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Gegner warnen vor freier Wahl der Wahlpflichtfächer
Die Initiative "für eine freie Wahl aller Wahlpflichtfächer in der Sekundarschule", über die am 28. Februar abgestimmt wird, führe in Basel zu einem weiteren Anstieg des Fachkräftemangels. Das sagen die Gegner der Initiative.
Basel, 27. Januar 2016
"Keine Chance verpassen – Breite Schulbildung bringt freie Berufswahl", lautet das Motto der Nein-Kampagne, die heute Mittwochnachmittag von den Gegnern der Initiative lanciert wurde. Diese bestehen aus einer breit abgestützten Koalition von bürgerlichen Parteien, der Handelskammer Basel beider Basel, dem Arbeitgeber-Verband sowie dem Gewerbeverband. Die Gegner präsentierten die Argumente der Wirtschaft, der Eltern sowie der Schulen.
"Die Anforderungen an die naturwissenschaften und sprachlichen Kompetenzen steigen stetig", sagte Rolf Knechtli, Geschäftsführer des Ausbildungsverbunds "Aprentas" und Präsident der Ausbildungskommission der Handelskammer. Nicht alle Schüler würden studieren, deshalb sei es wichtig, dass sie sowohl sprachlich auch als mathematisch kompetent seinen. "Auch in der Lehre steigen die Anforderungen." Die Praxis fordere diese Kenntnisse. Aus der Sicht der Wirtschaft könne mit der Initiative diese Basis nicht mehr geschaffen werden.
Unzufriedenheit bei Lehrerschaft
Die Initiative war 2014 von Seiten der baselstädtischen Lehrerschaft eingereicht worden. Unzufriedenheit herrschte darüber, dass die Schulreform Harmos zu einer Abwertung bei den Kunstfächern auf der Sekundarstufe führte. Die Initianten kritisieren, dass von sieben Wahlpflichtfächern deren drei aufgewertet würden – Italienisch, Latein und MINT (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik).
Vier Wahlpflichtfächer würden hingegen abgewertet, nämlich bildnerisches, technisches und textiles Gestalten sowie Musik. Auch seien die Schüler des P-Zuges in ihren Wahlmöglichkeiten eingeschränkt. Jene des A- und E-Zuges könnten dagegen frei wählen. Die Initiative fordert deshalb, dass auch Schüler aus dem P-Zug zwischen allen sieben Wahlfächern frei entscheiden können.
Weg des geringsten Widerstandes
Die zweifache Mutter Patricia von Falkenstein, Grossrätin und LDP-Kantonalpräsidentin präsentierte die Argumente der Eltern. Sie sieht in der Wahlfreiheit die Gefahr, dass Schüler den Weg des geringsten Widerstandes wählen würden. "Können sie zwischen musischen Fächern einerseits und MINT oder Latein und Italienisch andererseits frei wählen, entscheiden sie sich für den Weg des geringsten Widerstandes", ist die Politikerin überzeugt. Das würde das Leistungsniveau an der Schule senken.
Die Kinder, so fuhr sie fort, sollten früh lernen, dass sie nicht nur das machen können, worauf sie Lust hätten. Von Falkenstein weist auch darauf hin, dass die Schüler bei der Suche nach einer Lehrstelle untereinander im Wettbewerb stehen: Bei anspruchsvollen Lehrstellen seien sprachliche und mathematisch-naturwissenschaftliche Kenntnisse massgebend. "Beide Bereiche müssen gefördert werden", so von Falkenstein weiter.
Der Ausgleich fehlt
Für CVP-Fraktionspräsident Remo Gallacchi, Physiker und Gymnasiallehrer, ist die Initiative zu einseitig. Aus der Sicht der weiterführenden Schulen sei es wichtig, dass die Schüler ein breites Wissen erhalten. Der Ausgleich fehle: "Zwei gestalterische Fächer bereiten nicht genügend aufs Gymnasium oder auf eine Vielzahl anspruchvoller Lehren vor", warnte er. Die Initiative würde sich zum Nachteil der Basler Schulen auswirken.
Er wies ausserdem darauf hin, dass die eingeschränkte Wahlfreiheit, so wie sie die Initiative aufheben will, nur für den P-Zug gelte. Nur ein Drittel der Schüler werde eingeschränkt. Alle anderen hätten Wahlfreiheit. Diesen Sachverhalt vermittle die Initiative nicht.
Bild von links: Patricia von Falkenstein, Rolf Knechtli, Deborah Strub, Remo Gallacchi
"Nicht Fächer gegeneinander ausspielen"
Gegner warnen: "Können sie zwischen musischen Fächern einerseits und MINT oder Latein und Italienisch andererseits frei wählen, entscheiden sie sich für den Weg des geringsten Widerstandes" oder "Zwei gestalterische Fächer bereiten nicht genügend aufs Gymnasium oder auf eine Vielzahl anspruchvoller Lehren vor".
Bildnerisches Gestalten ist seit gut 1900 Maturfach, weil dies eine ausdrückliche Forderung der ETH und der Medizin war! Früher gab es in Basel das MNG das Mathematisch-naturwiss. Gymnasium, da waren Naturwissenschaften und Zeichnen gut kombiniert, bei 14- bis 16-Jährigen gab es sogar Halbklassen! Auch an den Realschulen wurde Zeichnen im Halbklassenunterricht erteilt. Im Bildnerischen Gestalten werden Visuell-räumliches Vorstellungs- und Darstellungsvermögen eingeübt und das ist für Schülerinnen und Schüler anspruchsvoll! Das Visualisieren und Memorisieren komplexer Prozesse spielt eine Rolle in vielen naturwissenschaftlichen Berufen – zum Beispiel in der Medizin, Architektur, Technik. Hierbei auf www.facebook.com/InitiativeWahlpflichtSek1 Bilder von Schülerarbeiten aus der Sek I in Basel aus dem Fach Bildnerisches Gestalten und Technisches Gestalten!
Man sollte nicht Fächer gegeneinander ausspielen! Kreativität ist ein fächerübergreifendes Phänomen - divergierendes Denken ist gefragt!
Die Naturwissenschaften sind mit der neuen Stundentafel Sek I vom LP 21 schon höher dotiert und MINT kommt noch zusätzlich dazu! Die musischen Fächer sind ab der 2.Sek. keine Pflichtfächer mehr an der Volksschule. Die kantonseigenen Fächer MINT und LINGUA (Latein) treten vor allem im Progymnasialen P-Zug (Wahlpflicht Lingua oder Mint und nur ein musisches Fach) in diesem Wahlfachsystem in Konkurrenz zu den Fächern Bildnerisches Gestalten und Musik, so dass im Bildungsbereich (Musik, Kunst, Gestaltung) die vorgegebenen Stunden vom LP 21 in der neuen Stundentafel Sek I BS / BL nicht eingehalten werden. Schüler und Schülerinnen weisen somit an den weiterführenden Schulen FMS und Gymnasium entweder im Bildnerischen Gestalten oder im Musik oder gar in beiden Fächern (falls sie Technisches oder Textiles Gestalten wählen) eine Ausbildungslücke von zwei Jahren auf.
Fabienne Rebetez, Basel
"Stossende Aussagen zu Faulheit"
Patricia von Falkensteins Annahme, unsere Schülerinnen und Schüler seien grundsätzlich "faul", ist genauso stossend wie die Aussage, dass ein künstlerisches Fach per se keine Ansprüche an die Jugendlichen stelle. Die LDP-Grossrätin findet, es sei falsch, frei wählen zu können. Dabei sprechen wir hier – notabene – über vier von insgesamt 34 (!) Wochenlektionen, über die Schülerinnen und Schüler des P-Zugs bei einer Annahme der Initiative allenfalls entscheiden dürften.
Weiter ist festzuhalten, dass die so genannten "Kunstfächer" ausserhalb der Pflichtwahlfächer im 8. und 9. Schuljahr im Kurrikulum gar nicht mehr vertreten sind (was im Übrigen dem Lehrplan 21 explizit widerspricht). Von einer "einseitigen" Bildung kann keine Rede sein!
Die Gegner der Initiative lassen ausser Acht, dass ausgerechnet die begabtesten Jugendlichen in ihrer Bildung und beruflichen Orientierung behindert werden, wenn es ihnen verwehrt bleibt, sowohl MINT als auch Sprachen zu wählen! Die Initiantinnen und Initianten sind der Überzeugung, dass durch Einschränkungen und Zwang keinerlei Stärkung irgendwelcher Fächer herbeigeführt werden kann. Das Interesse der Jugendlichen muss durch guten Unterricht geweckt und gefördert werden. Wenn hierfür 30 vorgegebene Wochenlektionen im obligatorischen Pflichtbereich nicht ausreichen, darf dies nicht auf Kosten des Wahlbereichs korrigiert werden.
Beat Kunz, Basel
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