Kein Arbeitsvertrag – kein Wohnsitz – keine Sozialhilfe
Ein niederländischer Tänzer erhält laut einem heutigen Urteil des Basler Verwaltungsgerichts keine Sozialhilfe, weil er kein Arbeitsverhältnis mit dem Theater Basel gehabt haben soll. Der Beschwerdeführer legte Lohnausweise vor, doch die Behörden sprechen von einer "Statistenrolle".
Basel, 6. September 2016
Das Theater Basel suchte Darsteller für das Musical "My Fair Lady" in der Spielzeit 2010/2011. Auf ein Stelleninserat meldete sich auch ein heute 58-Jähriger aus dem Südschwarzwald und durfte vortanzen. Obwohl der Mann zwar kein Berufstänzer, aber bayrischer Meister im Standardtanzen, war, wurde er engagiert. Damit begannen aber nicht nur ein Ausflug auf die Bretter, die die Welt bedeuten, sondern auch Probleme.
Keine Arbeitsbewilligung eingereicht
Die Theatergenossenschaft als Arbeitgeber sah das Engagement aber nicht als Arbeitsverhältnis an. Daher wurde nie ein Gesuch um eine Arbeitsbewilligung eingereicht, sondern nur eine Meldung gemacht. Der gebürtige Niederländer versuchte sich gleichzeitig beim Migrationsamt anzumelden, was mangels eines Arbeitsverhältnisses nicht möglich war. "Das Migrationsamt hat die umstrittene Position der Theatergenossenschaft übernommen", monierte Guido Ehrler. Der Anwalt des Betroffenen hat dagegen ebenfalls Rekurs eingereicht.
Andreas Iten, der das Departement für Wirtschaft, Soziales und Umwelt (WSU) von Regierungsrat Christoph Brutschin (SP) vertrat, sprach von einem "anderen Verhältnis": "Es handelt sich um ein tiefes, symbolisches Entgelt oder eine Spesenentschädigung und nicht um eine Arbeitsentschädigung", erklärte der Advokat. Es sei eine Statisten-Tätigkeit. Ein Arbeitsverhältnis ist aber für Ausländer nötig, um ein Aufenthaltsrecht abzuleiten. Dieses wiederum ist zwingend, um Sozialhilfe zu erhalten. Arbeitsverhältnis und keine Spesenentschädigung Der Tänzer hatte erst 2014 rechtliche Schritte gegen die Theater-Genossenschaft eingeleitet und auch erst im selben Jahr um Sozialhilfe nachgefragt. Diese wurde ihm unter anderem verweigert, weil die entsprechenden Arbeits- und Aufenthaltsbescheinigungen fehlten. Den Begriff "Spesenentschädigung" liess Ehrler nicht gelten und verwies darauf, dass die Theatergenossenschaft Lohnausweise ausgestellt habe. "Mein Mandant wollte einen Wohnsitz begründen, konnte es aber nicht, weil die Theater-Genossenschaft das Arbeitsverhältnis nicht bestätigte".
"Statistentätigkeit vor Publikum"
Das Verwaltungsgericht sah ebenfalls keine Arbeitstätigkeit und damit keinen Aufenthaltsanspruch und folglich keinen Anspruch auf Sozialhilfe. Gerichtspräsident Stephan Wullschleger (SP) nannte es "Statistentätigkeit vor Publikum, die nicht unter den Gesamtarbeitsvertrag fällt". "Sie sind kein Theatertänzer", erklärte Wullschleger mit Blick auf das Alter des Mannes und der Tatsache, dass Tänzerinnen und Tänzer ihre Aktivkarrieren im Alter von 40 Jahren beenden. Weiter wies der Richter darauf hin, dass der Niederländer ein "Statisten-Personalblatt" ausfüllte und seine deutsche Adresse angab. Während den Vorstellungen übernachtete der Tänzer bei seiner Tanzpartnerin im (schweizerischen) Rheinfelden. "Dort haben Sie sich nie um Sozialhilfe bemüht", stellte Wullschleger mit Blick auf das Dossier fest. Auch die Verweise auf die Praxis und die Gesetze in Deutschland liessen das Gericht kalt. "In der Schweiz gilt halt das Schweizer Recht", stellte der vorsitzende Richter emotionslos klar.
Zwölf Franken Nothilfe pro Tag
Somit sei die Auszahlung von Nothilfe an Ausländer ohne Wohnsitz in der Schweiz korrekt. Ehrler prangerte die zwölf Franken Nothilfe pro Tag als zu niedrig an. "Es wurde nie gesagt, weshalb zwölf Franken zu wenig sind", konterte Wullschleger. Die Aussage, es sei nicht möglich, die 'Gassenküche' zu nutzen, weil sie privat sei, liess das Gericht nicht gelten. "Es gibt keine Anzeichen, dass Sie abgewiesen worden sind", meinte Wullschleger. Der arbeitsrechtliche Aspekt ist noch bei einem Bühnen-Schiedsgericht hängig. Die Vorinstanz, die Bühnen-Schiedskommission, hat allerdings ebenfalls festgestellt, dass kein eigentlicher Arbeitsvertrag vorhanden ist. Dieses Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Das Migrationsamt soll – so WSU-Anwalt Iten – den Mann zur Ausreise verpflichtet haben.
"Masslose Selbstüberschätzung"
Selbst gelegentlich als Statist im Theater Basel dabei, empfinde ich das Verhalten dieses "Tänzers" eine masslose Selbstüberschätzung.
Zufällig war ich auch in "My Fair Lady" dabei, die Produktion also, um die es in diesem Falle ging. Der gute Mann hatte nichts anderes zu tun, als mit einer Tanzpartnerin unter zehn andern Tanzpaaren als kleiner Teil eines grossen Festes ein paar Minuten zu tanzen. Schluss. Punkt.
Ich selber musste in einer Szene etwas trottelig über die Bühne stolpern. Ja, bin ich deswegen nun plötzlich ein Schauspieler oder wie?
Statist sein, ob im Theater, beim Film, in einem Werbespot usw. heisst nichts Anderes, als Freude und Spass an der Sache zu haben und dabei vielleicht ein paar interessante Leute kennen zu lernen. Geltungssucht, hohe Gagen und sich selbst in Szene zu setzen haben dabei rein gar nichts zu suchen.
PS: Mich würde übrigens interessieren, wie jemand, der sich offenbar um Sozialhilfe bemüht, sich mehr als vier Jahre lang einen Anwalt leisten kann.
Peter Graf, Basel
"Ein beschämender Umgang"
Es ist wahrlich beschämend, wie das "Theater Basel" mit seinen älteren Statisten umgeht. Seinerzeit habe ich mich an vorderster Front für einen würdigen Beitrag des Kantons Basel-Landschaft an das Theater der Nordwestschweiz eingesetzt. Leider hat die bürgerliche Regierungsmehrheit in Liestal ihren Kollegen Urs Wüthrich damals schmählich im Regen stehen lassen. Ich kann den Arbeitgeber "Stadttheater" – trotz des abgelehnten Millionen-Zustupfs aus Liestal – dennoch nicht verstehen, dass er einen 58-jährigen Vortänzer derart unwürdig behandelt und sich hinter fraglichen Paragraphen versteckt.
Werner Strüby, Aesch
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