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"Die Konkurrenz für Frauen wird härter": Ex Prostituierte Maria
Die "Euro 08" weckt auch Regungen unter der Gürtellinie
Basler Szenekundige rechnen während der Fussball-Europameisterschaft mit mehr Zwangs-Prostitution und Frauenhandel
Von Peter Knechtli
Wenn im Juni Männer-Heerscharen aus ganz Europa Basel in Beschlag nehmen, dann wird nicht nur Fussball ihren Hormon-Haushalt bestimmen: Szenekennerinnen rechnen während der "Euro 08" auch mit einem deutlichen Anstieg der Prostitution - auch in ihrer schlimmsten Ausprägung.
Maria D.* (45), zögert keinen Moment mit der Antwort: "Während der Euro 08 werden sehr viele Prostituierte eingeschleust. Die arbeiten dann in Salons, Sauna-Clubs oder in Hotelzimmern." Wenn in den drei Wochen vom 7. bis 29. Juni rund eine Million Männer in die Region Basel einfällt, um in Stadion, Fan-Camps und Fan-Meilen den Fussballspielen beizuwohnen, dann bleibt es nicht bei Jubel und Trauer aus dem Mund-Werk: Die grösste Grossveranstaltung, der Basel je Gastrecht bot, weckt auch Emotionen unter der Gürtellinie.
"Die Mädchen brauchen Geld"
Maria weiss, wovon sie spricht. Mehr als ein Vierteljahrhundert gab sich die gebürtige Deutsche gegen Geld Männern hin. Der Freund ihrer Mutter hatte sie schon in jungen Jahren sexuell belästigt. Den Weg in die Prostitution hatte sie ("ich bin ein richtiges Land-Ei") nie aktiv gesucht: "Da bist du einfach drin." Knapp 17-jährig begann es, erst als Hostess in einem deutschen Nachtclub ("da wurde ich sofort vergewaltigt"). Nur: Vom Geld, das sie verdiente, "habe ich nie etwas gesehen. Die haben mir immer alles abgenommen". Ihrem Job unterzog sie sich auch noch mit Herpes genitalis, Lähmungserscheinungen und Erstickungsanfällen.
Genauso könnte es einst Frauen ergehen, die zur Aktivität im Markt der Lüste ihre sommerliche Reise ans Rheinknie antreten. "Die Mädchen aus dem Osten brauchen Geld", sagt Maria und nennt als Beispiele Ungarn, Polen und Rumänien, aber auch Frankreich und Deutschland. "Die Frauen werden härtere Konkurrenz haben", ist auch Viky Eberhard von "Alina", der Basler Beratungsstelle für Frauen im Sexgewerbe mitten im Milieu-Viertel, überzeugt.
Rotlicht-Unternehmer erwartet "Umsatz-Boom"
Der Basler Gastronom, Barbesitzer und Rotlichtkönig ("White Horse", "Roter Kater", "Adacio") Beat Emmenegger (60) hofft auf Umsätze, die sich ähnlich entwickelt wie an den grossen Messen, die ihm und den in seinen Etablissement eingemieteten "Mädchen" unterschiedliche Geschäfte bescheren.
Einen Getränkeumsatz-Zuwachs von 10 Prozent bringen ihm die Weltmessen für Uhren und Schmuck ("Baselworld") und für Kunst ("Art"). Schon deutlich besser – mit einem Plus von 30 Prozent ("sehr lukrativ") - läuft das Geschäft anlässlich der Baumesse "Swissbau" und Gastromesse "Igeho". Doch vom Moment an, wenn die Euro-Kicker die Rasenfelder belegen, erwartet Emmenegger einen noch nie erlebten Boom: "Meine Hoffnung ist eine Umsatzverbesserung von 50 Prozent." Davon dürften auch seine Mieterinnen, die sich als Touristinnen in der Schweiz aufhalten, profitieren.
Unterschiedliche Beurteilungen
Die Beurteilungen allerdings, wie stark die freiwillige und die zwangsweise Prostitution während der Basler "Euro 08"-Wochen boomen wird, gehen stark auseinander, wie OnlineReports-Recherchen ergeben. In einer Vorschau auf eine demnächst bevorstehende Ausstellung über "Frauenhandel und Prostitution" im Kollegiengebäude nennt die Website der Universität Basel eine Zahl von jährlich 500'000 Frauen, die in Europa "in die Prostitution gezwungen" werden. Die Zahl ist, zumindest an dieser Stelle, nicht belegt.
Für Gastronom Emmenegger steht fest, dass professionelle Liebesdienerinnen aus "allen möglichen Ländern" - vor allem aus Ostländern und den EU-Staaten, mobilisiert "durch das Busch-Telefon" - zum Einsatz nach Basel reisen werden: "Die kommen aus den letzten Löchern raus. Alles, was von diesem Business lebt, wird aktiviert." Entschieden bestreitet er aber, dass es zu Zwangsprostitution kommt: "Das ist hier absolut kein Thema. Das gibt es hier nicht." Beziehungspersonen der "Frauen" seinen heute nicht mehr ihre Zuhälter, sondern ihre Familien in fernen Ländern, denen sie sich sozial verpflichtet fühlten.
Gar nicht dieser Auffassung ist die Basler Anwältin Susanne Bertschi, die häufig Frauen aus dem Milieu vertritt, und die der kantonalen "Arbeitsgruppe Menschenhandel" angehört. Zwangsprostitution beginne dort, wo ein Abhängigkeitsverhältis bestehe wie beispielsweise die Pflicht, Vorschüsse abzustottern oder die Reisekosten zu bezahlen. Die Grenzen seien fliessend von "Hardcore-Menschenhändlern", die Frauen verschleppen, bis zu "Arbeitgebern, die Sex-Arbeiterinnen ausbeuten".
Nur drei "verflüchtigte" Fälle in Basel
Zwangsprostitution "ist ganz klar ein Thema, je grösser der EU-Raum wird", meint auch Philipp Thommen (42), Leiter der Fahndungs-"Gruppe 7" der Basler Kantonspolizei, die sich mit dem Bereich der Sex-Arbeit beschäftigt: Frauen werden beispielsweise als Serviertochter in die Schweiz gelotst. "Hier wird ihnen der Pass abgenommen und gesagt: Jetzt musst du zahlen!" Einziger Ausweg bleibt die Sex-Arbeit. Dieser Trend verlagere sich "verstärkt in die Ostländer". Allerdings sei es so gut wie unmöglich, Zwangsprostitution, wie sie beispielsweise Maria D. erlebt hat, nachzuweisen. Die Betroffenen seien "sehr verängstigt", oft mit der Kultur in der Schweiz in keinster Weise vertraut und in einer finanziellen Notlage. Fahnder Thommen sind in Basel lediglich drei Fälle von Zwangsprostitution bekannt, die aber nie ans Gericht kamen: "Sie haben sich alle verflüchtigt."
Während die Fahndung beispielsweise letztes Jahr fast 650 Massagesalons kontrollierte, ist der sogenannte "Escort-Service", der sich in Hotelzimmern oder Privatwohnungen abspielt ohne V-Mann-Einsatz "nur schwer kontrollierbar".
Eher eine Sex-Flaute möglich
Philipp Thommen bezweifelt aber, dass das "Euro 08"-Sexgewerbe in Basel zu einem Problem werden könnte. Er bezieht sich bei seiner Einschätzung auf die Erfahrungen anlässlich der Fussball-Weltmeisterschaft in Deutschland. Es sei vorausgesagt worden, dass 300'000 Prostituierte freiwillig oder zwangsweise anreisen. "Das hat sich nicht bewahrheitet. Es herrschte diesbezüglich eine Flaute." Als kritisch hätten sich eher Alkohol und Hooliganismus erwiesen. Die 1'516 Sexdienstleisterinnen im Kanton Basel-Stadt (Stand 2007) müssen dennoch mit "Grosskontrollen" rechnen. Davon sind auch die Toleranzzonen im Raum Webergasse / Ochsengasse / Teichgässlein, Güterbahnhof DB Wiesenknoten und Güterbahnhof Wolf sowie der Drogenstrich um die Claramatte betroffen.
Gar keine Sorgen über käuflichen Sex während des Grossereignisses macht sich der Hanspeter Weisshaupt, offizieller "Euro 08"-Delegierter der beiden Basel. Aus seiner Optik handelt es sich bei den Fussballfans nicht um eine interessante potenzielle Kundschaft für das älteste Gewerbe. Vielmehr stehe der Sport und auch das Familien- und Freudeerlebnis klar im Vordergrund.
Die Wut der Domina auf Männer
Wenn seine Prognosen zutreffen werden, dann dürfte die Gefahr gebannt sein, dass das Fussballfest zur Erotik-Party mit Frauen verkommt, denen es ergehen könnte wie Maria. Ihre "Wut auf Männer", auf Ausbeutung und auf ihre Zwangsheirat mit einem Schweizer, die sie zunehmend empfand, liess sie zum Schluss ihrer Sex-Karriere als Domina aus.
Seit eingen Jahren lebt sie, auch dank der Unterstützung von "Alinea", ausserhalb des Milieus in geordneten Verhältnissen: "Ich bin heute Gassenarbeiterin." Vielleicht wird ihr Einsatz kommenden Juni besonders gefragt sein.
1. April 2008
Weiterführende Links:
Beratungsstelle "Alinea"
"Alinea", die Basler "Beratungsstelle für Frauen imSex-Gewerbe", befindet sich mitten in demselben - an der Webergasse 15. Die Anlaufstelle wird von der Basler Sektion des Vereins Compagna geführt. Sie bietet unter anderem Gespräche und Information, Vermittlung von Hilfsangeboten und Begleitung zu sozialen, ärztlichen und rechtlichen Dienststellen sowie Gemeinschaftspflege, Deutschkurse und Ausstiegshilfe.
Nach Angaben von "Alinea"-Mitarbeiterin Viky Eberhard bestehen gute Kontakte zum Milieu, was auch Beat Emmenegger im Gespräch mit OnlineReports im "Roten Kater" bestätigte.
Alinea
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