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"Gegenseite ist erfinderisch": Vertragsbrüchige Anbieter von Sex-Nummern
Mehrwert-Abzocker bleiben erfinderisch
Trotz Dialer-Verbot ist weiterhin Vorsicht vor 0900er-Geschäftemachern geboten
Von Peter Knechtli
Endlich eine wirkungsvolle Reaktion auf die Abzockerei über 0900er-Telefonnummern: Swisscom, Sunrise und Orange wollen vertragsbrüchigen Sex-Telefon-Abzockern das Geld nicht mehr eintreiben, das Bundesamt für Kommunikation erlässt ein Verbot von Dailern, die ahnungslose Kunden auf sündhaft teuren Leitungen surfen lassen. Doch diese Massnahmen sind kein Grund zur Beruhigung für die bedrohte Kundschaft.
Stefan Pfyl, 36, aus dem aargauischen Arni und bis vor kurzem Leiter eines Gemeindesozialamtes, muss für seinen Kommentar nicht lange überlegen: "Eine linke Abzockerei ist das."
Wie üblich wollte das über achtzigjährige Grosi seiner Partnerin einen Bekannten unter der Telefonnummer 01 844 .. .. anrufen. Offensichtlich drückte die alte Frau dabei die Null nicht sauber. Eine Verbindung kam dennoch zustande – aber am andern Ende der Leitung meldete sich in hochdeutscher Sprache ("Herzlich willkommen") ein sündhaft teurer Auskunftsdienst, der ohne Warnung zu neun Franken pro Minute mit der Kurznummer 1844 angewählt werden kann. 8 Franken 15 waren der alten Frau schon belastet, als sie merkte, dass sie sich verwählt hatte.
Betreiberin der Nummer in eine "First Early Bird GmbH" in Baar ZG, die für OnlineReports telefonisch nicht erreichbar war. An derselben Adresse an der Poststrasse 3 ist auch das Domizil der "Yellow Access AG", welche die gebührenpflichtige Auskunftsnummer 1866 betreibt. Ganz legal.
Ab 1. Juni mehr Transparenz
Lange ist diese Art des Geldverdienens nicht mehr möglich: Am 1. Juni tritt die Preisbekanntgabe-Verordnung in Kraft, die immerhin mehr Transparenz schafft: Minutenpreise von mehr als fünf Franken oder Grundgebühren über zehn Franken müssen angekündigt und durch den Kunden per Tastendruck willentlich bestätigt werden.
Bewegung kommt jetzt auch in die erotische Abteilung der sogenannten "Mehrwertdienste": Die 0906er-Nummern. Nicht wenige Betreiber dieser Nummer hatten mit schmutzigen Tricks bei Konsumenten abgesahnt. Mit horrenden Grundgebühren bis 40 Franken und höher, aber auch undeklarierten Minuten-Tarifen in astronomischer Höhe mussten Kunden ihre Gutgläubigkeit schon büssen.
Nutzer ahnungslos auf superteure Leitungen geleitet
Eine besonders üble Form der Abzockerei ist der Dialer-Missbrauch im Internet. Dabei installieren sich Programme auf der Festplatte des Benützers, die fortan den Zugang zum Internet automatisch nicht mehr über die gewöhnliche Telefonleitung, sondern über eine extrem teure 0906-Leitung lenken, ohne dass dies der Internet-Surfer bemerkt.
Mit nicht weniger als 36 Prozessvollmachten zu Abzocker-Streitereien wurde der Langenthaler Rechtsanwalt Markus Meyer bisher ausgestattet. Die Fälle, darunter um 16'000 Franken geschädigte Privathaushalte, sind "noch offen oder haben mit einem Vergleich geendet".
242 Franken für 39 Minuten surfen
Sein Solothurner Berufskollege und Sunrise-Kunde Wolfgang Salzmann kann davon ein Lied singen. 242 Franken 56 wurden seiner Telefonrechnung für ein angebliches Gespräch von 39 Minuten Dauer über die Nummer 09061788xx belastet. In Tat und Wahrheit surfte zur fraglichen Zeit bloss die Tochter im Netz, ohne irgend eine Erotiknummer gewählt zu haben, wie sie glaubwürdig schildert. Als sich Salzmann weigerte, diesen Betrag zu zahlen, drohte Sunrise mit einer Sperrung des Anschlusses. Mitte Dezember reichte der Jurist gegen Sunrise Strafanzeige wegen Mittäterschaft zu gewerbsmässigem Betrug und Nötigung ein. Denn die Telefongesellschaften ziehen beim Kunden die Gebühren auch für zweifelhafte Anbieter ein – und verdienen so mit.
"Für Rechtsansprüche und Rückforderungen sind wir eigentlich die falsche Adresse", entgegnet Sunrise-Sprecherin Monika Walser und verweist an den Nummernbetreiber, der auf die Website des Bundesamtes für Kommunikation (Bakom, www.e-ofcom.ch) ersichtlich ist. Für Kläger Salzmann mit deprimierendem Ergebnis: Die Firma Lodengryn S.L. im spanischen Palma de Mallorca.
Verhängnisvolles Versteckspiel
Genau diese Versteck- und Kaskadenpolitik ist es, die Kunden zum Kochen brachte, bis sich angesichts der Umtriebe eine Lösung aufdrängte. "Bei einer Marge von 8 bis 12 Prozent lohnt sich dieses Geschäft nicht mehr", räumt Swisscom-Sprecher Sepp Huber ein. Darum schlossen Swisscom, Sunrise und Orange zu Jahresbeginn eine Vereinbarung, wonach sie unseriösen und vertragsbrüchigen Service-Providern und Nummernanbietern das Inkasso verweigern.
Swisscom betont, sie habe schon bisher "sehr viel" zum Schutz ihrer Kunden unternommen. So sind nicht nur die Geschäftsbedingungen gegenüber den Nummernbetreibern ständig angepasst worden. Auch bieten Swisscom wie Sunrise Gratis-Sperrsets für alle 0900-Nummern, vertiefte Informationen auf ihren Websites. Kostenlos ist auch der Dialerschutz, den Swisscom Festnetz anbietet. Sunrise offeriert auf der Website Adressen zum Download von Schutzprogrammen und empfiehlt "geeignete Programme zum Schutz vor Einwahlen über Schweizer Mehrwertnummern". Zudem: Auf der immer häufiger genutzten ADSL-Technologie funktionieren Dialer nicht mehr.
Missbrauch wird weiterhin nicht ausgeschlossen
Beide Unternehmen aber schliessen "missbräuchliche Angebote" unter wenigen Betreibern der insgesamt 50'000 Mehrwertdienste auch in Zukunft nicht aus. Nachdem die schwarzen Schafe den Branche-Ruf reichlich beschädigt haben, machten sich die Bakom-Spezialisten laut seinem Sprecher Bernhard Bürki anfänglich "intensiv Gedanken darüber, die Dialer für alle 0900-Nummern ganz zu verbieten". Grund: "Die Hälfte aller Beschwerden über Mehrwertdienste betreffen Dialer." Wenige Tage später erliess das Bakom ein generelles Dialer-Verbot, das auch jene Mehrwertanbieter trifft, die dieses an sich sinnvolle Werkzeug korrekt und im Einverständnis mit dem Kunden einsetzen.
Ob damit die lästigen Probleme für die Kunden gelöst sind, ist fraglich. Denn Swisscom-Sprecher Huber erinnert an Grundsätzliches: "Die Gegenseite ist sehr erfinderisch. Wir sind hier in einem liberalisierten Markt."
27. Februar 2004