© Fotos by Sarah Keller, OnlineReports.ch und DRG
"Alle waren schon weg": Wildsau-Schäden in Liestal
Wildschweine im Vormarsch: Sie wühlen bis ans Haus
Hohes Aufkommen im Baselbiet führt zu vermehrten Schäden auf Fluren und Feldern
Von Sarah Keller
Das Baselbiet wäre ein Paradies für Obelix: Die Wildschweine treten derzeit ungewöhnlich zahlreich auf – und sie kommen bis vor die Häuser. Die schlauen Vierbeiner sind zwar für den Menschen kaum gefährlich, aber sie richten in der Landwirtschaft beträchtliche Schäden an.
Es ist Ende Dezember spätabends in Liestal. Angelika Rutishauser* ist auf dem Nachhauseweg, als sie am Rand des Sommerhaldenwegs dunkle Schatten sieht. "Neugierig trat ich näher", erzählt sie, "als ich plötzlich in eine grunzende Schweineschnauze hinter einer Lichtplanke blickte." Ihr gefror das Blut in den Adern, als sie bemerkte, dass hinter der Wildsau noch acht bis zehn weitere Artgenossen standen. "Obwohl ich wahnsinnige Angst hatte, blieb ich ruhig und entfernte mich langsam und möglichst lautlos", schildert sie.
"Noch nie so nahe an Häusern"
Wildschweine so nahe am Wohngebiet sind in Liestal keine Seltenheit mehr: Dies beweisen derzeit unübersehbare Spuren und massive Flurschäden der wühlenden Paarhufer direkt neben Hochhäusern in der Oristalstrasse. Der Hauswart der Siedlung sagte gegenüber OnlineReports, in letzter Zeit habe der Jäger ein paar mal kommen müssen, weil Anwohner abends Wildschweine gesichtet hatten.
Das Problem nur: "Der Jäger konnte leider nie eine Sau schiessen. Als er kam, waren sie alle schon weg." Andernfalls wäre das Problem gelöst gewesen, wie der Abwart weiss: "Die Wildschweine sind so schlau, dass Rotten nie an einen Ort zurückkehren, an dem sie ein Mitglied verloren haben." Er sei hier schon seit 13 Jahren Hausmeister, die Wildschweine kämen aber erst seit rund einem Jahr so nahe ran.
Hohe Schäden in dieser Jagdsaison
Der Baselbieter Kantonstierarzt Ignaz Bloch bestätigt: Die Wildschwein-Problematik ist dieses Jahr "wesentlich grösser" als in anderen Jahren. Das Aufkommen der Schwarzschweine im Baselbiet schwankt laut Ignaz Bloch von Jahr zu Jahr. Derzeit sei die Popuplation so gross, weil im Vorjahr ein "ausgeprägtes Mastjahr" war. Deshalb hätten die Säue in der laufenden Jagdsaison, die noch bis im April dauert, an der Landwirtschaft schon Schäden in Höhe von 175'000 Franken angerichtet. Zum Vergleich: Im gesamten vergangenen Jagdjahr belief sich der Schaden auf 125'000 Franken.
Oft sehen Fluren, die von Wildschweinen heimgesucht wurden, so aus, als seien sie umgespatet worden: Die intelligenten Tiere wühlen in der Erde nach Futter, die Narben müssen hinterher wieder geschlossen werden. Bei Bauern gefürchtet sind die fixen Wildtiere, wenn sie sich über Maisfelder oder andere Kulturen hermachen und eine regelrechte Verwüstung hinterlassen.
Elektrisch geladene Zäune
Wildschweine sind aber nicht nur für die Landwirtschaft eine gewisse Bedrohung, sie können sich auch als richtiggehende Kameradenschweine verhalten: Für ihre Verwandten, die Freilandschweine, können sie eine Gefahr bedeuten. Laut einer Studie des Zentrums für Fisch- und Wildtiermedizin können Hausschweine von ihren Vorfahren mit dem Krankheitserreger "Brucella suis" angesteckt werden. Gemäss Kantonstierarzt Bloch hat die Freilandhaltung von Hausschweinen im Baselbiet aber keine grosse Bedeutung. Die wenigen vorhandenen Exemplare können durch Elektrozäune geschützt werden, die von den Bauern finanziert werden müssen.
Elektrisch geladene Zäune sollen laut Bloch Wildschweine ebenfalls von landwirtschaftlichen Kulturen fernhalten. Das Wiesland sei jedoch in der Regel nicht geschützt, denn "man kann ja nicht das ganze Baselbiet einzäunen". Die meisten Wiesen sind also für die wühlenden Tiere frei zugänglich, weshalb sie dort auch die grössten Schäden anrichten.
Um diese Verluste zu begrenzen und den Bestand stabil zu halten, geht es den armen Schweinen nun an den Kragen: In der bisherigen Jagdsaison wurden im Baselbiet schon 857 Wildschweine erlegt. Laut Bloch sei "wünschenswert", dass es bis Ende März 1'000 erlegte Tiere sein werden.
Kulinarische Freuden
Freude daran haben kulinarische Geniesser, wenn Wildsau auf dem Teller liegt: Das Fleisch gilt als besonders "chüschtig". Mehrere Gaststätten bieten es als Spezialität an, so beispielsweise die "Alte Brennerei" in der Schwarzbuben-Gemeinde Nuglar.
Susanna Keller und Martin Klotz (Bild), die Wirte dieses Restaurants, berichten, dass das Sauenfleisch trotz grösserem Angebot immer etwas teurer geworden ist. "Für Keulen und Schnitzel bezahlen wir mittlerweile 30 Franken pro Kilo, gegenüber 22 Franken vor sechs Jahren", betonten sie gegenüber OnlineReports. Wilde Schweine können also auch auf kulinarischer Ebene zum nicht ganz billigen (dafür leckeren) Vergnügen werden.
Wildschweine fanden viel Nahrung
Der Grund für die massive Präsenz der Paarhufer: Letztes Jahr fanden die Wildschweine viel Futter, was der Vermehrung Vorschub leistet, wie Pascal Cueni, der Präsident von "JagdBaselland" (früher "Basellandschaftlicher Jagdschutzverein") erzählt. Ein Vorteil der grossen Anzahl der Paarhufer sei, dass die interessanten Tiere die Jagd bereicherten. Cueni: "Ein Nachteil ist, dass dadurch der Jagddruck sehr hoch ist. Ausserdem hat es dann irgendwann zu viele erlegte Säue, so dass der Absatz nicht mehr stimmt. Kein Jäger schiesst gerne eine Wildsau, wenn er sie nicht verwerten kann."
Anderseits macht die Sau dem Jäger die Arbeit nicht einfach, wie Cueni weiss: "Da sie sehr schlau sind, ist es schwierig, sie zu erwischen." Jäger Othmar Bürgi aus Nuglar stimmt ihm zu: "Am richtigen Ort zur richtigen Zeit zu sein, ist schwierig, denn Säue lernen sehr schnell und werden vorsichtiger." Wenn ein Jäger aus Versehen eine Leitsau erschiesse, entstünden mehr Schäden, weil dann die Sozialstruktur in der Rotte nicht mehr funktioniere, erklärt Cueni.
Für Menschen kaum eine Gefahr
Für Spaziergänger seien Wildschweine normalerweise keine Gefahr. "Sie nehmen uns Menschen eher wahr als wir sie und fliehen daher rasch, da die Tiere menschenscheu sind", meinte Kantonstierarzt Bloch zu OnlineReports. In einer brenzligen Situation solle man sich den Wildschweinen nicht nähern, sich aber bemerkbar machen. Laut Weidmann Bürgi könnten Wildschweine nur dann bedrohlich werden, wenn sie Junge hätten oder verletzt seien: "Eine verletzte Wildsau ist sehr wehrhaft. Im Ausland sind schon Jäger durch verletzte Tiere umgebracht worden."
Spaziergängerin Angelika Rutishauser hat Schwein gehabt: Das Schwarzwild fühlte sich offenbar von ihr nicht gestört und ihre Angst vor einem Angriff blieb unbegründet. Trotzdem wird sie nicht mehr so unbeschwert im Wald spazieren gehen können: "Ich habe gehört, Wildschweine seien allgemein weniger scheu geworden. Die Behörden sollten der Bevölkerung mitteilen, wie man sich ihnen gegenüber verhalten soll."
* richtiger Name der Redaktion bekannt
14. Januar 2013
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