Mary Robinson geisselt vor Novartis die Armut
Erstmals hat ein Pharmakonzern ein Symposium über Menschenrechte durchgeführt: Novartis und ihr Präsident Daniel Vasella liessen heute in Basel vor 550 Teilnehmern Desmond Tutu, Mary Robinson und Bundesrätin Micheline Calmy-Rey das Ende von Armut, Ungerechtigkeit und Menschenrechtsverletzungen fordern.
Basel, 27. November 2003
"Die schlimmste Menschenrechtsverletzung auf der Welt ist die extreme Armut", erklärte Mary Robinson (Bild Mitte) heute am Symposium Menschenrechte und Privatwirtschaft, das von der "Novartis Stiftung für Nachhaltige Entwicklung" organisiert wurde. Es sei schlicht "unmoralisch und eine Tragödie", dass jährlich 6,3 Millionen Kinder verhungerten, derweil die Waffenproduktion und Kriege wie der anglo-amerikanische Irak-Feldzug Geld-Milliarden verschlingen würden, sagte die ehemalige UNO-Hochkommissarin für Menschenrechte und heutige Direktorin der Initiative für globale Ethik. Es mangle vor allem an greifenden Instrumenten, welche fehlbare Regierungen, Konzerne und Organisationen zur Rechenschaft ziehen könnten. Zur Durchsetzung der Menschenrechte forderte Robinson von allen Beteiligten mehr Ehrlichkeit, Transparenz, Kontrollen, neue Allianzen und mehr Mut zu neuen Ideen. Die reichen Länder müssten sich auch besser vor Augen führen, was Armut für die Betroffenen tatsächlich bedeute. Zentral sei eine massive Verstärkung der internationalen Hilfe. Schliesslich lobte die Ex-Präsidentin Irlands auch die Anstrengungen von Novartis: Das Unternehmen habe begriffen, dass die Einhaltung der Menschenrechte auch für das Business wichtig sei.
Eine gute Menschenrechtspolitik müsse daheim beginnen, betonte die Schweizer Aussenministerin Micheline Calmy-Rey. Das Engagement der Schweiz für den Frieden und die Menschenrechte habe im Ausland einen guten Ruf, und sie sei entschlossen, diesen weiter auszubauen und zu festigen. Es gelte, vermehrt den Schutz des Individuums in den Mittelpunkt zu stellen. Die Förderung der menschlichen Sicherheit stehe im Zentrum der helvetischen Aussenpolitik und müsse auch vermehrt von der Wirtschaft mitgetragen werden. Die Bundesrätin verlangte die direkte Umsetzung der Menschenrechte in allen Lebensbereichen. Regierungen, Zivilgesellschaft und Privatwirtschaft müssten vereint die Bedingungen schaffen, um "allen Menschen ein Leben in Würde zu ermöglichen".
Eröffnet wurde das von gegen 550 Teilnehmenden von Klaus M. Leisinger (Bild rechts), Präsident und Leiter der "Novartis Stiftung für Nachhaltige Entwicklung", mit dem Hinweis, dies sei das erste je von einem Pharmakonzern organisierte Symposium über Menschenrechte. Dann wurde eine Video-Grussbotschaft von Desmond M. Tutu abgespielt. Der südafrikanischen Bischof wünschte sich für die nachhaltige Durchsetzung der Menschenrechte eine entschlossene Bekämpfung der Armut. Die Reichen dürften nicht noch reicher werden - auf Kosten der stets ärmer werdenden Armen.
Ein Bekenntnis zur Einhaltung und Förderung der Menschenrechte legte Daniel Vasella (Bild links) ab. Der Präsident und CEO von Novartis versicherte, man mache sich firmenintern immer wieder Gedanken zum Thema und bemühe sich, den von UNO-Generalsekretär Kofi Annan gegründete Global Compact umzusetzen: Verzicht der Firmen auf Menschenrechtsverletzungen, Unterstützung der Menschenrechtsanliegen im eigenen Einflussbereich. Man stelle sich auch nüchtern die Frage, für was das Unternehmen später verantwortlich gemacht werden könnte, sei sich auch klar, dass respektierte Menschenrechte die Voraussetzung für ein gesundes Wachstum sind. Allerdings, schränkte Vasella ein, "können wir nicht für alles verantwortlich gemacht werden". Die lückenlose Einhaltung der internen Regeln könne bei weltweit 80‘000 Mitarbeitern nicht garantiert werden.
Auf die Frage eines Vertreters von Amnesty International, weshalb denn die Milliarden scheffelnde Novartis trotz ihrer ethischer Prinzipien mit teuren statt kostenfreien Medikamenten in der Dritten Welt die Gesundheitsprobleme verschärfe, antwortete Vasella mit einem Hinweis auf spezielle Novartis-Programme und Institutionen zu Gunsten der armen Länder klar: "Wir müssen Gewinne erzielen." Die Pharmaindustrie lebe mit ihren Rezepten überdies vom geistigen Eigentum, das es zu schützen gelte. Werde das Recht auf Gesundheit und freie Medikamente gefordert, stelle sich die Frage, wer diese Forderung zu erfüllen hat. "Und was ist mit dem Recht auf Eigentum?" Die Probleme seien komplex, schloss der Novartis-Chef: "Wir sind bereit, unseren Anteil zu leisten, aber nicht die ganze Last zu tragen."
Dass das Symposium eine offene Diskussion wünschte, bewiesen die Novartis-Verantwortlichen mit einer spontanen Redegenehmigung für Greenpeace. Diese hatte mit Flugblättern eine "Entwicklungshilfe für Novartis in der Region Basel" gefordert und auf die ungelösten Sanierungen alter Chemiemülldeponien hingewiesen. Greenpeace-Sprecher Matthias Wüthrich erklärte mit Applaus, Novartis drücke sich vor der eigenen Haustüre seit Jahren darum herum, diese auch das Basler Trinkwasser gefährdenden Deponien zu sanieren. Daniel Vasellas Antwort: Das Problem sei anerkannt, was bereits ein Fortschritt sei. Überdies seien verschiedene Chemiefirmen als Verursacher und Behördenstellen in der Lösungssuche und Verteilung der Verantwortung involviert. Und dies raube eben Zeit.
Dass dieses für einen Pharmakonzern bemerkenswerte Symposium mit vorausschauendem Eigeninteresse organisiert worden war, lässt sich an den Feststellungen des Entwicklungsstrategen Leisinger ablesen: "Unternehmen sind gut beraten, aktiv an der Debatte des Themas "Menschenrechte und Unternehmen" teilzunehmen. Dies gibt ihnen die Möglichkeit, zu mehrdeutigen Termini - beispielsweise "Einflussbereich", "Mittäterschaft" oder "Vorbeuge-Prinzip" - ihre Definition vorzulegen und zu begründen. Mit eigenen Richtlinien können sie nach innen und aussen Transparenz schaffen, für welche Leistungen zur Erfüllung welcher Rechte sie sich verpflichtet fühlen (...). So können sie auf konstruktive Weise ihre Interessen wahren, statt mit fordernden Definitionen konfrontiert zu werden und dann in die Ecke der Neinsager oder gar Menschenrechtsverletzter gestellt zu werden."