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"Es gab nie Probleme": Gegner der Regierungs-Aufsicht*, Regierungsgebäude
Regierung und Staatsangestellte vor dem Gesetz "etwas gleicher"
Namhaftes überparteiliches Komitee wirbt im Baselbiet für ein Nein zum Gesetz über die Strafprozessordnung
Von Peter Knechtli
Dem Einführungsgesetz über die Strafprozessordnung, über das im Baselbiet am 17. Mai abgestimmt wird, erwächst heftige Kritik: Ein prominent besetztes überparteiliches Komitee kämpft dagegen, dass die Regierung mit der Aufsicht über die neue Staatsanwaltschaft beauftragt wird. Diese verstosse gegen die Gewaltenteilung.
Auf den ersten Blick geht es um ein knochentrockenes Abstimmungsgeschäft: Das Einführungsgesetz zur neuen eidgenössischen Strafprozessordnung (StPO). Doch im Kern geht es darin um ein brisantes Thema: Ist es richtig, dass die Kantonsregierung mit der Aufsicht über die Staatsanwaltschaft betraut wird?
Sabine Pegoraro auf dünnem FDP-Eis
Um diese Frage wird im Baselbiet ungewohnt heftig gestritten. Zwar stimmte der Landrat auf Antrag der CVP der Regierungsaufsicht mit 44 zu 38 Stimmen knapp zu, nachdem die Hälfte der FDP-Fraktion "gekippt" war. Doch beträchtliche Teile der Freisinnigen lehnen die Regierung als Aufsichtsorgan ab. Nur knapp vermochte FDP-Sicherheitsdirektorin Sabine Pegoraro ihre Parteibasis von ihrem Aufsichtskonzept zu überzeugen: Die Ja-Parole der FDP für Gesetz und den dazu notwendigen Verfassungsartikel fiel nur mit hauchdünner Mehrheit. Abzüglich des Solidaritätsbonus ("wir können unsere Regierungsrätin nicht im Regen stehen lassen") kann davon ausgegangen werden, dass sachlich eine Mehrheit der Freisinnigen die Regierung als Aufsichtsorgan der Staatsanwaltschaft ablehnt.
Der prominenteste Wortführer gegen die Vorlage ist Peter Meier, ehemaliger Kantonsgerichtspräsident und langjähriger FDP-Stratege. Er ist nun auch Mitglied eines überparteilichen Komitees "Stop StPO", das gegen Gesetz und Verfassungsartikel antritt. Ihm gehören nebst zahlreichen Mitgliedern aus dem links-grünen und teils auch aus dem bürgerlichen Lager auch bekannte Persönlichkeiten aus dem Bereich der Strafverfolgung an – so Kantonsgerichtspräsident Andreas Brunner, Verfahrensgerichtspräsidentin Regina Schaub, CVP Oberbaselbiet-Präsident Georg Gremmelspacher, der amtierende Statthalter (Untersuchungsrichter) von Waldenburg, Christoph Gysin, der ehemalige stellvertretende Untersuchungsrichter von Liestal, Albert Augustin, Justizverwalter Martin Leber oder der frühere Oberwiler Gemeindepräsident Rudolf Mohler (FDP).
Da Komitee, das sich heute Dienstagmorgen an einer Medienkonferenz präsentierte, zählt derzeit rund 70 Mitglieder. Laut seinen Angaben lehnen hinter den Kulissen auch massgebliche Mitglieder von CVP und SVP die Vorlage ab.
Regierungs-Einmischung in die Justiz befürchtet
Alt Kantonsgerichtspräsident Peter Meier, der das Komitee als "Vertreterin des Standpunktes der FDP Schweiz" bezeichnete, warnte in Sorge "vor dem einwandfreien Funktionieren des Rechtsstaates": Dieses Gesetz sei "falsch, inakzeptabel und rechtsstaatlich gefährlich", Konflikte seien "vorprogrammiert". Denn die Regierung müsse "zweckmässig handeln", die Staatsanwaltschaft dagegen habe "die Handlungsmaximen der Justiz zu befolgen". Deshalb müsse sie auch vom Kantonsgericht beaufsichtigt werden, wie es die Regierung im Jahr 2001 schon für die Aufsicht über das Besondere Untersuchungsrichteramt (BUR) vorgeschlagen hatte. Diese Lösung, so Meier, habe sich rundum bewährt.
Pikant: Unterstützt wurde die Regierung damals durch die Sprecherin der FDP-Faktion – Landrätin Sabine Pegoraro. Jetzt wolle die Regierung die Aufsicht selbst an sich reissen, was zu einer Einmischung der Exekutive in die Justiz führen könne. Genau dies sei mit dem vorliegenden Gesetztesentwurf der Fall.
Kritik an "geteilter Aufsicht"
Meier hielt weiter fest, dass die Regierung die Aufsichtsfunktion aus fachlichen und personellen Gründen gar nicht wahrnehmen könne. Vielmehr müsse sie diese Aufgabe an eine Fachkommission delegieren. Damit werde wieder eine "getrennte Aufsicht" eingeführt, die der Landrat aufgrund desolater Zustände im Statthalteramt Arlesheim und teils auch im BUR im Zuge der Reform von 2002 ausdrücklich aufheben wollte. Die Aufsicht über die Statthalterämter und das BUR wurde bis 31. März 2002 administrativ von der Regierung einerseits und fachlich von der damaligen Überweisungsbehörde beziehungsweise später des Verfahrensgerichts wahrgenommen. Meier: "Geteilte Aufsicht ist des Teufels. Das läuft irgendwann aus dem Ruder und dann darf man wieder sanieren."
Der langjährige Richter warf die Frage auf, ob es der Regierung etwa vor allem um die Möglichkeit gehe, "in Strafuntersuchungen Einblick zu nehmen". Die neue Staatsanwaltschaft habe "bedeutende richterliche Aufgaben": Gemessen am heutigen System werden jährlich rund 24'000 Strafbefehle mit einer Strafkompetenz bis sechs Monate Gefängnis erlassen.
"Regeln gegen Machtmissbrauch nötig"
Der grüne Landrat Klaus Kirchmayr ("gute Regeln gegen Machtmissbrauch sind angebracht") schilderte den parlamentarischen Entscheidungsprozess, in dem die Justizkommission auf Antrag der Grünen einen unabhängigen Staatsanwaltschaftsrat als Aufsichtsorgan vorschlug, was der Landrat dann verwarf. Grund laut Kirchmayr: Ein unfairer und einseitiger Kommissionsbericht und ein "teilweiser Kadavergehorsam einzelner FDP-Landräte". Es sei überdies merkwürdig, dass Regierungsrätin Pegoraro "noch 2001 als Landrätin ein flammendes Plädoyer gegen eine Unterstellung unter die Regierung gehalten hat". Kirchmayr warnte vor einem "möglichen Machtmissbrauch": Mit der Unterstellung der Staatsanwaltschaft unter die Regierung seien "Regierung und ihre Chefbeamten vor dem Gesetz 'gleicher' als die anderen Bürger".
Von einer "aufwändigen Neuorganisation" im Falle einer Regierungsaufsicht sprach der Waldenburger Statthalter Christoph Gysin. Fazit: " Es kann doch nicht sein, dass eine neue Aufsichtsstruktur geschaffen wird, nachdem eine bestehende sich bereits bewährt hat und reibungslos funktioniert." Deshalb hätten sie Regierung und Landrat über die Kosten der neuen Aufsichtsregelung "wohlweislich ausgeschwiegen". Ausserdem seien die bisherigen Standorte der Statthalterämter und der neuen Dienststellen der Staatsanwaltschaft "nicht mehr garantiert": Sie könnten "von einem Tag auf den andern durch einen Federstrich der Regierung oder des Landrates beseitigt werden".
Selbstzensur für Strafverfolger
Gysin gab auch seine Erklärung dafür ab, weshalb sich die zahlreichen Mitarbeitenden der Statthalterämter und der Staatsanwaltschaft bisher zur geplanten Aufsichtsregelung nicht öffentlich geäussert hätten: Dies könnte "im Hinblick auf eine mögliche Unterstellung" unter die Regierung "zwangsläufig mögliche Konsequenzen nach sich ziehen".
In ihrem Eingangsvotum erklärte Landrätin Regula Meschberger (SP), es gehe bei diesem Gesetz um die Infragestellung der Gewaltenteilung und damit auch um die demokratisch fundamentale Frage, "was den Rechtsstaat vom Unrechtsstaat unterscheidet". Laut Komitee-Koordinator und SP-Landrat Ruedi Brassel will das Komitee den Kampf gegen Gesetz und Verfassungsartikel unter anderem mit zwei "Facebook"-Gruppen führen.
* von links: Peter Meier, Christoph Gysin, Regula Meschberger, Klaus Kirchmayr, Ruedi Brassel heute Dienstagmorgen in Liestal
Kommentar von Peter Knechtli
28. April 2009
Weiterführende Links:
Die 150-köpfige Staatsanwaltschaft
Mit der Neuorganisation der Staatsanwaltschaft verschwinden die fünf traditionellen Bezirksstatthalterämter (Untersuchungsrichterämter) in Liestal, Sissach, Waldenburg, Arlesheim und Laufen von der Landkarte der Strafverfolgung. Sie werden in die Staatsanwaltschaft integriert, die künftig Untersuchungs- wie Anklagebehörde ist und insgesamt 150 Stellen in sich vereinigt.
Die Statthalterämter, die personell den Löwenanteil der künftigen Staatsanwaltschaft ausmachen, sowie das Besondere Untersuchungsrichteramt (BUR) zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität und der Wirtschaftskriminalität stehen seit 2002 unter der Aufsicht des Kantonsgerichts – eine Lösung, die sich eingespielt und zu keinerlei Problemen geführt hat. Einzig die heutige Staatsanwaltschaft mit rund 15 Stellen ist der Sicherheitsdirektion unter Sabine Pegoraro angegliedert.
Negativ-Beispiele
Das Komitee "Stop StPO" nennt auf seiner Website (www.stop-stpo.ch) drei Beispiele einer Beeinflussung der Justiz durch die Regierung oder einer behaupteten Verletzung der Gewaltenteilung:
• Fall Tinner. Hier liess der Bundesrat in einem geheim gehaltenen Beschluss umfangreiche Datenträger und Dokumente aus dem Tinner-Verfahren der Bundesanwaltschaft durch die Bundespolizei und unter Aufsicht der Internationalen Atomenergiebehörde vernichten.
• "Basler Justizaffäre". In den Wirren um die sogenannte "Basler Justizaffäre" um Graziella und Raffaele Klages Ende der neunziger Jahre – unter anderem soll ein Polizist Graziella Klages in einer Zelle in Hölstein vergewaltigt haben, was nicht zutraf – verpasste die Baselbieter Regierung dem Waldenburger Statthalter Christoph Gysin einen Maulkorb: Weder Gysin, der keine Beweise für die behauptete Vergewaltigung fand, noch seine Sissacher Amtskollegin Anne-Kathrin Goldmann durften an einer Medienkonferenz in Basel auftreten und ihren Standpunkt darlegen. Folge der "Justiz-Affäre war eine umfassende Justizreform im Baselbiet mit angepassten Aufsichtsregelungen.
• Ausstandspflicht. Als Beispiel dafür, wie genau es die Regierung mit der Gewaltentrennung nehme, nennt das Komitee die nach seiner Meinung verletzte Ausstandspflicht durch Baudirektor Jörg Krähenbühl. Es geht um den Fall "Kap-Haltestelle" in Reinach, durch die zwei Parkplätze vor Krähenbühls Geschäftsliegenschaft aufgehoben werden müssten.
"Ein Problem mit der richterlichen Unabhängigkeit"
Die Staatsanwaltschaft vertritt den Strafanspruch des Staates; sie ist Partei und nicht Richter. Ihre Aufgabe ist nicht weniger politisch als die der Steuerverwaltung oder des Bauinspektorats. Niemand käme auf die Idee, diese Behörden der Justiz zu unterstellen, obwohl eine Einflussnahme der Regierung auf einzelne Steuerveranlagungen oder Baubewilligungen genauso heikel ist. Aufsicht ausüben bedeutet aber Verantwortung übernehmen. Ein Kantonsgericht, das zugleich die Anklage zu verantworten hat, ist so unabhängig wie zu Zeiten der Inquisition. Gewiss trennt das Kantonsgericht zwischen Justizverwaltung und Straffällen, aber gerade das zeigt, dass schon in der bisherigen Aufsicht über Staatsanwaltschaft und BUR eigentlich ein Problem mit der richterlichen Unabhängigkeit besteht.
Matthias Häuptli, Basel
"Wollen wir zurück zu den Zuständen vor 2002?"
Lieber Thomas Weber, ich weiss ja, dass die SVP am liebsten alle Macht der Regierung gibt. Ein starker (harter) Staat soll für Ruhe und Ordnung sorgen. In unserer schweizerischen Tradition bedeuten Demokratie und Rechtsstaat aber eine Balance der drei Staatsgewalten. In vielen Kantonen werden deshalb Versuche unternommen, die Strukturen des Parlaments und der Judikative zu professionalisieren. Wir im Baselbiet haben im Bereich der Dritten Staatsgewalt eine Pionierrolle übernommen. Wollen wir nun wirklich zurück zu den Zuständen vor 2002? Von einem schleichenden Machtzuwachs kann nicht gesprochen werden, es geht lediglich darum, dass erreichte Gleichgewicht zu stabilsieren. Deshalb Zweimal Nein am 17. Mai 2009.
Martin Leber, FDP-Gemeinderat und Justizverwalter des Kantons Basel-Landschaft, Sissach
"Schleichender Machtzuwachs der Justizbehörden"
Leider verstehen sich manche Justizbehörden in zunehmendem Mass als vorgesetzte Instanz der anderen beiden Gewalten. Gewaltenteilung heisst meines Erachtens, dass Legislative, Exekutive und Judikative alle eine gleichermassen wesentliche und voneinander möglichst unabhängige Rolle im Staat wahrnehmen. Die oberste Kontrollfunktion kommt in der direkten Demokratie dem Souverän, das heisst dem stimmberechtigten Volk zu.
Das verbreitete Unbehagen gegenüber den Argumenten des Komitees "Stop StPO" gründet auf dem demokratisch schwach abgestützten schleichenden Machtzuwachs der Justizbehörden zu Lasten der Organe der anderen Gewalten.
Thomas Weber, Buus
"Diese Struktur ist ein Skandal"
Die Zweite soll die Dritte Gewalt überwachen? Wer Solches fordert, hat den Pfad solider Gewaltenteilung entweder nie gefunden oder final verlassen. Beides hat absolut rein gar nichts mit dem klassischen Rechtsstaat zu tun. Summa summarum: Die vorgeschlagene Struktur ist ein Skandal! Dem Herrn alt Kantonsgerichtspräsident Peter Meier gebührt Dank, für sein Engagement.
Patric C. Friedlin, Basel