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Bote: Vom Botschafter zum Brief-Verschieber
Basel, 29. August 2017
Unsere Schweizer Post befindet sich in der Metamorphose: vom Service public par excellence zum seelenlosen anonymen Rentabilitäts-Konglomerat. Unsere Kolumistin Andrea Strahm hat in ihrem Text vom 19. Juni darauf hingewiesen: "Traritrara – die Post ist weg". Dabei fügte sie die Bewertung ihrer eigenen Erfahrung hinzu: "Sie ist teuer, die Post, und sie arbeitet schlecht."
Und nun schreibt uns Anwalt Johannes Friedrich (Name geändert) aus Basel, wie er die Kundennähe der Post in seiner Kanzlei in einem mehrstöckigen Gebäude erlebt. Seinen Postboten mochte und mag er ausnehmend gut, weil er seit vielen Jahren seinen Service public lebt und einen eingeschriebenen Brief jeweils oben an der Kanzlei-Türe übergab.
Dauernd neue Pöstler-Gesichter
Das ist jetzt vorbei. Die Boten mussten kürzlich ihrer Arbeitgeberin schriftlich bestätigen, dass sie die Post von jetzt an nur noch bis an die Haustüre liefern und nicht mehr zu den einzelnen Büros im Gebäude hochkommen dürfen. "Künftig wird der Pöstler also zweimal klingeln, wenn er da ist, und von uns muss jemand unten die Post holen gehen", berichtet Anwalt Friedrich. Wünsche jemand den Service bis an die Bürotüre, werde ein Tarif von 1.57 Franken pro Minute fällig werden.
Ganz im Widerspruch zu diesem Rationalisierungsschritt bleiben die Briefträger zudem nicht mehr in ihrem gewohnten Quartier, wo auch mal eine kleine Extra-Dienstleistung – etwa gegenüber einer alten Frau – denkbar war. Die Pöstler waren als dienstorientierte Botschafter der öffentlichen Dienstleistung geschätzt und nicht blosse Brief- und Paketverschiebungs-Automaten wie heute, da sie von einem Stadtteil zum anderen versetzt werden, so dass der Routinegewinn völlig wegfällt.
Aber das ständige Wechseln des Reviers hat wohl auch den Zweck, die Pöstler von der Kundschaft zu entfremden. Sie plaudern dann weniger, sind damit auch nicht so motiviert, die Post in die einzelnen Büros zu bringen. Am Schluss sind alle unzufrieden.
Routen-Berechnung in Sekunden
Heute schreiben hochschulgetrimmte Effizienz-Berechner der Post-Administration den Boten sogar mit Sekundenwerten ihre Route vor, was anhand der GPS-fähigen Scanner, die Briefträger bei sich haben, sogar überwacht werden könnte. Ist ein Mitarbeiter mit seiner Route zehn Minuten in Verzug, muss er eine schriftliche Stellungnahme abgeben. Physiotherapeuten bringen selbst erfahrenen Profis bei, wie sie ihre Fracht in die Hand nehmen müssen.
"Wenn die eingeschriebenen Briefe nicht innert zwei Minuten unten abgeholt werden, werden die Pöstler vermutlich bald angewiesen, den gelben Zettel in den Briefkasten zu werfen", interpretiert Kunde Friedrich und meint: "Vermutlich will die Post die Geschäftskunden auf die Postfächer abdrängen. Bei uns war es gerade umgekehrt. Wir hatten ein Postfach, aber diese Filiale ist inzwischen aufgehoben worden."
Ergänzend zu seinen Erfahrungen hat sich OnlineReports.ch bei Leuten an der Verträger-Front etwas umgehört. Und erfahren: "Die Vertrautheit mit den Kunden ist nicht mehr gegeben. Man hat keine Spatzung mehr. Man wird gestresst und getadelt."
"Taktlose Schweizer Post"
Charles Chaplin würde sich wahrscheinlich demonstrativ wieder von seinem Exilland Schweiz lossagen, wenn er noch zu Lebzeiten erfahren hätte, wie taktlos die Schweizer Post den Postboten den Takt schlägt.
Noch vor kurzem konnte nämlich das BackwarenOutlet in seinem Bemühen für eine echte Gastfreundschaft und in seinem Engagement für betuchte und weniger betuchte Menschen den Briefboten täglich zu einem kostenlosen Kaffee oder Tee einladen. Leider ist die Zeit dieser Selbstverständlichkeit abgelaufen. Der Briefbote kann sich diese wenige Minuten des Innehaltens beinahe nicht mehr ‚leisten‘. Welche Langzeit-Konsequenzen dies nach sich zieht, scheint gar noch nicht zu ahnen sein.
So oder so: Das BackwarenOutlet an der Güterstrasse 120 hat sich entschieden, dass alle Pöstler und PöstlerInnen, welche sich entsprechend ausweisen können, inskünftig halt auch ohne Uniform, (sprich: endlich in einem menschlichen Rhythmus angelangt) einen Gratiskaffee oder Gratistee erhalten. Herzlich willkommen Ihr Boten einer vergangenen Zeit.
Übrigens: Das BackwarenOutlet kennt die Funktion des B(r)otschafters. Diese haben sogar die Möglichkeit des kostenlosen längeren Innehaltens: Nach kurzer Einarbeitung können unsere B(r)otschafterInnen nämlich gratis in einem Walliser Maiensäss wertvolle und kraftspendende Zeit verbringen. Sollten wir jedoch auch mal in ein solches TimeManagement katapultiert werden, verzichtet das BackwarenOutlet vorher auf unsere überaus geschätzten B(r)otschafterInnen. Doch er will denn schon auf einen solchen Trump-elpfad?
Berto Dünki, Basel
"Roboter am Schreibtisch"
Der Pöstler, der sein Quartier kennt, ist sicher besser dran als ein neuer, der die Örtlichkeit nicht kennt. Das ist das Eine. Zweitens, also wo lebt denn diese Postdirektion, das sind ja Roboter am Schreibtisch und keine Menschen, welche so einen Mist zusammenstellen. Die müssen sich drittens nicht wundern, wenn die Leute bald zu privaten Betrieben wechseln und dort ihre Bezugspersonen finden.
Man kommt sich vor wie in der Unendlichen Geschichte von Michael Ende, wo die Grauen Männer durch die Gegend hasten und andere dazu bringen sollen, Zeit zu sparen. Was daraus wird: Horror und kein Dienstbetrieb mit vernünftigen Menschen.
Peter Isler, Basel
"Das kann es doch wirklich nicht sein!"
Traritrara, die Post ist da, wie Andrea Strahm schrieb. Diese Zeiten sind längst vorüber. Basel baut in die Höhe, der Wahnsinn! "2-maliges" Dingdong" heisst: ab die Post! Wer in einem Altbau wohnt, muss innert Sekunden vom sechsten Stock an der Eingangstüre sein, ansonsten ist der Pöstler weg, adie.
Das heisst für ältere Menschen nun definitiv: "Pack an, denn nun sind deine eigenen Kräfte gefordert! Mit Ausweispapieren und starker Hand musst Du nun dein Paket, oder den Einschreibebrief bei der nächsten Post-Ablagestelle, Apotheke oder im Quartierladen abholen! Das kann es nun doch wirklich nicht sein!
In der Zeit der Überalterung kann nicht jedermann/-frau wie eine Rakete an der Eingangstür stehen. Und der alte Lift aus dem letzten Jahrhundert braucht seine Zeit, bis er unten angekommen ist.
Werte Direktoren der Post, denken Sie daran: Auch Sie werden einmal älter und wären froh, wenn die Post den Dienst am Kunden wahrnähme. Ob wohl in dieser hektischen Zeit mein Traum des Dienstes am Kunden noch in Erfüllung gehen wird?
Yvonne Rueff-Bloch, Basel
"Hochmütiger geht's nicht"
Das ist der "Service public" so wie ihn Madame Ruoff versteht. Hochmütiger geht's wohl nicht!
Albert Augustin, Gelterkinden
"Penibel, traurig und ärgerlich"
Das alles ist sehr penibel, traurig und ärgerlich. Ich schickte kürzlich einen Brief an einen Freund in Oberwil. Er war falsch adressiert, weil der Freund kürzlich umgezogen ist. Anstatt die Adresse zu korrigieren (wie dies früher geschah), kamm der Brief zurück und ich musste ihn nochmals abschicken.
Fredi Vogelsanger, Oberwil