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"Hie und da verunsichert": Basler Hauptsitz der "Wir"-Bank
"WIR-Bank"-Kunden ist das Wir-Gefühl vergangen
KMU und Grosslieferanten springen von der Alternativwährung ab, weil sie sie kaum mehr loswerden oder aussteigen
Von Peter Knechtli
Die in Basel domizilierte "WIR-Bank" löste mit ihren neuen Geschäftsbedingungen grossen Ärger aus: KMU und Grossfirmen distanzieren sich von der gewerblichen Alternativwährung, wie ein Fall aus dem Oberbaselbiet exemplarisch zeigt. Handwerker bringen ihre "WIR" bei den Lieferanten nicht mehr ab, weil diese aus dem System aussteigen.
Der erfolgreiche Ormalinger Unternehmer Andreas Rieder, Gründer des bekannten Böcktener Gourmet-Unternehmens "Le Patron", beabsichtigt, mit seiner Immobilienfirma "Caprera AG" im Oberbaselbiet zwölf Eigentumswohnungen zu bauen. Als sich der beauftragte Architekt Ralph Spinnler, selbst der "WIR-Bank" angeschlossen, die Auftragsvergabe plante, machte er eine unangenehme neue Erfahrung beim Versuch, rund fünf Prozent der Auftragssumme von fünf bis sieben Millionen Franken in "WIR" zu bezahlen: Angefragte Betriebe des Bau- und Baunebengewerbes sagten ab.
Baufirmen bringen ihre "WIR" nicht mehr ab ...
Nach dem Grund befragt, an der Vergabe unter diesen Bedingungen nicht teilnehmen zu können, tönte es reihenweise: Die Betriebe bringen ihr "WIR" nicht mehr ab, weil wiederum ihre Lieferanten dieses in Gewerbekreisen seit Jahrzehnten übliche Alternativ-Zahlungsmittel nicht mehr annehmen.
An der Vergabesitzung des Millionenauftrags konnte Spinnler gerade mal 40'000 "WIR" (was 40'000 Franken entspricht) platzieren. Dies, obschon ihm ein potenzieller Käufer bereits 300'000 "WIR" als Kaufpreis-Anteil angeboten hatte. Vor Jahren, so Spinnler zu OnlineReports, sei es "bei einer solchen Vergabesumme kein Problem gewesen, fünf Prozent in 'WIR' bei den Handwerkern zu plazieren. Doch jetzt herrsche eine "riesige Unsicherheit", weil sich "praktisch alle Unternehmer" gegen "WIR" stemmen.
... und Lieferanten nehmen keine mehr an
Recherchen zu diesem Fall in den letzten Wochen bestätigen, dass potenzielle Auftragnehmer mit "WIR" nichts mehr zu tun haben wollen. Der Tenor der Aussagen ist klar: "Jeder hat noch 'WIR' und bringt sie nicht los", bisher sei das Geschäft mit der Alternativwährung gut gelaufen, "aber jetzt ist es eine Katastrophe", meinte ein Unternehmer zu OnlineReports.
Ein anderer KMU-Inhaber sprach vom immensen Preisdruck im Baugewerbe und den Folgen: "Wenn es um ein Auftragsvolumen von 9'000 Franken geht, werden 10'000 'WIR' verlangt, damit die Währung überhaupt noch abgenommen wird."
Firmen steigen aus
OnlineReports hat Belege dafür, dass grosse, teilweise marktmächtige Fahrzeughersteller, Kies- und Betonunternehmen, Baumaterial-Lieferanten keine "WIR" mehr annehmen. So war "Scania Schweiz AG" letzten Dezember "gezwungen", die Zusammenarbeit mit der "WIR-Bank" zu kündigen, wie die Kunden erfuhren.
Ähnlich tönt es bei der Firma IFF AG in Niederbipp: Das heisse, "dass wir ab dem 1. April 2017 keine 'WIR'-Zahlungen mehr entgegen nehmen beziehungsweise auf keine 'WIR'-Geschäfte mehr eintreten können". Auch die "HG Commerciale" stieg aus dem "WIR"-Geld-Geschäft aus. Die "Mägert G&C Bautechnik AG" löste ihr "WIR"-Konto Ende 2016 auf.
Verpflichtung zur "WIR"-Annahme
Der Grund für die Flucht aus dem "WIR" ist im Kern immer derselbe: Es sind die neuen, von der "WIR-Bank" letzten Oktober beschlossenen Geschäftsbedingungen, in der die "WIR"-Teilnehmer zu einem fixen Annahme-Anteil verpflichtet wurden. Sie mussten ausserdem ihr Einverständnis zur Steuerehrlichkeit deklarieren und dazu, "dass die Bank die Kundenbeziehung mit der Bank sowie damit verbundene Daten öffentlich bekanntgibt" – darunter auch die Bonität des Kunden.
Auf Anfrage von OnlineReports räumte "WIR-Bank"-Sprecher Volker Strohm ein, dass die "Fülle an Neuerungen hie und da verunsichert" habe. Auch machte er keinen Hehl daraus, dass es in letzter Zeit Kündigungen gab. Diese hätten aber "zu einem sehr grossen Teil Kunden betroffen, die in den vergangenen Jahren kaum oder sogar überhaupt keine 'WIR'-Umsätze gemacht hatten". Strohm weiter: "Wir haben diese mit unserer Modernisierungsoffensive quasi wachgerüttelt."
Bank musste nachbessern
Nach dem Protest von Kunden besserte die Bank die Bedingungen für Kunden mit einem Umsatz von jährlich über 100'000 "WIR" nach, indem nun ein Mindestannahmesatz von Null Prozent galt. Doch Kunden, die den neuen Basisvertrag bis 31. Dezember nicht unterzeichnen, "müssen wir leider aus dem 'WIR'-Netzwerk verabschieden", schreibt Strohm. Sie hätten im Falle eines verbleibenden Guthabens "die Möglichkeit, dieses noch während zehn Jahren zu investieren, aber sie können "keine neuen 'WIR'-Einnahmen mehr generieren".
Architekt Spinnler denkt nicht daran, die neuen "WIR"-Bedingungen zu unterschreiben und nimmt in Kauf, von der Bank "verabschiedet" zu werden. Auch Bauherr Grieder ist auf die Alternativwährung nicht mehr gut zu sprechen.
5. Mai 2017
Umsatz-Probleme
Das "WIR"-Geld entstand 1934 zur Förderung der Schweizer KMU-Wirtschaft durch die Idee, dass Geld nicht gehortet und renditeoptimiert, sondern im Wirtschaftskreislauf gehalten werden soll. Allerdings sind die "WIR"-Umsätze in den vergangenen Jahren, nicht zuletzt auf Grund der historischen Tiefzinsphase, "stagnierend bis leicht rückläufig" waren, wie Sprecher Volker Strohm sagt.
Der Druck, nicht verzinste "WIR"-Guthaben in den Geldkreislauf zurückzugeben, sei in Zeiten von Nullzinsen auf dem Schweizer-Franken-Konto nicht vorhanden. Entsprechend lägen grössere Guthaben derzeit auch brach. Und auch bei der Kreditaufnahme ist der Zinsvorteil der "weltgrössten Komplementär-Währung" weggeschmolzen; er werde aber "mit Sicherheit wieder zurückkehren", ist Strohm überzeugt. Ein "WIR" entpricht dem Wert eines Schweizer Frankens.
Von der Flucht aus dem "WIR" sind nicht alle Branchen im selben Ausmass betroffen. Aus dem Gastgewerbe sind beispielsweise keine solchen Tendenzen erkennbar.