© Foto by OnlineReports.ch
"Schneller, günstiger, besser": Wirtschaftskammer-Chef Buser, Preisübergabe
Digitalisierung: Eine Mut-Spritze für 3'000 Gewerbler
"Tag der Wirtschaft" im Zeichen der digitalen Transformation: Praktischer Anschauungs-Unterrricht
Von Peter Knechtli
Die Wirtschaftskammer Baselland bot gestern Donnerstag am "Tag der Wirtschaft" praktischen Anwendungs-Unterricht zu den Möglichkeiten der Digitalisierung. 3'000 Gäste erhielten in der neuen St. Jakobshalle durch Anwender-Verantwortliche Einblick in die Chancen – aber auch Grenzen.
Kein ernst zu nehmender Berufsverband, der sich nicht die Digitalisierung zuoberst auf die Agenda gesetzt hätte. Die Handelskammer beider Basel fragt ihre Mitglieder: "Are you digital?" und die Wirtschaftskammer Baselland konfrontierte in der St. Jakobshalle ihre Basis im grossen Stil mit praktischen Anwendungsbeispielen.
"Digitalisierung ist Chefsache"
Es sind die Grossen in der Welt, die hier den Ton vorgeben. Die gemessen an ihrer Marktkapitalisierung wertvollsten Konzerne der Welt stammen alle aus dem digitalen Universum, wie Wirtschaftskammer-Direktor Christoph Buser vor Augen führte: Apple, Google, Microsoft und Amazon. Zum Vergleich: Nestlé als physischer Produzent folgt erst an 17. Stelle. Die kleineren Unternehmen und somit auch die Mitglieder der Wirtschaftskammer "stehen noch etwas an", führte Buser aus: "Ich sehe in der Region Basel Nachholbedarf im Bereich der Digitalisierung."
Dies hat offensichtlich damit zu tun, dass sich vielen KMU-Betrieben die Chancen der digitalen Transformation noch nicht erschliessen. Zu unwägbar sind die Risiken beträchtlicher Investitionen gemessen an den Aussichten eines Mehrwerts. Und doch wird sich das Rad der Entwicklung nicht zurückdrehen lassen. "Wer hier fit bleiben will", machte Buser seinem Publikum Mut, müsse sich an oberster Stelle im Betrieb auf den Weg machen: "Das ist Chefsache."
Verschiedendste Anwendungsbereiche
Sechs Firmen-Chefs, Abteilungsverantwortliche und Analytiker aus der ganzen Schweiz präsentierten sodann Beispiele praktischer Anwendung, verbunden oft auch mit einer Prise Selbstpromotion: Der Film- und Medienunternehmer sowie FCB-Präsident Bernhard Burgener, der ASH Group-CEO Barend Fruithof, "Mammut"-CEO Oliver Pabst, die Verantwortliche der Post-Transformation Claudia Pletscher, BLKB-Chef John Häfelfinger und "Avenir Suisse"-Vordenker Samuel Rutz.
Aus ihren Referaten wurde deutlich, dass sich die Digitalisierung in den verschiedensten Bereichen ausbreitet – von virtuellen Fussballspielen über die Steuerung interner Prozesse bis zur elektromotorisierten Nutzung – dass sie aber nie alle Geschäftstätigkeiten wird erfassen können. So sieht Pabst in der Digitalisierung eine "grossartige Chance", auch wenn die Schweiz auf einer Skala von eins bis zehn erst "Position zwei oder drei" erreicht hat. Sein Outdoor-Unternehmen will die neuen Möglichkeiten auch nutzen, um "vom Konsumenten zu erfahren, was er will".
Von der Besetzung neuer Felder
Drei – bereits bekannte – digitale Referenz-Beispiele hat die Post vorzuweisen: den Paket-Transport mit Drohnen, automatisierte Elektroshuttle-Busse in Sion und selbstfahrende Paket-Roboter. Auch wenn es hier (noch) nicht um die grossen Ertragspfeiler geht, will das drittgrösste Schweizer Unternehmen "das Feld nicht andern überlassen".
Es gehe dabei "nicht um den Ersatz des Personals, sondern um ergänzende Anwendungen" (Pletscher), die ihre Grenzen hätten. Allerdings würden Individualisierung, Flexibilisierung und Geschwindigkeit "immer wichtiger". So sei künftig kaum von ganzen Drohnen-Schwärmen auszugehen. Aber gezielte dringliche Anwendungen wie beispielsweise im Bereich der Medizin seien realistisch. In ihren Entwicklungsprozessen habe die Post "immer mit kleinen und grossen Partnern zusammengearbeitet". Mit der Vernetzung "wird alles schneller, günstiger und besser".
Führungskräfte werden Coaches
Selbstkritisch gestand der Baselbieter Kantonalbank-Chef Häfelfinger, die Banken seien "schwerfällig", derweil sich Digitalfirmen im Finanzbereich als "unheimlich flexibel" erwiesen. Allerdings gehe es in der digitalen Anwendung – zumal wegen der "enormen Investitionsrisiken" – "nicht um entweder/oder", vielmehr um ein sowohl/als auch.
So ist Häfelfinger der Meinung, dass "die persönliche Beratung immer wichtiger wird" und nicht durch Online-Consulting ersetzt werden kann. In seiner Bank, in der sich alle duzen, mutiere das traditionelle Hierarchie-Modell zu einem "Modell der Zusammenarbeit", in dem Führungskräfte "immer mehr zu Coaches" werden.
"Wöchentliche Arbeitszeit muss weg"
Samuel Rutz von "Avenir Suisse" nahm thematisch die Angst auf, die Digitalisierung gefährde mittel- und hochqualifizierte Jobs – und relativierte gleichzeitig: Der Strukturwandel sei "nichts Neues", und da sei "auch die Digitalisierung keine andere Story". Indes hätten die technologie- und digitalorientierten Nationen die tiefsten Arbeitslosenquoten.
Allerdings bestehe in der Schweiz Reformbedarf in zweierlei Hinsicht: Die wöchentliche Arbeitszeit müsse durch eine Jahresarbeitszeit ersetzt werden, was mehr Einsatz-Flexibilisierung ermögliche; anderseits müsse der neue Arbeitsstatus des "selbstständigen Angestellten" eingeführt werden, der nicht von der AHV- und BVG-Pflicht, aber von der Arbeitslosen-Versicherung befreit sei.
Subventionierte 3D-Drucker
In einer Diskussionsrunde, moderiert von BaZ-Chefredaktor Markus Somm, äusserten sich regionale KMU-Chefs über ihre Erfahrungen mit der Digitalisierung. Auch hier zeigte sich, dass rechnergestützte Applikationen zwar zu enormen Effizienzsteigerungen führen können, aber der "Faktor Mensch" nicht vergessen werden dürfe: "Der Kunde erwartet fachliche Kompetenz."
An die Politik ging die Bitte nach "weniger Regulierungen und dem Zulassen von mehr Chancen". In der Schweiz werde im Vergleich "eher gebremst" als im Ausland, wo teilweise die Beschaffung von 3D-Druckern subventioniert würden.
Der Kühlschrank mit Internet-Anschluss, der Profis nur noch ein ungläubiges Lächelns entlockt, war am diesjährigen "Tag der Wirtschaft" glücklicherweise kein Anwendungs-Thema – aber auch Blockchain und die möglichen Folgen dieser neuen Transfer-Technologie waren es nicht.
Zu Beginn der grenzwertig befrachteten Grossveranstaltung wurden die Preise "Swiss Innovation Challenge" ("Topadur Pharma AG", Schlieren) und "Swiss Next Challenge" ("GGS Holzbau AG", Gelterkinden, Bild oben) vergeben.
24. November 2017
"Digitalisierungswelle pflügt Arbeitsmarkt um"
Die Wirtschaftskammer nimmt sich da reichlich spät dem Thema Digitalisierung an. Da haben die Verbandsfunktionäre etwas verschlafen. Die Handelskammer und andere Wirtschaftsverbände sind da weiter.
Besonders bedenklich finde ich allerdings die Forderung von Samuel Rutz, Avenir Suisse, den Status der selbstständigen Angestellten zu propagieren. Gerade diese Digitalisierungswelle wird den Arbeitsmarkt umpflügen. Die Arbeitslosenversicherung wird nötiger denn je. Viele Jobs werden verschwinden, neue werden entstehen. Einige Arbeitnehmer werden wohl auf der Strecke bleiben.
Dass die Arbeitgeber die Risiken der durch die Digitalisierung entstehenden Arbeitslosigkeit an die Arbeitnehmer auslagern wollen, ist zynisch. Die Folgen der Arbeitslosigkeit dieser Scheinselbstständigen werden die Gemeinden sprich die Sozialhilfe bezahlen. Die Unternehmer werden ihre Gewinne optimieren, was ja wie die Steueroptimierung legal ist und die Resultate dieser erfolgsreichen Unternehmer lesen Sie in der aktuellen "goldenen Bilanz" mit den 300 reichsten Schweizern. Die Kehrseite dieser goldenen Scheinwelt finden Sie in den aktuellen und künftigen Sozialhilfestatistiken.
Margareta Bringold, Präsidentin der Gemeinsamen Sozialhilfebehörde 2, Laufental, Wahlen
"Wo finden einfachere Leute Arbeit?"
Schön hat die Wirschaftskammer diese Veranstaltung durchgeführt, eine gut Tat. Ich frage mich nur, was machen wir dann mit den einfacheren, weniger begabten Leuten? Wo finden die noch eine Arbeit?
Louis van der Haegen, Aesch