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"Expertisen von weither": Barockorchester "La Cetra", Probe
Kampf der Orchester
Neues Fördermodell für Basler Orchester und eine international besetzte Fachjury werfen kritische Fragen auf
Von Jürg Erni
Eine Neuinszenierung auf dem Basler Orchesterpodium. Unter der Regie des staatlichen Kulturchefs Philippe Bischof und der Projektleiterin Caroline Specht soll künftig eine Fachjury die Qualitäten der hiesigen Profi-Orchester testen und die Auswahl der förderungswürdigen Ensembles vorschlagen. Das Modell einer Umwandlung in Subventionsgelder provoziert Fragen.
Leise rieselt vom Rathaus roter Sandstein. Eine Taube überbringt Basels Bürgerschaft eine bischöfliche Botschaft aus dem Präsidialdepartement: In der Rohrpost liegt das neue Fördermodell für die Basler Orchester. Es birgt kulturpolitischen Zündstoff.
"Notwendig ist heute eine Förderpolitik, die der Entwicklung, Profilsteigerung der künstlerischen Qualität der Klangkörper dienlich ist und eine gezielte Positionierung des Musikstandorts Basel anstrebt." Uff! Das tönt ohne Einstimmung auf einen Kammerton schon mal schön schräg!
Jetzt wird’s kompliziert: "Das neue Fördermodell basiert auf vier Förderinstrumenten, die einander ergänzen: Finanzhilfe (Subvention), Programmförderung (Neu), Projektförderung, Strukturförderung (Neu)."
Auserwählte Klangkörper
Flexibilität ist gefragt. "Mit dem neuen Fördermodell kann der Kanton Basel-Stadt künftig flexibler auf aktuelle Strömungen, strukturelle Veränderungen und Bedürfnisse im Basler Musikleben reagieren." Alles offen für die Orchester, die im Modell "Programmförderung" eingebunden sind. Also, Privatorchester: Gesuche verfassen, aber subito bis 1. März!
Bei der "Programmförderung" sind unter "Ausgewählte Klangkörper" die Privatorchester ohne garantierte Subventionen angesiedelt. Sie müssen sich immer wieder neu um Förderungsgelder bemühen. Die Förderungslaufzeit reicht von vier Jahren (SOB), drei Jahren (Klangkörper), einem Jahr (Projektförderung) bis unbefristet (Strukturförderung Neu).
Eine auswärtige Fachjury soll's richten
Die baselstädtische Konzept- und Projektentwicklerin Caroline Specht nimmt sich der Gesuche an und leitet sie an eine Programmförderungs-Fachjury weiter. Diese soll "die eingereichten Konzertprogramme nach den öffentlich zugänglichen Kriterien beurteilen und dem Regierungsrat BS die Auswahl der zu fördernden Orchester vorschlagen".
Die neu besetzte Fachjury besteht aus zwei Schweizern – kein gebürtiger Basler ist dabei – und fünf deutschen Staatsangehörigen, darunter zwei Frauen. Die weit verstreute Jury (siehe Kasten) soll herausfinden, welches Orchester in Basel förderungswürdig ist. Nach welchem Schlüssel? Sind wir auf einer Orchesterbörse, die mit Kurswerten operiert?
Nach dem hoffentlich einvernehmlichen Urteil der sieben Weisen hat die Jury ihre Pflicht getan und dürfte einige Spesen und Honorare hinterlassen. Darüber liegen keine Zahlen vor.
Orchester liegen auf der Hand
Nun ist der Regierungspräsident an der Reihe. Guy Morin wird sich die Vorschläge anhören und die Orchester Revue passieren lassen: das Kammerorchester Basel, das mit seinen Gastspielen den Namen der Heimatstadt in die weite Welt trägt; die "Basel Sinfonietta", die sich organisatorisch gerade neu aufgestellt und in der Messe Basel zeitgenössische Musik vor vollem Haus gespielt hat; das Barockorchester "La Cetra", das unter Andrea Marcon auch schon mehrfach im Orchestergraben brilliert hat; das dirigentenlose, zweidutzend-köpfige Kammerorchester "Capriccio", das die Basler Chöre in ihren Barock-Oratorien begleitet; schliesslich das Collegium Musicum, das sich auf dem örtlichen Podium bisher ohne Subvention gemausert hat; at least das ewig "Neue Orchester Basel".
Die hiesigen, professionellen Klangkörper dürften beim Gang zur Krippe in Basels Kulturstall mit ihren Gesuchen über die Höhe der Zuteilung zittern.
Fragt sich nur: Wie setzt das Pas de Deux Bischof/Specht die qualitative Auswertung in klingende Münzen um? Etwas Bewegung kann im Orchester-Daig gewiss nichts schaden. Doch der Kuchen der Gelder wird nicht grösser und verteilt sich auf mehr Subvenienten. Der Verteilkampf ist eröffnet.
Zu Futterneid anstiften?
Was soll die aufwändige Übung? Will unsere Kulturabteilung eine künstliche Konkurrenz schaffen, den Futterneid anstiften? Muss sie sich mit Expertisen von weither sagen lassen, dass das Orchester A besser oder schlechter klingt, als es in der Heimatstadt wahrgenommen wird? Braucht die Staatskultur-Abteilung Hörhilfen, um zu erkennen, wer am flexibelsten fiedelt?
Dabei herrscht zurzeit Aufbruchstimmung unter den Orchestern – trotz schwieriger Zeiten: beim "staatlichen", in zweistelliger Millionenhöhe subventionierten Sinfonieorchester, das mit Hans Georg Hofmann in der Orchesterleitung (vormals Kammerorchester Basel) zur Hochform aufläuft, wie die letzten Konzerte gezeigt haben, ebenso wie bei den Privatorchestern, beim Reise-Kammerorchester oder bei der "Basel Sinfonietta", die sich dem Mief der Selbstbestimmung entzogen und einen Chefdirigenten geordert hat.
Und unter der jungen Generation im Orchesterkader herrscht ein seltenes Einvernehmen. Jeder kämpft auf seinem Posten mit seinen Mitteln ums Überleben.
Das Grundversorgungs-Orchester
Das Orchesterförder-Modell klammert sich an ein Organigramm: Das Sinfonieorchester Basel (SOB) hat einen "Grundauftrag" und gewährleistet die "Grundversorgung". Eine Allgemeine Klasse im orchestralen Bürgerspital gleichsam.
Das Grundversorgungs-Orchester veranstaltet eigene Konzertreihen und spielt im Orchestergraben nach Dienste-Disposition etwa mit einer Klezmer-Band am Ballettabend bis gross besetzt in einer Wagner-Oper. Auf dem Musiksaal-Konzertpodium buhlen SOB wie die Privatorchester auf gleicher Augenhöhe um die Gunst des Publikums.
Qualitative Unterschiede sind dabei nicht leicht auszumachen. In den Profi-Orchestern spielen praktisch nur Musikerinnen und Musiker mit Hochschulabschluss. Sie helfen sich auch gegenseitig aus, zumal wenn seltene Besetzungen gefordert sind. Nur die Honorierung ist unterschiedlich. Ob nach Tarif des Schweizerischen Musikerverbands oder darunter, ist eine Frage des Angebots.
Zweiklassen-Orchestergesellschaft
Das SOB ist als Basels Leading-Orchestra gesetzt. Es bezahlt seine MusikerInnen mit einem sozial abgesicherten Gesamtarbeitsvertrag, während sich die Mitglieder in den freien Orchestern um ihre Altersversorgung selber kümmern müssen. Eine Zweiklassen-Orchestergesellschaft. Auch das SOB kann sich aber nicht auf Lorbeeren ausruhen und muss eine halbe Million Franken einsparen, was auf die Zahl der Musikerpositionen drückt.
Der Orchesterförderungs-Prozess ist eingeläutet. Zu stoppen ist er kaum mehr bis zum Ende der Legislaturperiode, auch wenn damit die Planungssicherheit für die Orchester eher gewährleistet wäre.
Es sollte doch in unserer Musikstadt eine Handvoll urteilsfähiger, unabhängiger Fachleute geben, die durch ihre Hör-Erfahrung vor Ort im Konzert und Theater sehr wohl zu unterscheiden wissen, welche Klangkörper mehr oder weniger Unterstützung verdienten.
Lob und Anerkennung wären nötig
Die Orchesterszene ist über das Fördermodell verstört. Nicht grundlos, ist es doch zeitraubend und mühsam, im Drei-Jahres-Rhythmus Konzepte immer wieder neu auszuarbeiten, die Leistungen und Erfolge auszuweisen, für einen Obolus anzustehen und sich von einer Fachjury aus der Ferne diktieren zu lassen, ob man mehr oder weniger akzeptiert ist.
Eher verdienten die initiativen Klangkörper Anerkennung und Aufmunterung auf ihren Pfaden zum künstlerischen Erfolg unter ökonomischen Bedingungen, die zusehends härter werden, und die keine allzu weiten Bogenstriche zulassen.
30. Januar 2016
Die Qualitäts-Richter
Die Mitglieder der Fachjury für die Programmförderung Basler Orchester:
• Valerio Benz, Musikredaktor SRF 2 Kultur
• Michael Breugst, Musikredakteur WDR 3 Köln
• Roman Brotbeck, Publizist
• Björn Gottstein, Leiter Donaueschinger Musiktage
• Christine Lemke-Matwey, Feuilletonredakteurin "Die Zeit"
• Regula Rapp, Rektorin Musikhochschule Stuttgart
• Alexander Steinbeis, Deutsches Symphonie-Orchester Berlin
• Caroline Specht, Präsidialdepartement Basel-Stadt (ex officio)