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"Voll integrieren": Eon-Chef Johannes Teyssen, Vertragsentwurf
Laufentaler Stromnetze schon bald in deutscher Hand?
Deutscher Stromkonzern Eon will Mehrheit an der BKW und damit auch sieben Laufentaler Stromnetze beherrschen
Von Marc Gusewski
Im Laufental regt sich Widerstand gegen die Wahrscheinlichkeit, in absehbarer Zeit die Kontrolle über das Stromnetz an den deutschen Stromkonzern Eon zu verlieren. Darüber hinaus erschwert diese Eventualität ohnehin schon laufende, komplizierte Konzessionsvertrags-Verhandlungen zwischen Laufentaler Gemeinden und ihrer Stromversorgerin BKW ("Bernische Kraftwerke").
Im Seilziehen um die künftige Hoheit der Stromnetze in sieben Laufentaler Gemeinden reagierten die BKW-Juristen kürzlich überraschend flexibel. Im bis anhin kontrovers verhandelten Entwurf über einen neuen Konzessionsvertrag ermöglichen die Strom-Juristen neu, vorzeitig zu kündigen. Dann, "wenn sich die Weiterführung des Vertrages für die Parteien als unzumutbar erweist". Damit weicht das bereits zweite Vertragspapier in einem wichtigen Punkt von einem ersten Entwurf ab. Entscheidende Differenz: Artikel 14, Abschnitt 3 offeriert der versorgten Gemeinde "ausnahmsweise unter Einhaltung einer Frist von einem Jahr" die ausserordentliche Kündigung.
Eon will BKW "voll integrieren"
Was veranlasste die BKW zu der Nachbesserung? Anfang September liess sich Johannes Teyssen, Vorstandsvorsitzender der deutschen Eon Energie AG zu einer brisanten Äusserung hinreissen: Demnach strebt der deutsche Stromkonzern nach der BKW-Aktienmehrheit, deren Verkauf beschlossene Absicht von Kantonsregierung und Parlament ist. Der beabsichtigte Handel bis auf eine kantonale Sperrminorität soll rund 500 Millionen Franken in die Staatskasse spülen.
Pikant: Zufällig zeitgleich mit den politisch brisanten Verhandlungen über den BKW-Teilverkauf im Berner Grossen Rat, referierte Teyssen vor Finanzanalysten in München freimütig seine Absicht nach einer "vollen Integration" der "Ertragsperle" BKW. Man plane mit ihr so zu verfahren, wie Eon mit dem viertgrössten schwedischen Stromversorger, Sydkraft, verfahren habe – nämlich die Integration als fixen Konzernbestandteil: Das wäre das Ende der autonomen, heute leicht ökologisch angehauchten BKW, einst als „Staat im Staat“ gehandelt, und ihrer Netzautonomie.
Verwedelung spielt Linken und Grünen in die Hände
Die deutsche Eon ist mit 14 Millionen Kunden und einem sechs Mal grösseren Stromverkauf als die Schweiz überhaupt verbraucht, Europas grösste Investor-finanzierte Stromgesellschaft. Eon hält gegenwärtig zwanzig Prozent am BKW-Aktienkapital, die, wie gesagt, zur Mehrheit ausgebaut werden sollen.
Aber so freimütig wie sich Johannes Teyssen äusserte, wollte sich der Konzern über seine Strategie gar nie auslassen. Die Presseabteilung reagierte umgehend mit Verdunkelungen, während sich die BKW für „nicht zu ständig“ für Kommentare erklärte. Gegenüber der Zeitschrift "Cash" präzisierte Eon-Pressesprecher Guido Knott den Vorstandsvorsitzenden dann so: "Falls sich der Kanton Bern von einem Aktienpaket trennen will, werden wir prüfen, daran einen Anteil zu übernehmen." Eine Anfrage von OnlineReports in der Münchner Konzernzentrale, die mit "on" für ihr Image wirbt, blieb bis dato "off".
Was auch immer die Verwedelungsversuche bewirken sollen, die verwirrenden Statements aus der bayerischen Kapitale fuhren den BKW-Rechtsvertretern gehörig ein: Sie müssen nämlich gerade in diesem Zeitpunkt die Linken und Grünen von diesem Verkauf und der Preisgabe ihrer Versorgungsautonomie sowie einem stolzen Stück Schweizer Stromgeschichte überzeugen. Doch der deutsche Quasi-Oligopolist spielte mit seiner Informationspanne den renitenten Berner Linken und Grünen in die Hände. Diese Parteien hatten sich vergeblich gegen einen weiteren Verkauf von Anteilen gewehrt. SP-Grossrat Rudolf Käser zu OnlineReports: "Unser Widerstand gegen einen weiteren Verkauf an der BKW-Beteiligung hat vor allem damit zu tun, dass damit auch das kostbare Endverbrauchernetz veräussert wird" – just der Punkt, um den sich neuerlich die Konzessionsverhandlungen drehen.
Auch sieben Laufentaler Gemeinden betroffen
Was den Deal zusätzlich kompliziert: Die BKW müssen derzeit mit ihren 300 direkt versorgten Gemeinden, darunter sieben Kommunen im Laufental, neue Bedingungen für die Verlängerung der so genannten Konzessionsverträge aushandeln. Darin geregelt wird über die Dauer der nächsten zwanzig Jahre die Benutzung, Bedingungen und Entschädigung des Stromnetzbetriebes auf Gemeindeboden.
Bisher verliefen diese Verhandlungen nach dem Willen der Berner Gemeindeväter, die mit der BKW-Spitze einen Mustervertrag ausgehandelt hatten, nahezu unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Dabei resultierten unter anderem bisher recht eigenartig anmutende Vertragsklauseln, die der Stromversorgerin so ziemlich alle Freiheiten einräumten, den Gemeinden dagegen wenig Gegenrechte. Dafür aber einige Millionen Franken zusätzliche Konzessionsentschädigungen, worauf es die Berner Vorortsgemeinden vorab abgesehen hatten. Doch nach Teyssens Akquisitions-Offenbarung begannen die Gemeindebehörden zu raunen.
Die Gemeinderäte, die sich bisher redlich um die Vertraulichkeit des Vertragsschachers bemühen, fürchten jetzt unangenehme Fragen - etwa die, ob sie das elementare Stromgeschäft nicht "für ein Linsengericht", nämlich zu nur teilweise bescheiden höheren Konzessionsgebühren und Gegenrechten, an die BKW zu verramschen im Begriff seien. Unter diesen Vorzeichen gerieten die BKW im Laufental nun vollends in die Defensive, hadert man hier doch seit Jahren mit den im Vergleich zu Nachbargemeinden weitaus höheren Stromtarifen. Seit Jahren etwa versucht die Gemeinde Nenzlingen die Unterbaselbieter Elektra Birseck (EBM) für sich und einen Netzwechsel zu interessieren, doch die EBM hält sich zurück - zum Frust der Gemeinde.
Zunehmende Bedeutung von Stromnetzen
Denn das Netz ist der Dreh- und Angelpunkt der Stromversorgung: Wer das Netz kontrolliert, verfügt über den Zugang zur „letzten Meile“ und damit zum Kunden. Wer das Netz wartet, hat die „Hardware“ in der Hand. Darüber hinaus ist das Netz die Basis für das Vordringen der Stromer in die Telekommunikation unerlässlich: Sie können ihre Kabelröhren auch für Telekommunikationsanlagen nutzen. Aber auch Signalübertragungs-Systeme wie etwa Internet via Stromkabel könnten irgendwann interessant werden. Über das Kupferdrahtgeflecht sind dereinst auch Hausservice- und Steuerungssignale denkbar. Das Netz ist auch als „virtuelles Kraftwerk“ als Wirtschaftsfaktor vorstellbar, falls dezentrale Energiegewinnung die Energiewende elektrifizieren würde.
So gesehen liegt das Interesse von BKW/Eon an den Netzen auf der Hand – was sich allerdings noch nicht in allen Gemeinden herumgesprochen hat. Der Chef einer Stromunternehmung sprach gegenüber OnlineReports sogar von verscherbeltem Tafelsilber: "Wer jetzt seine Leitungen verkauft, kann nicht anders, oder nicht rechnen."
30. September 2004