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"Wir wurden ein progressive Energieversorger": Energiewende-Unternehmer Steiner
Urs Steiner – der Turbo der Baselbieter Energiewende tritt ab
Der Direktor der Elektra Baselland (EBL) geht Ende Juni in Pension: Er hatte auch schlaflose Nächte
Von Peter Knechtli
Am 29. Juni hat Urs Steiner, Direktor der Elektra Baselland (EBL), seinen letzten Arbeitstag. Der 64-jährige Elektroingenieur hat – nicht ohne Risiko – als Freisinniger den Energieversorger ins Zeitalter der Nachhaltigkeit geführt. Er hinterlässt im Bereich der Solar- und Windenergie ebenso Spuren wie in der Fernwärme und der eMobility.
OnlineReports: Herr Steiner, gab es in Ihrer Zeit als EBL-Chef schlaflose Nächte?
Urs Steiner: Sicher, nämlich damals, als wir das technologisch pionierhafte thermische Solarkraftwerk in der Grösse von 80 Fussballfeldern im südspanischen Calasparra in Angriff nahmen. Und dann das: Wirtschaftskrise, Euro-Krise, Spanien-Krise und Banken-Krise als wir begannen, das Feld zu ebnen. Das war ein Husarenritt, denn anfänglich war die EBL mit 78 Prozent beteiligt.
OnlineReports: Was hat Ihnen den Schlaf geraubt?
Steiner: Die Frage, ob sich die Erfolge des Prototyps mit einer Linie auch in der grossen Produktionsanlage mit 29 Linien die zusammengehängt werden, wiederholen lassen und die Erstellungskosten von 160 Millionen Euro. Es war nicht einmal die Frage der Rentabilität.
OnlineReports: Wie kamen Sie eigentlich auf die riskante Idee, ausgerechnet in Südspanien eine neue Solar-Technologie praktisch anzuwenden?
Steiner:
Es gibt Gelegenheiten im Leben und die muss man beim Schopf packen. Die Anlage wurde ein Bijou – ein Leuchtturmprojekt. Sie funktioniert heute besser als nach der Inbetriebnahme und lieferte letztes Jahr eine Rekordproduktion.
OnlineReports: Die EBL war mit rund 100 Millionen Franken beteiligt ...
Steiner: ... aber auch wenn die Technologie nicht funktioniert hätte, hätten wir damit die EBL nie in Gefahr gebracht. Es wäre jedoch ein arger Rückschlag gewesen.
OnlineReports: Medienberichte sprachen eine Zeitlang von ungenügender Rendite.
Steiner: Die Rendite liegt aktuell bei drei bis vier Prozent. Wenn ich aber auch die enormen Wertberichtigungen sehe, die grosse Energieversorger auf Gas- und Kohlekraftwerke vornehmen mussten, dann sind wir mit der Rendite der spanischen Anlage zufrieden. Und je länger das Kraftwerk läuft und Amortisation vorgenommen werden, umso rentabler wird die Investition, weil die Wärme der Sonne nichts kostet.
OnlineReports: Wie hat sich die EBL während Ihrer 16-jährigen Zeit als CEO verändert?
Steiner: Bei meinem Antritt im Jahr 2002 erreichte sie 75 Millionen Franken Umsatz. Heute sind es 240 Millionen Franken, wir fahren strategisch einen konsequenten nachhaltigen Kurs im Bereich der erneuerbaren Energie und und der Energieeffizienz und wurden dadurch zu einem progressiven Energieversorger.
OnlineReports: Dazu gehört neben der e-Mobility, zu der Sie demnächst ein ambitiöses Projekt in Pratteln vorstellen, auch die Telekommunikation.
Steiner: Diesen Bereich lancierten wir im Jahr 2000 mit der Übernahme der LiestalNet AG. Heute machen wir damit in einem sehr harten Umfeld 40 Millionen Franken Umsatz bei vier Millionen Franken Gewinn. Das war nebst dem Spanien-Projekt eine der Meisterprüfungen der EBL.
OnlineReports: Eine Insiderquelle sagte zu OnlineReports, auf den Jurahöhen der Region Basel werde nie ein Windrad drehen. Welches ist Ihre Meinung dazu?
Steiner: Ich vermute, dass Ihre Quelle recht haben könnte. Ich glaube auch nicht mehr daran, dass auf den Jurahöhen unserer Region je ein Windrad drehen wird.
OnlineReports: Wird das EBL-Windkraftwerk auf dem Schleifenberg oberhalb von Liestal ebenfalls gestoppt?
Steiner: Das werden wir in den nächsten Tagen bekanntgegeben.
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Die Nominations-Niederlage war das Beste,
was mir passieren konnte."
OnlineReports: Sie waren Laufentaler FDP-Landrat und auch bereit, sich als Regierungsrat nominieren zu lassen. Sie sind damals parteiintern dem späteren Finanzdirektor Adrian Ballmer knapp unterlegen.
Steiner: Es ging zwar nur um ein paar Stimmen, aber ich war damals masslos enttäuscht. Rückblickend muss ich feststellen, dass diese Niederlage das Beste war, was mir passieren konnte. Nur so kam ich zur EBL.
OnlineReports: Kein Wunder, Sie verdienen ja als EBL-Chef mit 250'000 bis 300'000 Franken ungefähr gleich viel wie ein Regierungsrat.
Steiner: Ich war in meiner ganzen beruflichen Karriere nie finanziell getrieben. Mich reizten immer viel stärker spannende Herausforderungen.
OnlineReports: Sie schienen immer mit Herz und Seele Stromer zu sein. Was ist es, was die Faszination der Funktion als EBL-Direktor ausmacht?
Steiner: Es ist die Menschenführung und die Technologie im Bereich der Energie-Effizienz und der erneuerbaren Energie im Zusammenspiel mit Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Da konnte ich in Übereinstimmung mit meinen Grundwerten voll aufgehen.
OnlineReports: Doch im Jahr 2012 mussten Sie wegen eines Burnouts pausieren. Wie konnte es so weit kommen?
Steiner: Wir hatten innerhalb der EBL-Geschäftsleitung einen unheimlichen Motivationstrieb, wollten den Himmel im Direttissima stürmen und das führte bei mir zu too much work, overload. Ich bin dann zwei Monate ausgefallen.
OnlineReports: Wie erging es Ihnen damals?
Steiner: Die Symptome hätten auf alle Seiten kippen können. In der Klinik erlebte ich ganz tragische Schicksale. Ich hatte zum Glück keine andere Baustelle wie Geldsorgen oder im Privatleben als jene im Beruf. Dabei standen Verwaltungsrat und Geschäftsleitung in einmaliger Art hinter mir.
OnlineReports: Sie haben dieses dramatische Symptom offen kommuniziert.
Steiner: Die Medien haben das Recht, nicht nur über gute Leistungen zu berichten, sondern auch dies zu erfahren. Das kam bei vielen sehr gut an. Ich konnte manchen Personen in einer ähnlichen Situation helfen. Alles andere wäre ein Versteckspiel gewesen.
OnlineReports: Ist die Funktion des EBL-Direktors gesundheitsgefährdend?
Steiner: Absolut nicht. Wir haben eine Super-Geschäftsleitung, einen hervorragenden Verwaltungsrat und Top-Delegierte. Ich hatte mit ihnen ein ausgezeichnetes Verhältnis.
"Unsere Stromrechnung ist kein Ruhmesblatt.
Hier besteht dringender Handlungsbedarf."
OnlineReports: Die Strombranche befindet sich in einem massiven strukturellen Umbruch. Wie wird er von der EBL erlebt?
Steiner: Ganz natürlich, denn die EBL geht schon seit Jahrzehnten auf dem Pfad der Nachhaltigkeit. Was jetzt geschieht, ist ein politischer Versuch, das nachzuvollziehen, was wir schon seit Jahrzehnten tun. Es geht um die Transformation von der alten in die neue Technologie. Dabei müssen wir dringend die Werthaltigkeit der Wasserkraft erhalten. Das braucht Zeit. Dadurch, dass die EBL in Deutschland schon gegen 40'000 private Stromkunden hat, erlebt sie dort knallhart, was es heisst, sich im freien Markt zu bewegen. Wenn der freie Markt in der Schweiz kommt, sind wir somit hervorragend aufgestellt.
OnlineReports: Die Stromrechnungen der EBL sind hingegen immer noch sehr altbacken. Sie erlauben keinen tatsächlichen Überblick und auch keinen Vergleich des Energieverbrauchs über die letzten Jahre. Wäre hier nicht deutlich mehr Kundenorientierung angezeigt?
Steiner: Sie rennen da offene Türen ein. Unsere Stromrechnung ist in der Tat kein Ruhmesblatt. Hier besteht dringender Handlungsbedarf. Das wird mein Nachfolger Tobias Andrist sehr schnell in Angriff nehmen.
OnlineReports: Ihr Erbe ist geprägt vom Einsatz zugunsten nachhaltiger Energie. Haben Sie einen grünen Kern in Ihren freisinnigen Herz?
Steiner: Diesen grünen Kern hatte ich immer, er wurde mir sogar in die Wiege gelegt. Natur, Umwelt und Nachhaltigkeit liegen mir am Herzen. Ich kann Verschwendung nicht ausstehen. Mich stört beispielsweise in einem Restaurant, wenn mir so viel serviert wird, dass ich die Hälfte stehen lassen muss. In der EBL versuche ich nur jenen Franken auszugeben, den ich privat auch ausgeben würde. Ich bin kein ökologischer Musterknabe und absolut kein Fundi, aber ein nachhaltig denkender und handelnder Mensch. Mich stören Verschwendung und einseitige Ideologie.
OnlineReports: Fühlen Sie sich in Ihrem Kurs der erneuerbaren Energie von ihrer Freisinnigen Partei mitgetragen?
Steiner: Heute ist sie auf Kurs. Aber während meiner Zeit als Landrat wurde ich häufig als "grüner Vogel" betrachtet. Ich hatte zu wenig Gehör. Die Folge war, die Grünliberalen entstanden. Hätte man auf mich gehört, hätte es die Grünliberalen nie gegeben. Die FDP hat zu spät erkannt, dass erneuerbare Energie und Energieeffizienz einen Wirtschaftsfaktor darstellt und Arbeitsplätze schafft.
"Ich hatte lange Haare und demonstrierte
in Kaiseraugst gegen das Atomkraftwerk."
OnlineReports: Auf welcher Seite standen Sie damals, als das Volk der Region Basel gegen das Atomkraftwerk Kaiseraugst aufstand?
Steiner: Können wir diese Frage überspringen (lacht)? Ich habe damals studiert, hatte lange Haare und demonstrierte in Kaiseraugst gegen das Atomkraftwerk. Das waren die Rebellenjahre. Wir wussten in dieser Jugendphase oft gar nicht genau, wogegen wir protestieren.
OnlineReports:
Insofern ist Ihr Nachhaltigkeits-Kurs aber doch folgerichtig. Hat der EBL-Verwaltungsrat Sie darin von Anfang an unterstützt?
Steiner: Ja. Mein Kurs war zu Beginn sicher nicht einfach, aber glaubwürdig. Der Verwaltungsrat hat ihn richtigerweise kritisch hinterfragt, aber immer getragen.
OnlineReports: Waren Sie als CEO so etwas wie der Stratege des Verwaltungsrates?
Steiner: Das wäre vermessen. Ein CEO muss zwar immer den Takt angeben. Aber er muss alle ins Boot holen, und es ist der Verwaltungsrat, der die Strategie letztlich absegnet.
OnlineReports: Vor etwa 15 Jahren haben Sie an einer EBL-Veranstaltung in Liestal die Geothermie als "Schlüsseltechnologie des 21. Jahrhunderts" bezeichnet. Davon ist nach den Erdbeben nicht mehr die Rede. Lagen Sie falsch?
Steiner: Nein, das Problem ist, dass man uns nicht machen lässt. Der Rückschlag bei der Geopower Basel AG ist bekannt. Aber noch heute fragen mich Delegierte, wann wir die Geothermie wieder an die Hand nähmen. Wir haben bei Bassecourt eine fixfertige Baubewilligung für ein neues Geothermie-Projekt vorliegend. Aber diese Bewilligung wird bis vor Bundesgericht angefochten. Bei solchen Widerständen und Hürden muss dafür Verständnis aufgebracht werden, dass Energieversorger ihre Projekte im Ausland bauen.
OnlineReports:
Im Basler Projekt hat die EBL zehn Millionen Franken verloren.
Steiner: Wir haben zehn Millionen in Wissenschaft und Forschung investiert, nicht verloren. Das dabei gewonnene Wissen transferierten wir in die Geo-Energie Suisse AG. Eine Firma, der es gut geht und finanziell gesund ist, muss einen Teil in Risiko und Innovation investieren, sonst kommt die Schweiz nicht weiter. Nur so wird technologischer Fortschritt erzielt.
"Die Privatisierung von Quellen
ist ein absolutes No-go."
OnlineReports: Aber aus heutiger Sicht liegt doch die Zukunft in der Sonne und an geeigneten Orten im Wind.
Steiner: Schauen Sie, die Abstimmung über die Energiestrategie 2050 wäre gar nicht nötig gewesen, weil nicht politische Urnengänge bestimmen, wohin die Reise geht, sondern der technologische Fortschritt. Die Schweiz könnte sich auf 75 Prozent Wasserkraft verständigen. Dann hätten wir bereits 75 Prozent erneuerbare Energie ...
OnlineReports: ... aber dann müssten beispielsweise Staudämme erhöht werden, was mit Sicherheit Widerstand provozierte.
Steiner: Das ist es ja. Wie wollen wir Staudämme erhöhen, wenn wir bei der EBL wegen dem Widerstand nicht einmal ein Kleinflusskraftwerk wie jenes an der Birs in Zwingen bauen können. Ein Zubau an erneuerbarer Energie in der Schweiz ist aufgrund dieser hohen Hürden fast aussichtslos.
OnlineReports: Wie stehen Sie zu Umwelt-Organisationen und Fischerei-Verbänden, die dieses Kraftwerk hartnäckig bekämpfen?
Steiner: Es müssen beide Seiten nachgeben und den Kompromiss finden. Erneuerbare Energien gibt es nicht zum Nulltarif. Aber statt dessen kommen auf fast sektiererische Weise immer neue Auflagen dieser Verbände. Das ist sehr, sehr, sehr mühsam. Es ist ein Zermürbungskampf. Mein Nachfolger wird das Problem lösen – indem er wirklich zur Bewilligung kommt oder das Vorhaben abbricht.
OnlineReports: Welche Hoffnungen setzen Sie in Ihren Nachfolger Tobias Andrist?
Steiner: Er ist hoch qualifiziert und ein absoluter Glückgriff für die EBL. Das macht es mir auch relativ leicht, aufzuhören.
OnlineReports: Werden Sie Ihrem Nachfolger noch beratend zur Seite stehen?
Steiner: Ich ziehe mich bei der EBL von allen Aufgaben zu hundert Prozent zurück. Aber mein Telefon ist immer offen, wenn mein Nachfolger einen Rat haben will.
OnlineReports: Vor kurzem wurde bekannt, dass die EBL in die regionale Wasserversorgung einsteigen möchte. Dabei tauchte der Verdacht auf, die EBL wolle auch Quellen privatisieren. Ist das auch die Absicht?
Steiner: Nein. Das ist ein absolutes No-go. Als ehemaliger Gemeindepräsident hätte ich eine Quelle nie hergegeben. Es geht vielmehr um Dienstleistungen, dass beispielsweise mit dem Stromablesen gleichzeitig auch der Wasserverbrauch abgelesen wird und eine gemeinsame Verrechnung erfolgt
...
OnlineReports: ... aber doch wohl auch um mehr, beispielsweise den Leistungsbau und -unterhalt.
Steiner: Nein, es absolut nicht die Absicht der EBL, in den Gewerbe- und Handwerksbetrieb wie Bau und Unterhalt von Leitungen einzusteigen.
OnlineReports: Zusammen mit den IWB gründete die EBL den Verein "Energie-Zukunft Schweiz" unter der Leitung von Aeneas Wanner mit dem Ziel, mittels eines nationalen Kompetenzcenters die Energiewende mit der Förderung für erneuerbare Energien und der Energieeffizienz zu unterstützen. Wie hat sich das Projekt entwickelt?
Steiner: Vor 11 Jahren hatte ich diese Projekt-Idee. Zusammen mit den IWB, mit denen wir damals sehr gut zusammenarbeiteten, und weiteren Energieversorgern an Bord machen wir heute mit 35 Mitarbeitenden etwa elf Millionen Franken Umsatz – ein schönes KMU.
"Die Zusammenarbeit mit den IWB
ist leider eingeschlafen."
OnlineReports: Wie gut sind heute die Beziehungen zu den IWB?
Steiner: Die Zusammenarbeit ist, obwohl wir einige Anläufe genommen haben, leider eingeschlafen – nicht von der EBL-Seite aus. Aber ich bin überzeugt, dass Tobias Andrist und der neue IWB-CEO die Zusammenarbeit wieder verstärken werden. Beide Unternehmen könnten voneinander profitieren.
OnlineReports: Wie treten Sie ab 1. Juli kürzer?
Steiner:
Indem ich erst Sommerferien mache mit Biken, Wandern und Bergtouren. Auf den Herbst hin werde ich wieder etwas Kleines unternehmen.
OnlineReports: Wie wir hören, haben Sie bereits zwei kleine Firmen gegründet. Geht’s also gleich munter weiter?
Steiner: Nein, ich werde dann noch eines oder zwei Mandate annehmen, so dass ich zu gegen 50 Prozent beschäftigt bin. Vielleicht werde ich noch einen alten Bauernhof kaufen, ihn ökologisch renovieren und vermieten ...
OnlineReports: ... mit einem Solardach der EBL?
Steiner: Wahrscheinlich, ja (lacht).
7. Juni 2018
Weiterführende Links:
Der Gesprächspartner
Urs Steiner (64), ist seit Oktober 2002 Direktor der Genossenschaft Elektra Baselland (EBL) mit Sitz in Liestal. Der gelernte Elektromechaniker, Elektroingenieur und Energieingenieur gilt unter den Energieversorgern als Pionier der erneuerbaren Energie. Als FDP-Mitglied sass er 16 Jahre im Stadtrat seiner Wohngemeinde Laufen, acht Jahre davon als Stadtpräsident. Während elf Jahren gehörte er auch dem Baselbieter Landrat an. Der begeisterte Freizeit-Biker schafft jährlich 80'000 Höhenmeter.
Am 1. Juli übernimmt der 39-jährige Ökonom Tobias Andrist seine Nachfolge.