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"Stagnation im Wahljahr": Pharmastratege Franz B. Humer
Franz B. Humer: Der Nachfolger von Übervater Fritz Gerber
Am Dienstag wird Franz Humer neuer Roche-Präsident - Auftritt Ebners ungewiss
Von Peter Knechtli
Franz B. Humer, CEO des Basler Pharmamultis Roche, soll kommenden Dienstag als Nachfolger von Übervater Fritz Gerber auch Präsident des Weltkonzerns werden. Die Rochade im schlechtsten Wachstums-Jahr des Erfolgsunternehmens seit zwanzig Jahren stösst hinter den Kulissen auch auf Kritik. Im Raum steht die Frage, ob der oppositionelle Grossaktionär Martin Ebner das Forum der Generalversammlung für einen Auftritt nutzt.
Mehr als zwanzig Jahre hat Fritz Gerber, 72, den Pharmakonzern Roche mit Brillanz, Weitsicht und dem Sesorium für die richtigen Leute geführt. Kommenden Dienstag tritt er ins zweite Glied zurück. Er bleibt zwar, neuerdings als Vertreter des Familienpools, gewöhnlicher Verwaltungsrat, mit starkem Einfluss allerdings.
Auf seinen Präsidiumssessel tritt der um fast eine Generation jüngere CEO Franz Humer, 54. "Ich freue mich", so Gerber Ende Januar über Humer, "meine Aufgabe an einen erfahrenen Kollegen zu übertragen, der alle Voraussetzungen erfüllt, das Unternehmen erfolgreich in die Zukunft zu führen".
Humer-Wahl nicht in Frage gestellt
Dass Franz Humer kommenden Dienstag durch die Generalversammlung auch zum Präsidenten gekürt wird, bezweifelt niemand. Die Besitzerfamilien Hoffmann und Oeri, die über die entscheidenden Stimmrechte verfügen, haben ihn ja als Gerber-Nachfolger vorgeschlagen, nachdem der frühere Pharmachef und Kronprinz Armin Kessler den vorzeitigen Ruhestand dem Sprung an die Roche-Spitze vorgezogen hatte.
Dennoch wird Humers Wahl auch von Kritik begleitet - auch wenn sie niemand öffentlich zu äussern wagt. Sogar Grossaktionäre wie Martin Ebner, der insgesamt 20 Prozent der Inhaberaktien repräsentiert, halten sich bedeckt. "Wir pflegen nicht über die Presse mit den Firmen zu kommunizieren", sagt BZ-Bank-Sprecher Kurt Schiltknecht.
Roche an Showdown nicht interessiert
Branchenkenner sind denn auch unsicher, ob Ebner die Wahl Humers ohne markanten Auftritt an der Roche-Generalversammlung vorbeiziehen lässt. Roche habe keinerlei Interesse an einem öffentlichen Showdown und verhandle noch immer mit dem Schwyzer Banker, ist ebenso zu hören wie die Spekulation: "Es kann durchaus sein, dass Ebner den Antrag stellt, Humer nicht zum Präsidenten zu wählen."
Ein solches Begehren hätte zwar - nach Ebners erfolgloser Forderung zur Einsitznahme in den Verwaltungsrat und zur Einführung der Einheitsaktie - keinerlei Aussicht auf Erfolg, aber Signalwirkung. Denn Roche ist in eine ähnliche Schieflage geraten wie zu Ende der Aera Jann in den siebziger Jahren. Allein in den letzten zwei Jahren hat die Pharmaperle mit 60 Milliarden Franken mehr als ein Drittel ihres Börsenwerts verloren. Novartis mit einer Börsenkapitalisierung von 184 Milliarden Franken hat Roche (104 Milliarden Franken) meilenweit überflügelt. Allein letzten Dienstag büsste die Roche-Aktie 1'000 Franken ein. Bereits ist denn aus dem Ebner-Umfeld von einer "gigantischen Kapitalvernichtung" die Rede.
Zwar verbreiteten die Konzernkader am "Kick-off-Meeting" zu Jahresbeginn in Luzern vor den 300 Top-Managern offensiv Aufbruchstimmung. Aber Franz Humer sieht sich in einer Umgebung mit vielen Unbekannten:
• Der Generationenwechsel an der Konzernspitze. Zusammen mit Fritz Gerber ist auch Finanzchef Henri B. Meier abgetreten. Die lebende Legende war es, die mit ihrem genialen Flair für Geldvermehrung massgeblich zum finanziellen Erfolg der Firma beigetragen und das Demissionsjahr mit einem glänzenden Rekordgewinn gekrönt hat.
• Die Erträge. Ein beträchtlicher Teil des Konzerngewinns von 8,6 Milliarden Franken resultierte aus Finanzerträgen, insbesondere durch den Verkauf von Genetech-Aktien, die 2,5 Milliarden Franken einbrachten. Das operative Geschäft dagegen stagniert. Das Ergebnis erreichte gerade mal 4,3 Milliarden Franken. Der Umsatz wuchs um ein Prozent, in den USA schrumpfte das Pharmageschäft gar um sechs Prozent.
• Die Chancen der Neuen. Die Konzernspitze wurde stark erneuert. Vor allem der neue Finanzchef Anton Affentranger steht vor einer gewaltigen Herausforderung: Er muss zeigen, dass er dem Geschick seines Vorgängers, Dukaten zu duplieren, in nichts nachsteht. Beobachter, die sich über den neuen Kassenwart unterschiedlich äussern, sind der Meinung, Affentranger verdiene "die volle Chance einer angemessenen Schonfrist".
Aber mit Affentranger eng verbunden ist Chef Franz Humer: Affentranger ist Humers Wahl. Dass er in den sechs Jahren, in denen er für das Pharmageschäft und seit 1998 als CEO verantwortlich zeichnet, noch nicht Gerbers früherer Glorienschein erlangt hat, hat nach Meinung von Beobachtern verschiedene Gründe: Roche hat letztes Jahr an Glanz verloren, weil überdurchschnittliches Wachstum ausgeblieben sei. Auch habe Roche durch die Konzentration auf das Kerngeschäft einen "starken intellektuellen Aderlass" in Kauf genommen. Schliesslich habe die Pipeline bei weitem nicht gebracht, was sich Roche von ihr versprochen habe.
Auch millionenschweres Pech war im Spiel
Humer als Verantwortlichen für alle Minuspunkte hinzustellen, wäre falsch. Selbst Kritiker, die ihm "napoleoneske Züge" attestieren, billigen ihm schlichtes Pech mit tatsächlich Erfolg versprechenden Produkten wie "Posicor" gegen Bluthochdruck und "Tasmar" gegen Parkinson zu. Dass sich mit dem Erkennen gefährlicher Nebenwirkungen in einem späten Entwicklungsstadium und gar im Zeitpunkt der Marktreife hohe dreistellige Millionenbeträge über Nacht im Nichts auflösten und erwartete Umsätze in gleicher Grössenordnung ausbleiben, könne nicht dem Chef selbst angelastet werden.
Intime Kenner des Unternehmes glauben aber, dass Humer weit mehr Sorgen habe, wenn er in einem Jahr die diesjährigen Ergebnisse präsentieren müsse: Das finanzlastige Glanzergebnis könne Humer keinesfalls übertreffen, zumal auch die Verkäufe des hochgelobten Magermittels "Xenical" deutlich hinter den Erwartungen zurück lieben.
Was steckt hinter Genentech-Kapitalerhöhung?
Unklarheit herrscht unter den Roche-Aktionären zudem, was hinter der geplanten massiven Kapital-Erhöhung des bereits überliquiden kalifornischen Biotechkonzerns Genentech steckt, an der Roche 58,4 Prozent hält. Roche hielt sich in dieser Frage bisher sehr bedeckt, derweil bisher einzig "Finanz und Wirtschaft" Details bekannt gab. Danach soll die Zahl der autorisierten Stammaktien von 600 Millionen auf 1,2 Milliarden verdoppelt werden.
Branchenkenner schliessen daraus, dass Genentech eine grössere Übernahme durch Aktientausch vorbereiten könnte. Dies allerdings wäre nur möglich, wenn den Genentech-Aktionären kein Bezugsrecht zugestanden wird. Die Folge wäre nicht nur eine Verwässerung der Genentech-Aktie, sondern auch die Preisgabe der Aktienmehrheit und der damit verbundenen Entscheidungsstärke durch Roche, was auch zu einer Verwässerung der Roche-Valoren führt.
Roche will langfristige Mehrheit an Genentech
Gegenüber OnlineReports beschwichtigte Franz Humer, selbst Roche-Vertreter im Genentech-Verwaltungsrat, es handle sich dabei "eher um eine Routineangelegenheit". Es gehe nicht um eine konkrete Kapitalerhöhung. Vielmehr wolle Genentech "von der Generalversammlung die Autorisierung einholen, zusätzliche Aktien herauszugeben, sollte dies - beispielsweise für einen Aktiensplit oder eine Akquisition - nötig sein". Humer: "Das hat man aus praktischen Gründen schon in früheren Generalversammlungen so gemacht."
Der baldige Roche-Herrscher bestätigte, dass er dem Antrag im Genentech-Verwaltungsrat zugestimmt habe. Weil es aber "im Moment nur um eine Autorisierung" gehe, habe die Kapitalerhöhung "nichts mit Bezugsrechten zu tun". Auch wolle Roche die Mehrheit an dieser Innovationsperle langfristig sicher stellen. Genentech habe derzeit "keine Akquisitionspläne".
Pharma-Entwicklung lag über Weltmarktwachstum
Angesprochen auf das derzeitige Umsatz- und Ertragstief verwies Humer auf die Wachstumsraten der Pharmadivision zwischen 4 und 23 Prozent seit seinem Firmeneintritt im Jahr 1995. Sie lagen, von einer Ausnahme abgesehen, über dem Weltmarktwachstum. Und wenn dies Martin Ebner zu wenig ist, kann künftig Autounternehmer Walter Frey als neuer Roche-Verwaltungsrat zum Rechten schauen: Frey ist Ebners verlängerter Arm und gleichzeitig ein Freund Fritz Gerbers.
1. April 2001