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"Es ist eine schwere Kunstform": Dirigent Enrico Delamboye
La grande bouffe et les cris des femmes folles
Mit einer Grand Opéra, viel Tingeltangel und Dirigent Enrico Delamboye geht der Lappen auf der Grossen Bühne des Theater Basel hoch
Von Jürg Erni
Statt einer Maisfeld-Begehung gibt’s zum Saisonbeginn leichte Kost: "Les Contes d’Hoffmann" von Jacques Offenbach. Eine Phantastische Oper mit den Traumfrauen Olympia, Antonia, Giulietta. Hoffmanns Männerfantasien werden für einen Abend zum prallen Leben erweckt.
Das obere Baselbiet ist nicht zum Handkuss gekommen, die letzte Theatersaison unter der Ägide von George Delnon eröffnen zu dürfen. Sang- und klanglos ist die im Saisonprospekt für den 27. August gross angekündigte Koproduktion mit dem Festival Rümlingen "Ume Mais ume" am Mättenberg im Maisfeld unter den Pflug geraten (siehe Link unten). Kein Chorsänger durfte einmal im Geviert "z'Acher fahre". Ausser Ausfallhonoraren und Spesen ist also nichts gewesen. Der Reinfall hat nicht einmal in kulturpolitisch engagierten Kreisen des Landkantons Reaktionen ausgelöst!
Somit eröffnen Hoffmanns Erzählungen als fünfaktige Phantastische Oper von Jacques Offenbach die letzte Spielzeit des künftigen Hamburger Opernintendanten.
"Les Contes d'Hoffmann", die Erzählungen des Dichters Ernst Theodor Amadeus Hoffmann und seines Alter Ego Niklas, bringen Sänger und Musiker in Aufwallungen und die Theatermaschinerie zum Knirschen. Wie in keiner anderen Oper zischt und salbadert, funkelt und flunkert es auf der Bühne, was das Zeug hält. Die aufziehbare Puppe der Olympia im physikalischen Kabinett, die Dame von Welt Antonia am Spinett, respektive die Gespielin Giulietta auf der Gondola, das schillernde Damentrio liefert den Stoff, aus dem die Träume des rastlos ratlosen Titelhelden entspringen. Prolog und Epilog mit der alle Männerfantasien vereinenden Herrin Stella ohne Stimme bilden die "Rahmenstiggli" in einer deutschen Weinstube mit studentischem Saufgelage und einem Luther als Wirt.
Burschenherrlichkeit, Boudoir und Belcanto
Ein einziger Triumph über die Fantôme dieser Grand Opéra ist Offenbachs schillernde Musik mit ihren Hits der fremd gesteuerten Automaten, der schmachtenden Couplets, der trällernden Chansons, des beschwipsten Kommerz-Gegröles vom Klein-Zack, des tirilierenden Koloraturgesangs, der unsterblichen "Barkarole" auf der Lagune, der "Spiegel"-Arie im Boudoir.
Burschenherrlichkeit und Koloraturkunstgesang im Labor, im Primadonnen-Kabinett respektive im Milieu eines Zuhälters liefern sich eine abendfüllende Vorstellung von Verstellung und Firlefanz. "Des cendres de ton coeur rechauffe ton génie", trösten im Schlussrefrain die als Niklas demaskierte Muse und die "Voix invisibles" im Off den ewig leidenden Helden.
Absolutes Gehör beim Partiturlesen
Wie bringt der Dirigent im Orchestergraben die Stile und Anspielungen sowohl auf das Vorbild Mozart (dem der Dichter den Vornamen stahl) wie auf das deutsche Lied, das Chanson und den Belcanto ins Lot? Dazu braucht's einen gewieften Kapellmeister wie den in Wiesbaden geborenen Holländer Enrico Delamboye, der in der Basler Oper schon öfters sein Können als souveräner Gastdirigent auch im schweren Fach so im "Lohengrin", "Holländer", einer "Katja Kabanowa" oder "Manon" bewiesen hat.
Die Repertoireliste des Chefdirigenten am Theater Koblenz führt sechzig Opern auf und doppelt so viele sinfonische Musik. Seine stilistische Bandbreite reicht von Monteverdis "Orfeo" über Raritäten wie "Samson et Dalila" von Saint-Saens bis zur Uraufführung einer Oper des holländischen Komponisten Marijn Simons.
Wie hält er ein solch breites Repertoire aufrecht? Delamboye verweist auf sein absolutes Gehör und ein rasches Partiturlesen, also auf die untrügliche Bestimmung von realen Tonhöhen wie auf die analytische Fähigkeit, auch eine gross besetzte Orchesterpartitur auf Anhieb zu durchschauen und zu hören.
Im Fluss dirigieren
Was fasziniert Delamboye am Hoffmann, dieses schillernden Titelhelden und an seinem Adlatus Niklas, der als Muse aus einem Weinfass entsteigt und knabenhaft zur Begleitfigur Hoffmanns mutiert. "Es ist eine schwere Kunstform, obwohl sie sich leicht gibt. Es gibt viele Aspekte in dieser Oper, die es bei der Umsetzung zu berücksichtigen gilt wie der ständige Wechsel von Szenen, Stimmen, Stimmungen und Tonarten. Da muss ich dafür sorgen, dass alles im Fluss bleibt".
Eine grosse Flexibilität fordert die Vielzahl von männlichen und weiblichen Besetzungen und ihren Doppelbesetzungen, der Herren Lindorf bis Mirakel wie der Damen Olympia (Agata Wilewska), Antonia (Maya Boog) und Giulietta (Sunyoung Seo). Dazu agieren, singen und spielen der vielbeschäftigte Theaterchor und das stark geforderte Sinfonieorchester im Graben.
Auf Publikumserfolg programmiert
Optisch präsentieren sich ein aufwändiges Bühnenbild und ein bunter Kostümreigen (Silvia Merlo und Lydia Kirchleitner). Am Regiepult steht der bewährte, skandalunverdächtige Elmar Goerden, der in Basel den "Figaro" und den "Wozzeck" mit viel Applomb inszeniert hat.
Die Saisoneröffnung des Theaters Basel dürfte somit einen Publikumserfolg garantieren und die Ränge der 18 Aufführungen bis zur Sylvestervorstellung füllen. George Delnon scheint in seiner letzten Saison mindestens in der Oper keine Stricke mehr zu zerreissen. Die zweite Operninszenierung ist wieder eine Buffo: Donizettis "Don Pasquale". Für Unaufgeregtheit ist also mindestens auf der Musiktheaterbühne gesorgt!
Info
Premiere "Les Contes d'Hoffmann" am 17.9., 19.30 Uhr auf der Grossen Bühne des Theater Basel. Weitere Vorstellungen am 20., 22. und 28.9.
15. September 2014
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