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"Mit Regierungspolitik nicht immer glücklich": Basler "Avivo"-Copräsident Flubacher
Mal eine gemütliche Spargelfahrt, mal eine klare Profiteure-Kritik
Seit 70 Jahren kämpft die linke Vereinigung "Avivo" für anständige Renten und gegen Sozialabbau
Von Peter Knechtli
Der Generalstreik von 1918 wirkt mit seiner Forderung nach einer Alters- und Invalidenversicherung nach: Seit 70 Jahren kämpft die linke Selbsthilfe-Organisation "Avivo" für existenzsichernde Renten. Als Copräsident leitet der 73-jährige Arzt Peter Flubacher zusammen mit Minka Hofer die Basler Sektion.
In der Öffentlichkeit ist die "Avivo" kaum bekannt. Man begegnet ihr vielleicht einmal in einem Parolenspiegel, in dem sie konsequent linke Anliegen unterstützt, oder vielleicht in einem Leserbrief, in der Exponenten der Baser Regional-Sektion in die gleiche politische Richtung anschreibt.
Mit ihren 400 zahlenden Mitgliedern ist die Vereinigung keine starke politische Kraft. So aktiv sie aber nach innen und aussen für Alte und Invalide kämpft, so lebhaft ist das Geschichtsbewusstsein einer Organisation, die landesweit 31 Sektionen mit 20'000 Mitgliedern zählt.
"Das soziale Basel"
Gegründet wurde sie 1948, im Jahr als die Schweiz die staatliche Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHV) einführte. Es waren junge Kommunisten und Sozialisten aus einfachen Verhältnissen insbesondere aus dem Welschland, welche die beschlossenen Rentenansätze von monatlich 40 Franken für Alleinstehende und 70 Franken für Ehepaare für ungenügend hielten. Aus dem Französischen leitet sich denn auch der Name ab: "Association des Vieillards, Invalides, Veuves et Orphelins".
Die Vereinigung ist stark föderalistisch organisiert und so kam es, dass die Sektionen das 70-jährige Bestehen ihres Mutterverbands nun mit einem Jahr Verspätung feiern. In Basel findet der offizielle Anlass, musikalisch vom "Strassenchor Surprise" aufgelockert, kommenden Mittwoch im grossen Saal des "Union" statt.
Prominentester Gastredner ist SP-Wirtschafts- und Sozialminister Christoph Brutschin, der sich zum "Sozialen Basel heute" äussert, während Geschichtsprofessor Martin Lengweiler über "die AHV als zentraler Teil des schweizerischen Sozialstaats" referiert.
Ein Seitenwagen der PdA
Wer die Namen der Personen durchgeht, die in der Basler "Avivo"-Sektion eine Rolle spielen oder spielten, der begegnet vielen Exponenten der früheren, in Basel 1944 gegründeten kommunistischen "Partei der Arbeit" (PdA). Sie hatten bis in die achtziger Jahre die Vereinigung dominiert. "Sie war ein Seitenwagen der PdA", sagt heute Copräsident Peter Flubacher, selbst viele Jahre Parteimitglied, bevor er vor zwanzig Jahren in die SP eintrat. Copräsidentin Minka Hofer stammt ebenso aus einer kommunistischen Familie. Ihr früherer Ehemann Stefan Hofer wie dessen Vater waren prägende Figuren der Partei.
Mit dem Mauerfall und dem Niedergang der Partei auch in Basel verlor die PdA ihre Bedeutung innerhalb der "Avivo". Doch die Vereinigung blieb progressiv bis auf den heutigen Tag: Von Altersmilde keine Spur. So marschierte sie – getragen teils auch von gewisser bürgerlicher Unterstützung – an Mieter-Demonstrationen mit, kämpft gegen Privatisierungs-Tendenzen für die Erhaltung der Service Public in Spitälern, Transportunternehmen und Medien, die "immer jene trifft, die am schlechtesten dastehen", wie Peter Flubacher sagt.
Auch die Verteidigung der Ergänzungsleistungen ("weil die AHV immer noch nicht existenzsichernd ist und nicht ausreicht"), den Kampf gegen die ständige Erhöhung der Krankenkassenprämien und gegen die Senkung der staatlichen Prämienverbilligungen, gegen eine "Diskriminierung der Armen" und für einen korrekten Umgang der Behörden mit Invaliden hat sich die "Avivo" auf die Fahnen geschrieben.
Scharfe Poli-Kommentare ...
"Im Vorstand kämpfen alle sozialpolitisch an vorderter Front, aber die Parteizugehörigkeit ist kein Thema", schildert Peter Flubacher die konsequent linke Politik der Alters- und Armenlobby. "Wählt Rot-Grün", rief er in einem Artikel im Vereinsbulletin im Hinblick auf die vergangenen Wahlen auf.
Denn in der Schweiz nehme die Zahl der von Armut betroffenen Menschen zu, während im Bundesparlament Pakete geschnürt würden, die "auf die Interessen der Krankenkassen-Lobby, privaten Versicherungsgesellschaften, Banken, multinationalen Konzernen und ihren Profiteuren zugeschnitten sind, deren Privilegien noch mehr zementieren". Kompromisslose Worte eines milde und besonnen wirkenden Zeitgenossen.
Unterstützung bietet "Avivo" auch dem sehr aktiven Basler Mieterinnen und Mieterverband, der letztes Jahr überraschend vier Mieterschutz-Initiativen durch die Volksabstimmung brachte und nun mit einer Durchsetzungs-Initiative Realisierungs-Druck auf die Regierung aufbaut. Die frühere "Basta"-Grossrätin und "Bulletin"-Redaktorin Beatrice Alder lässt in einem Porträt der neugewählten SP-Regierungsrätin Tanja Soland auch erkennen, dass ihre Vereinigung "mit der Politik der rot-grün dominierten Regierung nicht immer glücklich" gewesen sei.
... neben Bluescht- und Spargelfahrten
Doch in den verbal scharfen Tenor mischt sich auch das, was ganz gewöhnliches Vereinsleben ausmacht: die "Spargelfahrt zum Straussi", der "Tagesausflug zu Murtensee" oder die "Blueschfahrt auf Robert Grimms Spuren". (Der Arbeiterführer und SP-Nationalrat war aufgrund seiner Rolle im Landesstreik zu sechs Monaten Gefängnis verurteilt worden.)
Neben regelmässigen Carfahrten zu günstigen Konditionen belegt der lebhafte Terminkalender auch Spielnachmittage, gemeinsame Mittagessen, Aktivitäten eines 30-köpfigen Singkreises oder Veranstaltungen wie eine Führung durch das Basler Münster oder den Besuch einer Metzgete.
Peter Flubacher, der ein Leben lang als Hausarzt arbeitete, mag nicht ruhen. Selbst seit acht Jahren Altersrentner macht er sich unermüdlich für Menschen am Rande der Gesellschaft stark. Darum ist ihm auch die "Geselligkeit" ein Anliegen: "Sie ist ein Mittel gegen die Vereinsamung."
28. Oktober 2019
"Arbeit wird der Avivo nicht ausgehen"
Dass es die Avivo immer noch gibt, und das je länger je mehr, ist dem schleichenden Abbau der Sozialleistungen, der Erhöhung vom Rentenalter und die Teuerung im Gesundheitswesen zu verdanken. Es gibt noch andere Themen, die unbedingt kontrolliert werden müssen. Die Arbeit wird der Avivo bestimmt nicht ausgehen und das für eine Bevölkerungsschicht, die nicht mehr selbst in der Lage ist, sich zu artikulieren und zu wehren.
Bruno Heuberger, Mitglied der Avivo, Oberwil