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"Ich habe keine Karriereplanung": Baselbieter SP-Präsident Koller
"Wir sind als Gegengewicht zur SVP auf dem richtigen Kurs"
Der neue Baselbieter SP-Präsident Adil Koller über Erfahrungen und Pläne seiner Oppositions-Partei
Von Peter Knechtli
Siege, die im Parlament nicht mehr möglich sind, will die Baselbieter SP jetzt im Volk einfahren: Die Oppositionspartei plant eine Volks-Initiative mit dem Ziel einer Verbilligung der Krankenkassen-Prämien für Kleinverdienende, wie der neue SP-Präsident Adil Koller im OnlineReports-Interview ankündigt.
OnlineReports: Herr Koller, wie gut kommen Sie mit Ihrem Wirtschafts- und Soziologiestudium voran?
Adil Koller: Gut, gut eigentlich. Das Wirtschaftsstudium erlaubt es, an Abenden und Sonntagen relativ frei zu studieren, ohne immer alle Vorlesungen besuchen zu müssen. Der Bachelor dürfte in einem Jahr fällig werden. Aber die Politik war in den letzten zwei Jahren ein wichtiger Teil meines Lebens. Hier setze ich meine ganze Energie ein.
OnlineReports: Sie sind 23-jährig und führen schon eine Kantonalpartei. Ist das ein Zeichen der Nachwuchsförderung oder des Mangels an erfahrenen Führungs-Persönlichkeiten, die diesen Knochen-Job annehmen wollen?
Koller: Das Alter zählt in der SP nicht, sondern die Einsatzbereitschaft und das Engagement. Die SP hat exzellente Persönlichkeiten jeden Alters, die auf allen Ebenen Verantwortung übernehmen können.
OnlineReports: Hören Ihnen die erfahrenen Genossinnen und Genossen zu?
Koller: Sie hören auf mich und ich auf sie. Es ehrt und rührt mich, wenn ältere Genossinnen und Genossen, die schon viel Verantwortung in der Partei und im Kanton getragen haben, meine Arbeit schätzen, mich anrufen und den Austausch mit mir suchen.
OnlineReports: Was hat sich in der SP Baselland verändert, seit Sie das Präsidium übernommen haben?
Koller: Die SP hat inhaltlich einen direkteren und klareren Auftritt. Intern läuft viel mehr, wie beispielsweise Bildungs-Veranstaltungen oder verstärkte Strassen-Präsenz. Meine Rolle ist es auch, den Leuten Mut zu machen, aufzustehen gegen das, was im Kanton passiert.
"Ich bin bereit für Kompromisse,
aber nicht für faule Kompromisse."
OnlineReports: Wie hat sich der SP-Mitgliederbestand seither entwickelt?
Koller: Wir haben so deutlich zugelegt wie seit Jahren nicht mehr. Es sind junge Leute und junge Eltern, die sich engagieren, aber auch ältere Leute, die ausgetreten sind und jetzt wieder eintreten.
OnlineReports: Die Juso sind tatsächlich auffällig aktiv – so kürzlich im Umfeld der Budget-Debatte. Welches war Ihr Beitrag zur Dynamisierung der Jungsozialisten?
Koller: Ich bin mit 14 den Juso beigetreten und ich habe mit vielen andern meinen Beitrag dazu geleistet.
OnlineReports: Jan Kirchmayr ist als erster Juso in den Landrat nachgerückt. Wie wir hören, werden Sie für Hanni Huggel nächstens auch nachrücken und für Juso-Verstärkung sorgen. Wann ist es so weit?
Koller: Hanni Huggel entscheidet darüber autonom. Und das ist gut so. Ich bin als Präsident der SP Baselland natürlich kein Juso-Vertreter mehr, aber immer noch ein Vertreter der jungen Generation.
OnlineReports: Nur schon die Ankündigung, dass Sie bald Landrat werden, hat im bürgerlichen Lager Nervosität ausgelöst.
Koller: Das nehme ich als Kompliment für meine politische Arbeit.
OnlineReports: Wie wir aus zuverlässigen Quellen erfahren, hat SVP-Landrat Hanspeter Weibel den grünen Landratspräsidenten Philipp Schoch ernsthaft ermahnt, "diese beiden jungen Linken dann im Griff zu behalten".
Koller: Es ist spannend, das zu hören. Das ist eine Bestätigung dafür, dass wir ein klares Profil haben und als Gegengewicht zur SVP auf dem richtigen Kurs sind.
OnlineReports: Planen Sie den Umsturz?
Koller: Welchen Umsturz? Dass wir in den nächsten Wahlen in Landrat und Regierung zulegen wollen, ist ja offensichtlich. Wir haben eine langfristige Vision für unseren Kanton. Insofern sind wir eine Gefahr für das rechte Lager.
OnlineReports: Sie sind bekannt dafür, Klartext zu reden. Welche Reaktionen erleben Sie dabei?
Koller: Bei mir weiss man, woran man ist. Meine Aufgabe ist es auch, Positionen klar zu vertreten. Damit machte ich intern gute Erfahrungen. FDP und SVP haben daran natürlich keine Freude. Sie würden die SP lieber auf ihre Linie ziehen. Das liegt mit mir als Präsident der SP Baselland aber nicht drin. Ich bin bereit für Kompromisse, aber nicht für faule Kompromisse.
"Es braucht keine Automatismen
und keine Denunziationspflicht."
OnlineReports: Im Nachgang zur Therwiler Handschlag-Affäre sprachen Sie in der "Basler Zeitung" von "Denunziationspflicht", wenn die Schulleitung bei Verstössen laut neuem Bildungsgesetz das Migrationsamt informieren muss. Warum so aufgeregt? Man könnte dies auch einfach als "automatischen Informationsaustausch" bezeichnen.
Koller: (lacht) Es braucht tatsächlich eine Hilfestellung für die Schulleitungen, wie sie bei Integrationsproblem umgehen müssen. Aber es braucht keine Automatismen und keine Denunziationspflicht.
OnlineReports: Kennen Sie die historische Konnotation des Begriffs "Denunziation"?
Koller: Ja, definitiv. Die FDP verlangte sogar die Prüfung des Entzugs der Niederlassungs-Bewilligung. Das ist total übertrieben. Den Schülerinnen und Schülern muss ein respektvolles Miteinander beigebracht werden. Die freisinnige Bildungsdirektorin Monica Gschwind ging bei Gesetz und Verfassung aber deutlich zu weit. Deshalb habe ich deutliche Worte gewählt. Auch Staatsrechtler kritisieren diese absurden Regulierungen.
OnlineReports: Sie sind bekannt als Kritiker der Wirtschaftskammer Baselland. Wie haben Sie persönlich kürzlich zur Energie-Steuer gestimmt?
Koller: Ich stimmte zweimal Ja ...
OnlineReports: ... obschon die Wirtschaftskammer bei einem Volks-Ja gute Chancen gehabt hätte, die Auftrag für die Abwicklung der Standard-Gesuche weiterführen zu können.
Koller: Die SP konnte die Regelung im Gesetz verankern, dass dieser Auftrag hätte öffentlich ausgeschrieben werden müssen. Wir empfahlen ein zweifaches Ja, weil es uns in erster Linie um fortschrittliche Energiepolitik ging.
"Die SP muss als klare Alternative zum
Kurs der rechten Regierung agieren."
OnlineReports: Wie wohl fühlt sich die nicht mehr in der Regierung vertretene SP so allein in der Oppositionsrolle?
Koller: Es ist nicht angenehm. Besonders schwierig ist es, wenn im rechtskonservativ dominierten Parlament die Diskussion über soziale Anliegen verweigert wird.
OnlineReports: Was ist die Konsequenz aus diesem Befund?
Koller: Bei den nächsten Wahlen müssen wir es besser machen. Die SP muss als klare Alternative zum Kurs der rechten Regierung agieren, eine deutliche Sprache verwenden und die sozialen Anliegen vertreten. Dann wird sie wahrgenommen und auch gewählt. Wie wir finden auch bürgerliche Wähler, dass die linke Stimme im Sinn der Konkordanz und des Ausgleichs in die Regierung gehört.
OnlineReports: Aus dem Landrat ist zu hören, die SP wirke in den Debatten oft "wie ein geschlagener Hund". Sie finde aus ihrer Minderheits-Position heraus die adäquate, souveräne Sprache nicht, ihre politischen Gegner zu zerpflücken.
Koller: Zu Beginn der Legislatur war es schon recht schwierig, mit diesen rechtskonservativen Mehrheits-Verhältnissen zurecht zu kommen. Aber ich nehme wahr, dass die Fraktion sich an diese Verhältnisse gewöhnt hat und damit lustvoller umgeht. Denn was wir im Parlament nicht durch bringen, können wir vor dem Volk gewinnen. "Elba" ist ein Beispiel.
OnlineReports: Im Landrat, in dem SVP und FDP die Hälfte aller Sitze belegen, ist es ungleich schwieriger, Erfolge zu erzielen.
Koller: Es ist praktisch unmöglich. Die Rechten blockieren alles. Sie haben in der Budgetdebatte sogar die Zahnputz-Instruktionen auf Kindergarten-Stufe gestrichen. So weit sind wir in diesem Kanton.
OnlineReports: Welche Erfolge konnte die SP seit dem Rausschmiss aus der Regierung buchen – abgesehen vom Volks-Nein zum Elba-Strassenbau-Projekt?
Koller: Wir brachten ganz am Anfang der Legislatur Vorstösse zu bezahlbaren Wohnungen durch. Auch hat das Volk den Ausbau der Rheinstrasse abgeschossen.
OnlineReports: Erfolgsaussichten hat die U-Abo-Initiative gegen die Kürzung der Staatsbeiträge, welche die SP zusammen mit den Grünen lanciert hat.
Koller: Das wird eine Ohrfeige für die Regierung geben. Davor fürchtet sie sich auch. Die Bevölkerung wird nicht bereit sein, das U-Abo aufgrund schlechter Regierungspolitik einfach so aufzugeben.
OnlineReports: Bleiben Sie dabei, dass die SP Baselland „schampar unbequem“ bleibt, wie es Helmut Hubacher in den achtziger Jahren einmal ausdrückte?
Koller: (lacht) Dieses Zitat ist dreissig Jahre alt. Die SP bleibt kritisch-konstruktiv.
"Die Rechten wissen genau, dass sie
vor dem Volk verlieren würden."
OnlineReports: Aber welches Bevölkerungssegment will die Baselbieter SP bedienen?
Koller: Es geht um Menschen mit tieferen und mittleren Einkommen, junge Familien, die Mühe haben, eine bezahlbare Wohnung zu finden, und die ihre Krankenkassen-Prämien nicht mehr bezahlen können. Aber auch all die Leute unabhängig von der eigenen Betroffenheit, denen der soziale Ausgleich, eine intakte Umwelt und eine offene Gesellschaft wichtig sind.
OnlineReports: Was dürfen diese Menschen von der SP erwarten?
Koller: Wir haben eine Wohnungs-Initiative eingereicht, die hängig ist. Hier könnte die Regierung nun eigentlich vorwärts machen und eine Vorlage ausarbeiten. Es herrscht Wohnungsnot im Baselbiet! Unsere Krankenkassen-Vorstösse zur Erhöhung der Prämienverbilligung wurden im Landrat leider alle abgelehnt.
OnlineReports: Und dabei bleibt es?
Koller: Im Gegenteil, wir planen jetzt, eine Initiative zu lancieren. Die Geschäftsleitung hat das schon beschlossen und legt dies der Delegierten-Versammlung im Januar zum Entscheid vor.
OnlineReports: Welche Stossrichtung soll die Initiative haben?
Koller: Der Text steht noch nicht definitiv. Aber die Problematik ist klar: Während die Prämien jährlich deutlich steigen – und im Baselbiet richtiggehend explodieren –, sinken die Prämienverbilligungen, weil die Regierung das so beschlossen hat. Viele können sich die Prämien nur noch schwerlich leisten.
OnlineReports: Wann wollen Sie diese Initiative lancieren?
Koller: Im Verlauf des ersten Halbjahres 2017.
OnlineReports: Wie erleben Sie die aktuelle Baselbieter Politik unter den Verhältnisse einer klaren bürgerlichen Mehrheit?
Koller: Wenig konstruktiv. Es wird weniger diskutiert, weil die rechte Mehrheit nicht auf Diskussionen angewiesen ist und alles durchdrücken kann, was sie will. So wird heute die ganze Abbaupolitik durchgedrückt, ohne dass das Volk etwas dazu sagen kann. Die Rechten wissen genau, dass sie vor dem Volk verlieren würden. Aber leider sind all diese Abbau-Vorlagen nicht referendumsfähig – und das Volk kann somit dazu nichts zu sagen.
OnlineReports: Wie beurteilen Sie die Leistung der bürgerlichen Regierung?
Koller: Sie repräsentiert nicht angemessen die politischen Kräfte im Baselbiet. SVP-Regierungsrat Thomas Weber empfinde ich als konstruktiven Schaffer, mit dem man den Dialog pflegen kann, etwa über die regionale Gesundheitsplanung.
OnlineReports: Ihre Lieblings-Gegnerin ist die freisinnige Bau- und Umweltschutzdirektorin Sabine Pegoraro. Was missfällt Ihnen an ihr so sehr?
Koller: Für die Politik, die sie macht, muss sie kritisiert werden. Sie musste in dieser Amtsperiode schon recht viele Abstimmungs-Niederlagen einstecken und muss sich darum fragen, ob sie dem Kanton noch hilft oder nicht.
"Man soll mir einmal so viele profilierten
Namen in FDP und SVP nennen."
OnlineReports: Weshalb will die SP den 64-jährigen Hannes Schweizer ehrenhalber zum Landratspräsidenten machen, statt die Chance wahrzunehmen, einem ambitionierten Fraktionsmitglied die Chance zur Profilierung und Erhöhung der Bekanntheit zu geben?
Koller: Es geht nicht um Bekanntheit und Profilierung, sondern darum, ein Parlament zu führen. Die Mitglieder der Fraktion profilieren sich durch ihre politisch-inhaltliche Arbeit, das kann man im Landratspräsidium nicht mehr. Hannes Schweizer als erfahrene Persönlichkeit ist im Landratspräsidium richtig.
OnlineReports: Es heisst, die SP habe in ihrer Fraktion zu wenig profilierte politische Köpfe. Welche Namen würden Sie nennen, um dieser These zu widersprechen?
Koller: Miriam Locher und Kathrin Schweizer sind als aktuelle und ehemalige Fraktionspräsidentinnen sehr präsent, Urs Kaufmann, der die Finanzen nach nur einem Parlamentsjahr schon im Detail kennt. Denken Sie weiter an kommende Leute wie den Juristen Diego Stoll oder Bildungspolitiker Roman Brunner. Man soll mir einmal so viele profilierten Namen in FDP und SVP nennen.
OnlineReports: Welchen Zeithorizont haben Sie sich für das SP-Präsidium gegeben?
Koller: Ich habe keine Karriereplanung. Ich bin nun mal für zwei Jahre gewählt bis im Frühling 2018. Die Arbeit macht mir Spass und ich hoffe, dass man dies auch spürt. Daher kann ich mir heute durchaus vorstellen, die SP Baselland auch danach noch weiter zu führen. Ich habe ein gutes Team, das mich unterstützt.
OnlineReports: Welchen Anspruch haben Sie für diesen Zeitraum an sich selbst gestellt?
Koller: Die SP soll noch stärker als Alternative zu den Rechten wahrgenommen werden, Mitgliederzuwachs verzeichnen, ihren Bewegungs-Charakter stärken und gute Kampagnen machen.
OnlineReports: Ihre Wohngemeinde Münchenstein hat zur Mehrwertabgabe soeben einen grandiosen Sieg vor Bundesgericht erzielt. Freut Sie das?
Koller: Und wie! Offenbar müssen in diesem Kanton die Gemeinden einspringen, wenn der Kanton von sich aus nichts macht. Diesem Kanton entgingen selbstverschuldet mehrere Jahre lang Einnahmen, weil er das Mehrwertabgaben-Gesetz hinauszögerte.
20. Dezember 2016
Gesprächspartner: Adil Koller
Der 23-jährige Adil Koller ist sei April dieses Jahres Präsident der Baselbieter SP. Zuvor führte er die Partei im Co-Präsidium zusammen mit Landrätin Regula Meschberger. Koller studiert Wirtschaft und Soziologie an der Universität Basel. Er lebt in Münchenstein und dürfte im Verlauf der kommenden Monate in den Landrat nachrücken.