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Start des Ozeanium-Streits: Nur virtueller Riesenkrake
Basel könnte bei der Haltung von Meerestieren einen globalen Paradigmawechsel auslösen: Mit dem Verzicht auf ein Ozeanium und der Realisierung der virtuellen "Vision Nemo", die heute von der Fondation Franz Weber vorgestellt wurde.
Basel, 27. Mai 2014
Wie können die Lebenswelten der so faszinierenden wie bedrohten Ozeane den Menschen in der Region Basel nähergebracht werden? Seit heute gibt es zwei Antworten, die Basel bewegen werden und gegensätzlicher nicht sein können.
Gestern schwärmten die Verantwortlichen des Zoologischen Gartens Basel (Zolli) an einer Medienkonferenz mit Projektvorstellung von einem gewaltigen Ozeanium mit 30 Aquarien voller Meereswesen und 4'000 Kubikmeter Wasser auf dem bisherigen "Unort" (Mitteilung) Heuwaage. Name: "Seacliff". Bauzeit: 2018 bis etwa 2021. Kosten: Rund 100 Millionen Franken, die bei weitem noch nicht zusammen sind, und keinen einzigen Steuerfranken kosten sollen.
Das Baugewerbe hätte – nach einem positiven Beschluss zum Standort Heuwaage durch den Grossen Rat – Anspruchsvolles zu verwirklichen. Denn für das viele Geld sollen die Besuchenden auch Spektakuläres geboten erhalten. Beispielsweise Aquarien mit Korallenriffen, eine fesselnde Abfolge von Lebensräumen, von denen jeder seine eigene Geschichte habe. Dann aber auch eine lange Schwimmbahn für Pinguine, Schwärme von Leuchtfischen wie auch Haie, Rochen, Thunfische, Seeotter und sogar ein Riesenkrake sollen die Menschen anziehen.
Verständnis schaffen für die Unterwasserwelten
Die in das energieoptimierte Gebäude gepackten Ozeane sollen Teil eines "Zentrums für Umweltbildung" werden. So verspricht Zolli-Direktor Oliver Pagan: "Das Ozeanium soll den Binnenländern faszinierende Begegnungen mit lebendigen Tieren ermöglichen und die Leute in den unbekannten, schützenswerten Lebensraum Meer führen."
Und Projektleiter Thomas Jermann sekundiert: "Wir wollen zeigen, wie der Mensch die marinen Ressourcen nutzt und wie er in die natürlichen Kreisläufe der Meere eingreift – und diese bisweilen auch schädlich verändert oder gar zerstört."
Das täte dem Zolli auch gut, denn mit dem konsequenten pädagogischen Bezug zur Realität ausserhalb des zoologischen Gartens ist ihm etwa der Zürcher Zoo weit voraus. Beim geplanten Ozeanium streichen die Zolli-Verantwortlichen die Umweltbildung besonders heraus. Weder Show noch Kommerz stünden im Vordergrund, sondern "unsere Expertise in Forschung und Bildung", erklärte des Zollis ranghöchster Homo sapiens. Und selbstbewusst ergänzte Oliver Pagan: "Wer, wenn nicht wir, sollte ein solches Ozeanium bauen?"
Fragwürdige Gross-Aquarien
Die ebenso selbstbewusste Antwort in Form einer realisierbaren Vision gab heute vor zahlreichen Medienleuten und nur einen Tag später in den wuchtigen Gemäuern des Mission21 eine feingliedrige Frau in singendem Welschland-Deutsch: Vera Weber (Bild links), Vizepräsidentin der Fondation Franz Weber (FFW). Was sie in Wort, Bild und Film zusammen mit der Meeresbiologin Monica Biondo und dem Profitaucher Roger Michel (Bild rechts) bar jeder Polemik vorlegte, zeugte von einer zielgenauen und von langer Hand vorbereiteten Attacke auf das Projekt "Seacliff" der Basler Zolli-Verantwortlichen. Kein Wunder auch, dass diese nicht von Vater Franz, Basler und wohl Europas erfolgreichster Umweltschützer, selbst geritten wurde.
Denn Tochter Vera entwarf ein technisch höchst anspruchsvolles Anti-Ozeanium, in dem die Tiere zwar physisch im Meer bleiben, die Menschen gemäss der Fondation aber dennoch viel intensiver und nachhaltiger in die Realitäten der Unterwasserwelten eintauchen lassen.
Die Idee – "Vision Nemo" (neue evolutionäre Meeresobservation) genannt – fusst auf der Auffassung, dass die aufwändigen Gross-Aquarien altertümliche Publikumsmagnete sind, die zahlreiche Meerestiere sterben lassen und gemäss einer repräsentativen Umfrage von 61 Prozent der Bevölkerung in der Deutsch- und Westschweiz abgelehnt würden. Auch das geplante Ozeanium in Basel könne weder den Tieren noch der Umwelt, der Ethik, der Forschung und den neusten pädagogischen Techniken gerecht werden. "Das Publikum muss informiert und sensibilisiert werden, aber ohne dass Tiere und Umwelt Schaden nehmen", erklärte Weber.
Spazieren in der virtuellen Luftblase
Die Alternative als "erstes multimediales Fenster zum Ozean" biete die ebenfalls in einem Gebäude zu realisierende, bislang gegen 40'000 Franken kostende "Vision Nemo". Diese zeige über ferngesteuerte Unterwasser-Live-Kameras, Hologramme, Animatronik, 360-Grad-Vollraumprojektionen, Imax-, XD, interaktive und Computer animierte Technologien die Weltmeere "so wie sie wirklich sind, mit all ihren Schönheiten und Problemen". Die Besuchenden können, so zeigte ein Film den Medienschaffenden, sozusagen auch in einer virtuellen Luftblase unter Wasser spazieren und die um sie herum schwimmenden Fische in dreidimensionalen Bild- und Klangwelten erleben.
"Vision Nemo" sei aber weit mehr als ein jetzt technisch bereits möglicher, revolutionärer Erlebnispark, sagte Monica Biondo. Denn auch für die Wissenschaft biete "Nemo" zahlreiche Chancen – als Labor oder zur Vernetzung verschiedenster Disziplinen, so, dass auch das Publikum in den Genuss der neusten Erkenntnisse komme. Vera Weber enthusiastisch: "Wir wollen mit dieser realisierbaren Idee einen neuen Impuls geben! Mit 'Vision Nemo' könnte Basel weltweiter Pionier im Schutz der Meer werden – aktiv, interaktiv, zukunftsgerichtet, nachhaltig und für alle Generationen."
Wie beim Ozeanium fehlt auch der Fondation Franz Weber das Geld, um heute ihre Vision realisieren zu können. Auf rund 80 Millionen käme die anspruchsvollste Variante gemäss Vera Weber zu stehen. Man hoffe, auch bei den Basler Mäzenen und Mäzeninnen auf Unterstützung zu stossen. Und mit den Zolli-Verantwortlichen werde das Gespräch gesucht. "Denn Basel mit seiner Lage und seiner Infrastruktur ist der perfekte Ort für diesen Paradigmawechsel."
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