... Peking: Schön warmes Grün
Wenn Kolumnisten keine Ideen mehr haben, dann schreiben sie übers Wetter. So halt wie sich ansonsten der Normalbürger im Small-talk in die Unbill der Witterung rettend flüchtet. Unverbindlich und alle können mitreden. Wie beim Fussball. Dennoch, es muss wieder einmal sein. Nicht nur, weil ich - wie die klugen Leserinnen und wachen Leser dieser Kolumne mittlerweile wissen - kälteempfindlich bin, sondern weil das Wetter für Laobaixing (Normalbürger) in Peking immer für ein Schwätzchen gut ist. Nicht nur im Small-Talk. Denn das China-Wetter hat schwerwiegende Folgen, wie Zeitungsleser unter "Vermischtem" oder "Letzte Seite" immer wieder lesen können.
Im Sommer zum Beispiel ist es heiss, nicht selten über 40 Grad. Das wiederum hat weitreichende Folgen. Für die Umwelt besonders (ist ja jetzt mit "Kopenhagen" hochaktuell). Peking und Nordchina sind trocken, Wassermangel ist ein Riesenproblem. Der Wasserkonsum steigt also. Dann die Airconditioner. Ungleich der Schweiz kann sich jedermann und jedefrau – das ist eben liberaler Kommunismus, exgüsi Kapitalismus – ohne Rücksicht auf Verluste die Luft in der Wohnung, im Büro, im Eigenheim kühlen lassen. Der Stromverbrauch ist dementsprechend. Alles nicht sehr grün also. Soviel für den Sommer.
Jetzt aber ist Winter. Die Winter in Peking sind kalt, sehr kalt. Eislaufen auf den zugefrorenen Stadt-Seen und Kanälen ist die eine, schöne, Heizen die andere, etwas kompliziertere Seite. Es wird nämlich nicht nach Wetter sondern nach Datum geheizt, das heisst vom 15. November bis zum 15. März. So will es die Vorschrift. Südlich des Yangtse – Pech gehabt – wird überhaupt nicht geheizt. Natürlich gibt es elektrische Öfeli – Kohle ist aus ökologischen Gründen verboten – mit dem Effekt von drastisch steigendem Stromverbrauch.
Doch dieses Jahr ist der Winter überraschend früh hereingebrochen. Die Skisaison in den Bergen rund um Peking – kein Witz – ist eröffnet. Die neue chinesische Mittelklasse kauft Skis und Snowboards wie verrückt. Das Geschäft blüht. Die rund ein Dutzend Ski-Resorts nördlich der chinesischen Hauptstadt sind an Wochenenden gut belegt bis ausgebucht. Selbst Ausländer, darunter auch Schweizer, loben die leichten bis mittelschweren Pisten. Ein Städteflug nach Peking für Kultur und Skifahren – das wäre doch das ultimative Weihnachtsgeschenk für all jene, die schon alles haben ...
Die Stadtregierung von Peking hat nach dem plötzlichen Wintereinbruch, den Zorn der Bürger richtig einschätzend, sofort reagiert und die Stadtfernheizung zwei Wochen früher als üblich in Betrieb gesetzt. Schliesslich ist ja die "harmonische Gesellschaft" das offizielle Bestreben der allmächtigen Kommunstischen Partei Chinas. Die Wohnungen sind wunderbar warm, derart warm, dass man auch bei Aussentemperaturen weit unter Null sich zuhause im T-Shirt wohl fühlt und hin und wieder gar die Fenster aufreissen muss. Erst in den neuesten, umweltfreundlich gebauten Wohnhäusern kann individuell die Temperatur reguliert werden. Für alle andern gilt ein Einheitspreis pro Saison und Quadratmeter. Basta. Auch der chinesische Winter also ist nicht sehr grün.
Draussen allerdings bleibt kalt halt kalt. Wenn dazu noch der berüchtigte Nordost-Monsun bläst, ist guter Rat teuer. Ältere Pekinger allerdings kleiden sich in multiple Schichten, so kann der Kälte ganz gut widerstanden werden. Eine Pelzmütze ist unerlässlich. Selbstverständlich gehört auch ein Mundschutz im Pekinger Winter zur obligatorischen Ausrüstung. Nicht wegen der Schweine-, Vogel- oder Normalgrippe, sondern der kalten Nase wegen.
Eines allerdings hat sich geändert. Kaum jemand trägt noch die schweren, gesteppten, schön warmen grünen Armee-Mäntel. Vor 25 Jahren waren winters die Strassen noch grün. Heute trägt der moderne Chinese und die modebewusste Chinesin Ähnliches wie im Westen, nämlich leichte, warme, teure Jacken. Made in China natürlich, schliesslich werden in diesem Land über fünfzig Prozent aller Textilien und Schuhe produziert. Schön warm Grün tragen nur noch die Armen, die Künstler, die Soldaten der Volksbefreiungs-Armee und einige verrückte Ausländer. Darunter ihr Kolumnist. Wenn das nicht echt grün ist!
7. Dezember 2009