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"Tugendheld mit scharfem Gewissen": Gutachten Kaufmann aus dem Jahr 1987
Politiker sind traditionell anfällig auf sensible Privilegien
Gutachten und Recht äusserten sich schon früher restriktiv gegenüber Reisen, Zusatz-Einnahmen und als Spesen getarnte Honorare
Von Peter Knechtli
Bis zum berühmt-berüchtigten "Spanien-Reisli" der Solothurner Regierung waren als Studienreisen getarnte Ausland-Reisen auch bei Baselbieter Regierungsräten gang und gäbe. Schon 1987 äusserte sich der frühere Bundesgerichtspräsident Otto Kaufmann in einem Gutachten kritisch gegenüber Auslandreisen sowie opulenten Zusatzeinnahmen für Direktionsvorsteher.
Riesig war die öffentliche Empörung, als das sogenannte "Spanien-Reisli" der Solothurner Regierung durch die Medien enthüllt wurde. Auf Einladung der Kernkraftwerk Gösgen-Däniken AG reisten vom 11. bis 15. Mai 1983 siebzig Personen nach Spanien – darunter sämtliche Solothurner Regierungsräte mit ihren Ehefrauen. Anlass der Reise, die 186'000 Franken kostete, war das zehnjährige Bestehen des AKW-Unternehmens. Wegen verbotener Annahme von Geschenken kam es zu einer Strafuntersuchung gegen die Regierungsräte und den Staatsschreiber, doch wurden sie durch das Gericht freigesprochen.
Beliebte Reisli mit Regierungsräten
Der Freispruch, noch untermauert mit einer Parteientschädigung, hatte dennoch landesweit seine Auswirkungen auf die Art, wie grosszügig sich Regierungsräte zu Reisen einladen liessen. Die politischen Akteure waren fortan viel zurückhaltender in der mehr dem geselligen Vergnügen als der klar fachlich definierten Meinungsbildung dienenden Reise-Praxis.
Solothurn war freilich kein Einzelfall. In der Region Basel hatten Ausland-Reisli von vier bis sechs Tagen Dauer mit Regierungsvertretern lange Tradition. Insbesondere die Kraftwerk Birsfelden AG organisierte seit 1956 "Studienreisen" mit rund zwanzig Personen ins Ausland, an denen jeweils auch Regierungsräte aus den beiden Basel mit von der Partie waren. So ging es 1977 in die französischen Pyrenäen, 1980 nach Kreta und 1983 nach Portugal. Die reisefreudige Hardwasser AG strebte ab 1970 nach Budapest (1976), Island (1979), Andalusien (1982) und noch 1985 an den Gardasee.
Regierung verletzte Beamtengesetz
Aus einem Gutachten des früheren – inzwischen verstorbenen – Bundesrichters Otto Kaufmann aus dem Jahr 1987 geht hervor, dass jeweils auch die Ehefrauen der Regierungsräte auf den Reisen der beiden gemischtwirtschaftlichen Unternehmen dabei waren. Vom "Spanien-Reisli", so Kaufmann, hätten sich die Einladungen durch die Kraftwerk Birsfelden AG und die Hardwasser AG dadurch unterschieden, dass "jeweils nur die im betreffenden Verwaltungsrat vertretenen Regierungsräte und Chefbeamten mit ihren Ehefrauen eingeladen wurden", und anderseits dadurch, dass "derartige Auslandreisen im Abstand mehrerer Jahre schon sei längerer Zeit üblich sind".
Mit solchen "Zuwendungen" (wie sie Kaufmann nennt) hätten sich die Regierungsräte "zwar nicht im Sinn des Strafgesetzbuches strafbar gemacht", doch hätten sie das Beamtengesetz verletzt. Grund, so folgert Kaufmann: Solche Reisen auf Einladung gemischtwirtschaftlicher Unternehmen, die nicht durch den Firmenzweck gedeckt sind, müssten "als Geschenke oder Vorteile" qualifiziert werden. Deshalb dürfen sie von Regierungsräten und Chefbeamten "nicht im Zusammenhang mit ihrer amtlichen Tätigkeit angenommen werden".
Ziel: Einkommensunterschiede vermeiden
Der Gutachter, im Auftrag der Regierung um seine Meinung gebeten, äussert sich auch ausführlich über Spesenentschädigungen, Sitzungsgelder und Verwaltungshonorare. In keiner Passage kommt Kaufmann zur Auffassung, dass Regierungsräte Honorare aus Verwaltungsratsmandaten, die sie als Abgeordnete der Regierung wahrnehmen, in die eigene Tasche stecken dürfen.
An die Staatskasse abzuliefern waren die Gelder schon nach damaliger Auffassung, um "Einkommensunterschiede unter den Regierungsräten (...) zu vermeiden, die sich aus anderen entgeltlichen Vertretungen ergeben. Dadurch, dass die Sitzungsgelder "behalten werden dürfen" werde das Prinzip der Vermeidung von ungleichen Zusatzeinkommen "ein wenig abgeschwächt". Da es sich aber um "bescheidene" Zusatzeinkommen durch Sitzungsgelder handle, seien deren Abgabe an die Mandatsträger "vertretbar".
Damalige Regierung beschloss Bescheidenheit
Aus dem Gutachten, das OnlineReports vorliegt, geht auch klar hervor, dass Spesenentschädigungen von Regierungsmitgliedern in Verwaltungsräten nicht an die Staatskasse abgeliefert werden müssen. Dies allerdings nur dann, wenn diese Entschädigung nicht "so reichlich wäre, dass sie faktisch ein 'verdecktes Verwaltungshonorar' mitenthielte". Experte Kaufmann geht also von einem Spesenbegriff im ursprünglichen Sinn als Abgeltung "echter" und nicht fiktiver Auslagen aus.
Dieser Logik folgend beschloss die Baselbieter Regierung am 9. Dezember 1999 präzisierend, dass Verwaltungsrats-Honorare an die Staatskasse abzuliefern seien, während Sitzungsgelder und Spesenvergütungen bei den Mandatstragenden "verbleiben".
Riesige Cash-Unterschiede
Interessant im Regierungsbeschluss ist der Kommentar, dass die Sitzungsgelder "wesentlich geringer" seien als die Honorare. Die Spesenvergütungen werden beschränkt auf "Entschädigungen für effektiv getätigte Spesen". Daraus kann die Tolerierung eines insgesamt geringen privaten Zustupfs für Mandatsträger interpretiert werden.
Davon kann nach den neusten Informationen im Bericht der Finanzkontrolle und der Spezial-Subkommission der landrätlichen Finanzkommission kaum noch die Rede sein. Vielmehr offenbaren sich allein in den untersuchten letzten fünf Jahren massive Einkommensunterschiede unter den einzelnen Regierungsräten. Zusätzlich zu seinem Gehalt als Regierungsrat bezog Finanzdirektor Adrian Ballmer aus Honoraren, Sitzungsgeldern und Spesen fast 290'000 Franken und der verstorbene Peter Zwick über 160'000 Franken, während Sabine Pegoraro gerade mal auf 18'000 Franken kam.
Gutachter-Verständnis für Politiker-Schwächen
Wie es scheint, setzte die Affäre um das "Spanien-Reisli" der Solothurner Exekutive der vergnüglichen amtlichen Reisetätigkeit der Kantonsregierungen in Begleitung ihrer Ehefrauen ein Ende. Aber nicht der Verlockung, den Freuden des Amtes in anderer Weise zu widerstehen. Verstärkt waren es pekuniäre Benefits in Form von Verwaltungsratshonoraren, als Spesen getarnte Zusatzverdienste und üppigen Sitzungsgeldern.
Dass wohl die meisten Regierungsräte – auch anderer Kantone – nicht standhaft Nein sagten, wenn ein Reislein in Aussicht stand, dafür zeigte Ende der achtziger Jahre sogar Gutachter Kaufmann Verständnis: "Es ist gar nicht leicht, sich gegen einen eingerissenen, für die Empfänger einer Reiseeinladung doch angenehmen Brauch als 'Tugendheld mit scharfem Gewissen' zu gebärden." Ähnlich dürfte es sich später verhalten haben, wenn auch privat noch ein hübsches Supplement in die Kasse floss. Auch wenn dies gegen das geltende Recht verstiess. Regierungsräte sind eben auch nur Menschen.
26. Dezember 2013
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