generell aufs Minimum herab. Etwas allzu liberal, sogar für eine gewisse schweizerische Volkspartei, aber dennoch.
Gerechterweise muss man aber dazu sagen, dass sein ehemaliger Zahnarzt, Gesundheitsminister und Nachfolger, Gurbanguly Berdimuhamedov, sachte einige Reformen durchgeführt, und die soziale Seite jedenfalls wieder ins Lot gebracht hat. Schliesslich wurde er ja mit fast 90 Prozent der Stimmen gewählt. He joh! Dazu hat er seinem Volk besseren und schnelleren Zugang zum Internet beschert, was ganz gut funktioniert. Übernommen hat er vom Vater aller Turkmenen die Aussenpolitik und namentlich die Vergünstigungen fürs Volk, nämlich gratis Wasser, Strom, Gas und Salz sowie spotbilliges Benzin und Brot.
Turkmenistan kann sich das leisten, sitzt es doch auf riesigen Gasvorkommen und wird von allen Seiten – Europa, China, Russland und den USA – umschmeichelt. Schliesslich ist Turkmenistan – jawoll! – offiziell neutral. Das wiederum hätte der oben bereits erwähnten schweizerischen Partei sehr gefallen. Was nämlich jedem Schweizer in der turkmenischen Hauptstadt Aschgabat sofort angenehm auffallen wird, ist – Nein, Nein, nicht die Minarette – vielmehr der "Turm der Neutralität". Darauf steht vergoldet der Turkmenbashi, und der dreht sich mit der Sonne um seine Achse, wohlwollend und gnädig sein Volk dirigierend, inspirierend, kujonierend. Nachahmenswert, sicher. Wir bräuchten halt nur noch einen demokratischen Politiker beziehungsweise Helvetbashi. Und den würde natürlich – bin ich überzeugt – die bereits erwähnte Schweizer Partei sofort mit Handkuss liefern.
Während ich das alles, kluge Leserinnen und Leser, erzähle, ist an der usbekisch-turkmenischen Grenze fast eine Stunde verstrichen. Die Zöllner kehren vom Mittagstisch zurück. Zehn Minuten zu früh. Chapeau! Und jetzt muss ein Tourist nach dem andern den Pass zeigen und den Koffer aufmachen. Ein Zöllner, umringt manchmal von drei, manchmal von bis zu sechs aufmerksam und gwundrig das Prozedere verfolgenden Kollegen, nimmt sich Zeit. Er blickt in meinen Koffer, wendet mal dies, mal das, inspiziert drei Bücher, guckt mich fragend an, dann aber fällt sein Auge auf ein Zigarren-Kistchen tief vergraben zwischen Pullover und T-Shirts. Der behelfsmässige Humidor wird geöffnet, eine Zigarre nimmt er zwischen Daumen und Zeigfinger, riecht an der kubanischen Zigarre, verdreht kennerisch die Augen und lächelt. Ich lächle zurück, was bleibt mir anderes übrig.
Und es kam, wie es kommen musste: Überwältigt von der Freundlichkeit des Beamten offerierte ich grosszügig die Köstlichkeit, immerhin eine Vegas Robaina von den Tabakfeldern in Vuelta Abajo (Cuba). Wenn das nur nicht als Bestechung angesehen wird, bange ich als guter Schweizer, denn auf den Flughäfen Zürich, Genf, Basel oder Bern würde ein solches Verhalten gewiss ernsthafte Konsequenzen nach sich ziehen. Mitnichten aber an der turkmenischen Grenze. Wo sind wir denn? Eben!
Nach viereinhalb Stunden dann endlich nach Turkmenabat und danach durch die Sand- und Geröll-Wüste Karakum. Ziel ist die verlassene Oase Merw, wo grossartige archäologische Funde ausgegraben werden. Schon Alexander der Grosse kam ja vor über 2'300 Jahren auf dem Weg nach Indien hier vorbei. Nur waren halt damals die Grenzen noch durchlässiger als heute ...
Und damit es nicht vergessen geht, sei's hier berichtet. In der Rangliste der Pressefreiheit steht Turkmenistan auf dem herausragenden drittletzten Platz. Noch vor Nordkorea und Eritrea.
16. November 2009