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Bundesrätin Widmer-Schlumpf preist "Urwald-Schweitzer"
Was der Arzt Albert Schweitzer mit seiner Frau Hélène in Lambaréné Gutes taten, kann jeder und jede in seinem Bereich auch: Lambaréné kann überall sein. Dies erklärten heute Sonntag im vollbesetzten Basler Münster Redende wie Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf oder Basels Regierungspräsident Guy Morin.
Basel, 24. März 2013
Im Kopf ein Hospital tief im afrikanischen Regenwald, um kranken Afrikanern und Afrikanerinnen mit christlicher Hingabe, westlichem Medizinwissen und modernen Medikamenten das Leben zu retten – diese Idee liessen vor exakt 100 Jahren Albert und Hélène Schweitzer im elsässischen Günsbach Tropentaugliches in Kisten und Koffer packen. "Wir wollen es versuchen", hat sich das zu allem entschlossene Ehepaar gesagt. Versuchen wollten sie es im damals noch von Frankreich kolonisierten Gabun, das ein Teil Französisch-Äquatorialafrikas war. Am 21. März 1913 ging's los mit der Reise: Das Ehepaar verliess das Elsass in Richtung "Wir-wollen-es-versuchen", das in der Sprache des Galoa-Volks "Lambaréné" heisst.
Heute ist das ehemalige Urwaldkaff weltberühmt – dank den Schweitzers, die keine Schweizer waren, aber immer kräftig von Schweizerinnen und Schweizern unterstützt wurden. Allen voran durch die Basler und Baslerinnen, die auch via die Mission, ihre Kaufleute und Forschungsreisenden, dem Zoo, dem Tropeninstitut und der Chemieindustrie früh schon eine besondere Beziehung zum "Schwarzen Kontinent" entwickelten.
Noch keine Superstars am Medienhimmel
Davon zeugte heute auch das voll besetzte Basler Münster, in der die Initialfeier zum Anlass "100 Jahre Albert-Schweitzer-Spital in Lambaréné (1913 – 2013)" stattfand. Angereist waren die Zuhörenden aus halb Europa. Klar, dass die Redenden vor allem auf den Universalgelehrten Albert Schweitzer eingingen, diesmal zum Glück auch unter mehrfacher Erwähnung der früher gerne unterschlagenen Leistungen seiner Gattin Hélène.
Aber es war deren mit prächtigem Schnauzer und kräftigem Haarschopf ausgestattete Ehemann, der es mit seinen vielen Talenten zum Vorbild und zur "Kultfigur" vieler heute über Sechzigjährigen gebracht hatte. Kein Wunder, wirkte doch Schweitzer in einer noch von Hundertschaften von "Superstars" freien Zeit erfolgreich als Arzt, Theologe, Philosoph, Orgelspieler, Vortragender, Schriftsteller, Friedensnobelpreisträger und Aktivist wider den Krieg.
Münsterpfarrer Kundert: Lob und Kritik
Wäre der Elsässer nicht Protestant und seine Frau nicht Jüdin gewesen, meinte Münsterpfarrer Lukas Kundert im Festgottesdienst, wäre Schweitzer wohl heilig gesprochen worden. Der Präsident des Kirchenrats der Evangelisch-reformierten Kirche Basel Stadt machte aber auch als einziger aller Redenden wohltuend klar, dass der Geehrte durchaus auch schwache Seiten hatte, wie Kritiken zeigten.
Dies entspricht dem Urteil eines ehemaligen Kollegen Schweitzers in Gabun, der OnlineReports gegenüber feststellte, der Urwalddoktor habe auch sehr autoritär und den Einheimischen gegenüber patriarchalisch sein können. Doch insgesamt, so der Münsterpfarrer, sei Schweitzer mit seinem umfassenden Engagement und seiner lebensbejahenden Einstellung eine moralische Instanz erster Güte gewesen. Die Ethik, die der Arzt vertreten habe, könne nicht gelernt werden – sie nähre sich allein durch die Leidenschaft. Ihn, Kundert, habe eine Weisheit des 1875 geborenen und 1965 gestorbenen Philosophen besonders gefallen: "Ich bin Leben, das leben will – inmitten von Leben, das leben will."
Widmer Schlumpf: "Ein Werk des Herzens"
Vor allem "die Grosszügigkeit des Herzens und des Geistes" beeindruckte Eveline Widmer-Schlumpf (Bild) an Albert Schweitzer. Ebenso seine Ethik und die Ehrfurcht vor dem Leben, welche alle – Menschen, Tiere und Pflanzen – umfasst hätten, sagte die Schweizer Bundesrätin in ihrer Rede. Selbstlos seien er und seine "starke Frau Hélène" gewesen. Die Rentabilität einer Arbeit, wie sie heute selbst das Gesundheitsweisen beeinflusse, habe bei den beiden keine Rolle spielen dürfen.
Lambaréné sei kein Ort gewesen für ein Leben, das nur noch auf Handel und Geld ausgerichtet ist. "Lambaréné war ein grosses Werk des Herzens", von einem "Weltbürger" erschaffen im Geiste der Selbstlosigkeit – ein "Meilenstein zu mehr Menschlichkeit". An diesem, so Widmer-Schlumpf, richteten sich auch die Humanitäre Hilfe der Schweiz und die Entwicklungszusammenarbeit aus. Und deshalb unterstütze der Bund bis heute regelmässig Lambaréné.
Keine Redende aus Afrika
Ausser den Tänzern und Tänzerinnen von "Les Messagers d'Afrique", welche das Münster nach den musikalischen Darbietungen von Ursula (Harfe) und Heinz Holliger (Oboe) und Anita Leuzinger (Violoncello) mit Trommelklängen und Lieder füllten, waren unseren Beobachtungen zufolge keine afrikanischen Menschen im Münster. Ebenso fehlten afrikanische Redende, was Schweitzers direkter Nachfolger in Lambaréné, der Arzt Walter Munz, mit einem speziellen Dank an die afrikanische Truppe wettzumachen versuchte.
Munz beschrieb, wie Schweitzer sogar vom Blitz getroffene Urwaldbäume erfolgreich behandelte. Und er stellte die Linde rechts neben dem Hauptportal des Münsters vor, die heute zur Feier des Anlasses zum "Albert und Helene Schweitzer-Bresslau-Baum" gekürt wurde. Denn Basel habe entscheidend mitgeholfen, damit Lambaréné gegründet werden und bis heute "durchhalten" konnte, versicherte Munz. Diese Linde, ergänzte Fritz von Gunten, Projektkoordinator der 100-Jahre-Feier und als Nachfolger von Daniel Stoffer neuer Präsident des organisierenden Schweizer Hilfsvereins für das Albert-Schweitzer-Spital, habe mit ihren nun 50 Jahren auch Schweitzer noch "miterlebt".
Guy Morin: Jedem sein Lambaréné
Wie eng das Verhältnis zwischen der Stadt Basel und dem Friedensnobelpreisträger war, machte Basels Regierungspräsident Guy Morin klar. Orgelspieler Schweitzer habe nicht nur in der Pauluskirche für Kollekten in die Tasten gegriffen, er sei auch regelmässig nach Basel gekommen, um hier mit erheblichen Summen und Medikamentengaben der chemischen Firmen eingedeckt zu werden und sein medizinisches Netzwerk auszubauen.
Arzt Morin vertiefte sich auch in die Archive und stiess auf den Briefwechsel zwischen Schweitzer und dessen Freund und Sandoz-Mitbegründer Arthur Stoll. Nicht verwunderlich, dass dem bekennenden Atomwaffengegner Morin auch ein Briefwechsel der beiden aus dem Jahre 1962 ins Auge stach, wo Schweitzer – wie in seinen Schreiben an Albert Einstein – die Produktion und den möglichen Einsatz von Atomwaffen als "Verrücktheit" betitelte. Der – auch heute nach wie vor nicht gebannte – Atomkrieg wäre "das Ende aller Kriege".
"Schweitzer kann immer wieder Vorbild sein"
Den letzten Brief an Stoll schrieb Albert Schweitzer mit viel Mühe noch kurz vor seinem Tod 1965. Darin zählte er auf, dass er in Lambaréné mit 50 Betten begonnen habe, und nun seien es doch immerhin 560. Das Urwaldspital wird auch heute noch regelmässig von jungen Ärzten zur Weiterbildung in der Tropenmedizin aufgesucht.
"Albert Schweitzer kann uns immer wieder Vorbild sein", mahnte Guy Morin. Und gerade auch für Politiker und Politikerinnen sei es wichtig, die persönliche Kernfrage zu stellen: "Wo ist mein Lambaréné?" Darauf gebe es auch für die jungen Menschen eine unmissverständliche Antwort: Jede und jeder könne sich in seinem eigenen Lebensbereich für die Linderung der Not und die Erhaltung der Schöpfung einsetzen. Dem ist wohl nichts mehr beizufügen.
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