© Archivfoto Landratstribüne by Peter Knechtli, OnlineReports.ch
Landräte, bitte, bitte: Es tönt schrecklich – sprecht frei!
Liestal, 30. August 2018
Die Debatte über eine Fusion der öffentlichen Spitäler im Baselbieter Landrat habe ich online verfolgt. Was mir schon früher die Lust am Zuhören trübte, hat sich jetzt erst recht bestätigt.
Viele Mitglieder dieses Parlaments, das im sympathischen Ruf des Ländlichen und Bodenständigen steht, sind nicht in der Lage, ein freies Votum, notfalls durch ein paar Stichworte abgesichert, abzugeben. Sie transponieren (vermutlich) Hochdeutsch vorgeschriebene Texte in Mundart und lesen sie dann ab. Buchstabe für Buchstabe. Und produzieren Bock um Bock. Unemotional, blutleer, steril. Als hätte ein Alien den Text komponiert.
Ich kann Ihnen nur sagen: Es tönt schrecklich. Dieses Gestocke ("ähhh") und Gestammel! Diese hochdeutschen, in schönstem Baselbieter Dialekt vorgetragenen Satzkonstruktionen – ein Graus! Diese Übersetzungspatzer – "aufteilt" statt "ufteilt", "garbeitet" statt "gschafft", "Unterneehme" statt "Undernähme", "zusamme" statt "zäme" – es ist nicht zum Zuhören! Es ist zum Einschlafen! Wer sich nicht streng diszipliniert aufs Inhaltliche konzentriert, wartet schon bald diabolisch auf den nächsten Stotterer.
Sicherlich hat die grassierende Ableserei einen gewissen Unterhaltungswert. Aber die geschätzten Damen und Herren Landräte haben keinen Unterhaltungsauftrag durch Realsatire, sondern die Pflicht, ihre Argumente in der ureigenen einheimischen Sprache ins Volk hinaus zu tragen.
"Dann redet bitte hochdeutsch"
Danke für die Intervention! Diese Vermischung von Dialekt und Hochsprache ist ein Graus.
Über komplexe Zusammenhänge mit technischen Details könne man nicht frei sprechen: Wenn das stimmt, sollte man auch im Baselbieter Parlament hochdeutsch reden. Es geht flüssiger und ist genauer. Auch das freie Sprechen ohne Manuskript ist hochdeutsch einfacher und genauer. Der Lokalchauvinismus ist im Parlament ohnehin ein Ärger, sprachlich wie politisch.
Bernhard Bonjour, Liestal
"Ignoriert, verbünzelt und verfälscht"
Lieber Peter, das ist phantastisch, dass Du diesen Kretin-Dialekt geisselst! Das ärgert mich schon sehr sehr lange, allgemein übrigens, auch am Radio. Da Du darauf jetzt sensibilisiert und recherche-erfahren bist, weisst Du sicher, dass gleich mehrere originale Grund-Gesetzlichkeiten des Dialekts ignoriert, verbünzelt und verfälscht werden; grauenvoll ist vor allem das Pseudo-Dialekt-Futurum: "Mir wäärde bi de Spitalfusion beachte …". Das tönt zu allem hin noch unerträglich bünzlig.
Es gibt kein Futur im Alemannischen, und alles kann trotzdem gesagt werden. "Mir göön mit däm uf jeede Fall an d’Medie", zum Beispiel. Das ist immer so gegangen. Es gäbe noch Dutzende weitere Exemplare.
Ich freue mich einfach darüber, dass wieder einmal einer, wenn auch auf wohl verlorenem Posten, sich für die Sprache selbst wehrt und sprachlichen Mief an den Pranger stellt. Sprache ist ja eine ernsthafte Hochkultur-Angelegenheit.
Beat von Scarpatetti, Binningen
"Dialekte werden gering geschätzt"
Sprache hat, so scheint mir, zwei Funktionen:
• Sie dient als Verständigungsmittel
• Sie dient der Identifikation: Indem ich spreche, zeige ich, wer ich bin.
Als soziale Wesen sind wir Menschen darauf angewiesen, einer Gemeinschaft anzugehören. Die Sprache, der Akzent sogar, verrät, woher wir kommen. Kinder lernen sprechen so wie ihre Kameraden, so gehören sie dazu.
Es ist nicht gut, wenn man nicht dazugehört, denn dann wird man gemobbt. Nicht, dass ich das gut fände, aber es bringt nichts, die Augen und Ohren zu schliessen. Es tut mir weh zu hören, wie unsere Dialekte gering geschätzt und infolge Unkenntnis verhunzt werden. Landräte sollten das nicht tun.
Es tut mir noch mehr weh, wenn ich eine Lehrerin (im Hallenbad, beispielsweise) zu kleinen Kindern Hauchteutsch ansprechen höre. Die armen Kleinen, die auch zu Hause nicht schweizerdeutschen Dialekt sprechen lernen, werden so immer Fremde bleiben im Land, in dem sie aufwachsen, Tschamäuch bestenfalls. Schade.
Marus Jordi, Itingen
"Nicht schlechter oder besser"
Lieber Peter Knechtli. Du hast völlig recht, und Paul auch, vor allem dort, wo er das freie Geplauder erwähnt. Aber ich höre interessehalber die Debatten verschiedener Parlamente an (nicht in der Schweiz) und muss die Landrätinnen und Landräte klar in Schutz nehmen. Sie sind nicht schlechter oder besser als sehr viele andere. Und eben, wie Paul sagt, man muss die Sache, über die man redet, vor allem inhaltlich verstehen... Das allein ist schon schwierig genug!
Klaus Kocher, Aesch
"Verzeihung für Bock oder Luftheuler"
Lieber Peter Knechtli, mit Schmunzeln habe ich heute deinen kurzen Text zur Landrats-Sitzung gelesen. Mit der Bitte, die Argumente in der "ureigenen einheimischen Sprache ins Volk hinaus zu tragen", sprichst du mir aus dem Herzen. Ich gehe davon aus, dass du mit der "ureigenen einheimischen Sprache“ nicht nur den Baselbieter Dialekt, sondern alle alemannischen Dialekte gemeint hast.
Ich habe vor über vierzig Jahren im Landrat, später als SP-Fraktionspräsident und als Kantonalpräsident in meinem sehr breiten Bärndütsch politisiert und das Gefühl gehabt, dass das Volk die Argumente auch in meiner Muttersprache wohlwollend verstanden hat.
Über eine komplizierte Materie wie die Zusammenlegung der Spitäler von Baselland und Basel-Stadt nur mit Stichworten zu referieren, ist eine grosse Herausforderung. Deshalb verzeihe ich den Landrätinnen und Landräten gerne den einen oder anderen Bock oder Luftheuler. Diese ungewollten Germanismen vor allem in der Satzstellung in unserem alemannischen Dialekt beweisen wenigstens, dass die Ratsmitglieder ihr Votum minutiös vorbereitet haben. Das ist mir noch heute wichtiger als ein freies Geplauder im Ratssaal.
Paul Schüpbach, Allschwil