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"Bisherige Praxis überdacht": FDP-Brief an Erst- und Neuwählende
Mit Staats-Adressen: Basler FDP schreibt Klima-Jugend an
Freisinnige zapften für einen Wahlwerbungs-Versand Daten der staatlichen Bevölkerungsdienste an
Von Peter Knechtli
Um mit einer Wahl-Werbung an die Klima-Jugend zu gelangen, zapfte die Basler FDP über 15'000 amtliche Adress-Daten der staatlichen Bevölkerungsdienste im freisinnig geführten Justiz- und Sicherheitsdepartement an. Was wie eine Kungelei unter Parteifreunden wirkt, ist gestattet.
Die in Basel wohnende Mutter Frieda Winteler* machte dieser Tage grosse Augen, als sie einen Brief der FDP Basel-Stadt an ihren Sohn zu Gesicht bekam. Im Schreiben "an die Erst- und Neuwählerinnen und -wähler des Kantons Basel-Stadt" werben die Freisinnigen dafür, ihre Nationalratsliste einzulegen.
Stutzig machte Frau Winteler insbesondere die Deklarations-Fussnote zum Datenschutz: "Ihre Adresse für diesen Brief stammt von den Bevölkerungsdiensten Basel-Stadt und wurde direkt dem Bürgerspital übermittelt, welches diesen Brief eingepackt hat. Die FDP hatte zu keinem Zeitpunkt Zugriff auf Ihre Adressdaten."
Zielpublikum Klima-Jugend
Die Mutter des Empfängers fragte sich, wie es möglich sei, dass die FDP aus dem vom Freisinnigen Baschi Dürr geführten Justiz- und Sicherheitsdepartement (JSD) an die Adressen gelangen konnte, mit den vermutlich vor allem die Klima-Jugend angesprochen werden sollte. Eines ihrer Protest-Plakate: "FDP=Fuck De Planet".
FDP-Kantonalpräsident Luca Urgese, der selbst für den Nationalrat kandidiert, beantwortete die Fragen von OnlineReports mit bemerkenswerter Offenheit. Danach ging der Werbebrief an 15'500 Adressen, die bei den Bevölkerungsdiensten bestellt worden seien. Der Einpack- und Versandauftrag erfolgte im Basler Bürgerspital. Der Versand kostete günstige 16'000 Franken – die Gebühr des Kantons, die Dienstleistung des Bürgerspitals, das Material und das Porto inbegriffen. Laut Urgese war es "das erste Mal", dass seine Partei die Adressen-Herausgabe des Bevölkerungsamtes nutzte.
Kein "Freundesdienst"
Was beim ersten Betrachten wie ein "Freundesdienst" des FDP-Departements an die FDP-Wahlstrategen interpretiert werden könnte, ist völlig legal und allen Parteien erlaubt. Die gesetzliche Grundlage ist Paragraf 11 des neuen kantonalen Gesetzes über Niederlassung und Aufenthalt (NAG), das erst seit dem 1. Juli 2017 in Kraft ist. Unter dem Titel "Datenbekanntgabe" ist die Adressen-Vermittlung geregelt (Wortlaut in der Box unten) – allerdings nur, "wenn die Daten ausschliesslich für schützenswerte ideelle Zwecke verwendet werden".
Dass die Wahlwerbung einer Partei tatsächlich "ausschliesslich schützenswerte ideelle Zwecke" verfolgt, ist für den Basler Datenschutzbeauftragten Beat Rudin unbestritten. Wichtig sei aber, dass die Bevölkerungsdienste die Daten "rechtsgleich und willkürfrei herausgeben", also nicht bestimmte Parteien oder Gruppierungen besser oder schlechter behandeln.
Bisherige Herausgabe-Praxis ausgeweitet
Im ihrem Bericht zum neuen NAG vom 12. Dezember 2016 schreibt die Justiz-, Sicherheits- und Sportkommission des Grossen Rates, Datenauskunftsgesuche von politischen Parteien und Organisationen seien "bis anhin von der Einwohnerkontrollbehörde nur mit äusserster Zurückhaltung behandelt worden". Aufgrund neuster kantonaler Rechtsprechung müsse die bisherige Praxis allerdings "überdacht werden".
Grund: Das Verwaltungsgericht des Kantons Zug habe in seinem Entscheid vom 30. März 2016 die Sammelauskunft an eine Partei bei einer eng definierten Zielgruppe und in Bezug auf einen begrenzten Zeitraum "als schützenswertes ideelles Anliegen qualifiziert" und damit die Herausgabe der Daten von "Jungen" und "Neuzugezogenen" an eine politische Partei mit Sitz im Kanton Zug "zum Zwecke der Wahlwerbung vor eidgenössischen Wahlen als zulässig erachtet". Ironie: Unterschrieben hat diesen Kommissionsbericht Präsidentin Tanja Soland, die derzeit als neue SP-Regierungsrätin kandidiert.
Bürger können Daten sperren lassen
JSD-Sprecher Toprak Yerguz meinte unter Bezugnahme auf die gesetzlichen Grundlagen zu OnlineReports: "Wir sind befugt, Adressen an Drittpersonen weiterzugeben, sofern die Daten nicht mit einer Datensperre belegt sind." Jeder Einwohner könne seine Daten bei der Einwohnerkontrolle sperren lassen. Diesen Hinweis erhalte jede Person auf Anfrage. Er sei auch auf dem Anmeldeformular enthalten, das sich im Kanton Basel-Stadt anmeldende Personen erhalten.
Laut Verordnung sind Adressauskünfte der Bevölkerungsdienste kostenpflichtig. Die Gebühr für eine Adressauskunft kostet gemäss Toprak "pro Adresse bis 20 Franken". Wie hoch der Preis für die Bestellung der FDP ist, führte der Sprecher nicht aus.
Daten-Löschung nach Auftrags-Abschluss
Catherine Hof, die Sprecherin des Bürgerspitals, erklärte gegenüber OnlineReports, die Daten, die das Spital im Zusammenhang mit einem Kundenauftrag erhalten, würden "vertraulich behandelt". Die Mitarbeiter handelten "gemäss Personalreglement und unterlägen der Schweigepflicht und dem Datenschutz". Jeder Mitarbeiter sei "zur Einhaltung der im Datenschutzreglement geltenden Bestimmungen verpflichtet".
Auf die Frage, wie gesichert werde, dass diese Daten vertraulich behandelt und nicht für weitere Zwecke abgespeichert werden, sagte Hof: "Nach Abschluss eines Auftrages werden die Daten gelöscht." Zur Höhe der Kosten, die der FDP verrechnet wurden, wollte sie keine Angaben machen. Laut Catherine Hof gehören die Basler Bevölkerungsdienste auch zu den Kunden des Bürgerspitals. Informationen über Bestellungen würden nicht bekannt gegeben.
Fazit: Die FDP hat eine Gesetzespassage, die vermutlich noch nicht tief im Bewusstsein der Parteien verankert ist, geschickt ausgenutzt. Kommissionspräsidentin Tanja Soland relativiert gegenüber OnlineReports: "Inwiefern die Briefe an gezielte Einwohnerinnen und Einwohner sinnvoll und erfolgreich sind, kann ich nicht beurteilen. Die Angeschriebenen könnten dies auch als zu aufdringlich empfinden."
* Name durch die Redaktion geändert
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2. Oktober 2019
Weiterführende Links:
Das Gesetz im Wortlaut
Die Einwohnerkontrollbehörde ist befugt, (...) "privaten Personen und Organisationen auf schriftliches Gesuch hin nach bestimmten Kriterien geordnet Familiennamen, Vornamen, Geburtsdatum und Adresse von Personen bekanntzugeben, die in der Gemeinde wohnen, wenn die Daten ausschliesslich für schützenswerte ideelle Zwecke verwendet werden. Zulässige Kriterien sind ausschliesslich Alter, Geschlecht, Adresse, Stimmberechtigung und Zuzug".
Quelle:
§ 11 Abs. 2 lit. d
Gesetz über Niederlassung und Aufenthalt Basel-Stadt