© Foto by Peter Knechtli, OnlineReports.ch
Spital-Scheren: Kurzer Schnitt – und ab in den Sondermüll
Die Einweg-Schere im Spital wird oft nur während Sekunden gebraucht. Aber sie durchläuft einen absurden Weg von der Ressource über die Produktion bis zur Trennung in der Schlacke. Das kleine Ökologie-Dilemma als Beispiel für das grosse.
Basel, 31. Januar 2019
Eine mit dem Basler Universitätsspital eng vertraute professionelle Quelle kann den Missmut über eine tägliche Beobachtung nicht mehr verbergen: Wenn Pflegepersonal mit dem Verbandswagen die Patienten besucht, werden wie Klemmen oder Pinzetten auch die 14 Zentimeter langen stählernen Spitalscheren nach einmaligem Gebrauch in den Abfallkübel geschmissen. Dies auch dann – was meist und nicht nur im Unispital der Fall ist –, wenn sie bloss für einen sekundenschnellen Schnipp verwendet wurden.
"Das Spital übernimmt hier keine Vorreiterrolle. Früher wurden die Scheren in einem separaten Behälter gesammelt, gewaschen, sterilisiert und verpackt", erinnert sich die Quelle.
Wegwerfen ist günstiger
Auf Anfrage von OnlineReports heisst es aus dem Universitätsspital unter Bezugnahme auf die Medizinprodukte-Verordnung: "Einweg-Instrumente müssen zwingend nach dem Gebrauch entsorgt werden." Eine Aufbereitung dieser mit einer durchgestrichenen "2" und einem farblich gekennzeichneten Griff sei "nicht zulässig". Nur Mehrweg-Instrumente würden wieder aufbereitet.
Einweg-Instrumente seien auch früher "nie" wiederaufbereitet worden. Hingegen räumt die Klinik ein, dass Stationsmaterial in den letzten Jahren an verschiedenen Behandlungsorten tatsächlich "von Mehrweg- auf Einwegmaterial gewechselt" wurde. Die Begründung: "Wirtschaftlichkeits-Überlegungen über den gesamten Prozess" – oder ausgedeutscht: Die Wegwerf-Praxis ist günstiger.
Über die Kosten einer Wegwerf-Schere gibt das Unispital keine Auskunft. Hingegen beziffert Sprecher Martin Jordan die Zahl der jährlich verbrauchten sechs Scheren-Modellen auf 124'000 Stück.
Ökonomie geht vor
Was hier geschildert wird, ist nur ein kleines Beispiel des Dilemmas eines Betriebs zwischen Ökologie und Ökonomie – erst recht angesichts der sich verschärfenden Klimadebatte – und die Diskrepanz zwischen Aufwand (Ressourcen, Produktion, Transport, Entsorgung) und dem eigentlichen Zweck (im Minimalfall ein einziger Schnitt zur Öffnung eines Verbands).
Wenn die Wegwerf-Scheren im Abfallkübel des Stationswagens gelandet sind, ist ihr Lebensweg noch nicht zu Ende. Laut Angaben des Unispitals werden sie als Sonderabfall in die Basler Kehrrichtverbrennungs-Anlage gebracht und dort als "klinischer Abfall" verbrannt.
Metall aus der Schlacke zurückgewonnen
Dort finden sie sich als Metallschrott in der Schlacke wieder und auch jetzt ist die Behandlung nicht beendet. Denn vor der Einlagerung der Schlacke in einer Inertstoff-Deponie werde der Metallschrott "in der Regel aus der Schlacke zurückgewonnen" und dem Schrotthandel oder der Stahlindustrie zugeführt. "Dadurch werden die Metalle wiederverwertet und das Deponievolumen geschont", gibt sich das Unispital umweltbewusst.
Die Rechnung zur Produktions-, Nutzungs- und Entsorgungskette zu machen möchten wir Ihnen, liebe Leserinnen und Leser überlassen. Sie gibt sicherlich Stoff für lange philosophische Debatten über das Leben im Jahr 2019.
Da braucht man sich nicht zu wundern
Meine Tochter arbeitet seit Jahren als ausgebildete Pflegefachfrau. Auch sie könnte solche Dinge aufzählen. Und es sind beileibe nicht nur Scheren, die da "entsorgt" werden. Das Gleiche bestätigt meine Frau als ausgebildete Seniorenbetreuerin in Spitälern. Da braucht man sich nicht zu wundern über die immer wiederkehrenden Diskussionen der Kosten im Spitalwesen.
Mir stellt sich da schon die Frage: Wer will da überhaupt was ändern, da sich hier verschiedene Interessen gegenüberstehen. Und niemand spricht ein Machtwort, jeder möchte doch seinen Posten behalten. Es wäre eine grosse Überraschung, wenn da was geändert würde.
Bruno Heuberger, Oberwil
"Es geht nur um die billigste Lösung"
Geschützte Arbeitsplätze in der Sterilisation werden mit dem Argument der Qualitätssicherung gestrichen. Woher der Stahl genau kommt und unter welchen Bedingungen die Rohstoffe abgebaut werden, will niemand genau wissen ("vertrauenswürdiger Drittanbieter"). Und ein paar Kilo geschmolzene Scheren in billigen Armierungseisen schliessen für mich keinen Stoffkreislauf.
Ich kenne die Wegwerf-Praxis aus eigener Erfahrung und habe nicht den Eindruck, dass hier ein "Konflikt zwischen Ökologie und Ökonomie" besteht. Es geht nur um die billigste Lösung. Eine Folge des Wettbewerbsdenkens im Gesundheitswesen.
Jean-Luc Perret, Basel
"Warum nicht in einen zweiten Verwendungs-Kreislauf?"
Da sind die Spitäler beileibe nicht allein mit dieser brutalen Vernichtung von wertvollen Gegenständen. Ich habe Gleiches vor einem Jahr bei meinem Hausarzt erlebt: Er musste zwecks Labortests auf Verdacht Nagelmykose eine "Nagelporobe" von meinem Zeh abschneiden. Ich war erstaunt, als er mir das exakt gleiche Scherchen, wie auf dem Bild, in die Hand drückte. Sein Kommentar kurz und bündig: "Nehmen Sie die nach Hause und brauchen sie in der Bastelwerkstatt – wir dürfen sie kein zweites Mal verwenden."
Gesagt – getan: Seither dient mir dieses hervorragende (desinfizierte) Werkzeug zum Zu- und Abschneiden von Klebebändern und -folien. Keine andere handelsübliche Hobby-Schere schafft dies, weil die Klebstoffe regelmässig die Schneidekanten jener blockieren.
Ich war begeistert über sowas und kam dann ins Grübeln: Warum können solche Dinger nicht unkompliziert in einen zweiten Verwendungs-Kreislauf gegeben werden? Getreu den Leitsätzen REFUSE, RE-USE, REPAIR, RECYCLE. Aber – ach ja – dann kommt natürlich so ein eifriger Hygiene-Kontrolleur angehüpft, verbietet dies alles und kassiert dafür eine saftige Kontrollgebühr.
Ueli Pfister, Gelterkinden
"Wem sage ich das!"
Mein Mann hat jahrelange in einer Abteilung der Lehre und Forschung der Universität gearbeitet. Früher, vor 30 oder mehr Jahren, war eine Dame angestellt, deren Aufgabe war es, all die Instrumente und Gefässe zu waschen und zu sterilisieren. Die Instrumente wurden in eine spezielle Folie verpackt, welche die 100 Grad oder mehr aushält. Auf die Verpackung kam ein Kleber. Während des Sterilisationsprozesses verfärbte sich der Kleber mit einem brauen Streifen, was anzeigte, dass die Sterilisation erfolgreich gewesen war.
Es war zwar schon ein Job in einem Niedriglohnsegment – aber es war ein Job für eine Dame, welche auf ihren Verdienst angewiesen war (ich habe sie und ihre Familie persönlich kennen lernen dürfen). Und der Materialverbrauch ... aber ach, wem sage ich das!
Beatrice Isler, Basel