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"Überparteiliche Akzeptanz": Konkurrentinnen Graf, Schneeberger, nach der Wahl
Der "Juso-Trick" gegen Ständerätin Maya Graf verfing nicht
Erstmals Grün, erstmals Frau: Die historische Wahl markiert Zeichen einer gesellschaftlichen Umwälzung
Von Peter Knechtli
Die Favoritin hat in einer fairen Kampfwahl mit historischem Ausgang gewonnen: Die grüne Nationalrätin Maya Graf ist die erste Frau und gleichzeitig die erste Grüne, die für das Baselbiet in den Ständerat einzieht. Die 57-Jährige schlug die freisinnige Nationalrätin Daniela Schneeberger (52) mit einer relativ knappen Mehrheit von 2'100 Stimmen.
Ganz überraschend ist das Ergebnis des zweiten Wahlgangs nicht. Die 33 Prozent der Stimmen, die Daniela Schneeberger als Erstplatzierte im ersten Wahlgang am 20. Oktober erzielte, waren der erste Hinweis darauf, dass es knapp werden könnte. Immerhin gingen 67 Prozent der Stimmen an Bewerbende der Grünen (Maya Graf) und der Sozialdemokraten (Eric Nussbaumer, der als Drittplatzierter aufgab).
Für Maya Graf bestand im Hinblick auf den zweiten Wahlgang das Risiko, von den Sozialdemokraten aufgrund von vorgängigen Querelen mit den Grünen nur ungenügend unterstützt zu werden. Diese Angst war, wie sich nun zeigt, unbegründet. Noch am Donnerstag hatte SP-Chef Adil Koller seine Basis ein letztes Mal zur Graf-Wahl aufgerufen, damit der Baselbieter Ständeratssitz "im progressiven Lager bleiben" werde. Die Genossen weibelten eifrig für die Grüne.
"Analogien waren teilweise
an den Haaren herbeigezogen."
Der Wahlkampf war auf beiden Lagern geprägt von teilweise an den Haaren herbeigezogenen Argumenten. So war die von grüner Führungsseite geäusserte Behauptung absurd, die Kandidatur Daniela Schneeberger für das Präsidium des Schweizerischen Gewerbeverbandes könnte als Ständerätin zu Konflikten führen, weil das Baselbiet die Meinung dieses Verbandes öfters nicht teile.
Die anderseits von Schneeberger-Supportern gebetsmühlenartig vorgebrachte Analogie, ein "schon immer bürgerlicher Kanton" brauche eine bürgerliche Ständerätin, entpuppt sich schon bei historischer Betrachtung als falsch. Seit Sekundarlehrer und Sozialdemokrat Walter Schaub 1935 in den Ständerat gewählt wurde, wechselten sich FDP- und SP-Ständeräte im Baselbiet munter ab: Werner Jauslin (FDP), Edi Belser (SP), René Rhinow (FDP), Hans Fünfschilling (FDP), Claude Janiak (SP).
Wer so argumentiert – die ideologische Mehrheit des Kantons müsse in der Ständerats-Vertretung abgebildet werden –, hat nicht begriffen, dass die kontinentale gesellschaftliche Umwälzung auch das Baselbiet ergriffen hat. So kam es, dass auch grundsolide bürgerliche Gemeinden für die linke Grüne votierten.
Längst erscheint der Kampf der Frauen um Lohngleichheit, der Kampf der Grünen gegen die Zerstörung der natürlichen Grundlagen und der Kampf der Linken für eine neue unternehmerische Ethik so plausibel, dass die alten Links-Rechts-Dogmen als Entscheidungskriterien in Persönlichkeitswahlen ihre Bedeutung verloren haben.
Da half es auch nichts, die Freisinnige Daniela Schneeberger via Spider-Diagramme in die Mitte rücken zu wollen: In ihren acht Nationalratsjahren wurde sie im Baselbiet als rechtsbürgerliche Politikerin wahrgenommen, die stets zuverlässig entlang der Parteilinie entschied.
"Wer nett daherkommt, aber
parteipolitisch stur, bleibt chancenlos."
Das kam nirgends so deutlich zum Ausdruck wie in ihrem ersten öffentlichen Medienauftritt als Ständerats-Kandidatin, in dem sie sich zu den Themen "Klima" und "Frauen" erst äusserte, als sie von Journalisten darauf angesprochen wurde. Ihre nachgelagerten Versuche, sich auch als Frauen-Engagierte zu positionieren und ihren Namen auf grünem Untergrund zu plakatieren, wirkten ebenso wenig überzeugend wie Versuche, die Entstehung von Kolchosen unter der Sissacherfluh zu beschwören, wie die "Basler Zeitung" bildhaft zugespitzt interpretierte.
Die Geschlechterfrage dürfte dieses Wochenende angesichts zweier Frauen-Kandidaturen kaum eine Rolle gespielt haben. Unter bewusst Frauen-Wählenden dürfte Graf als "Alliance F"-Copräsidentin die Nase vorn gehabt haben.
Ständeratswahlen sind Majorzwahlen und Majorzwahlen sind Persönlichkeitswahlen. Doch wer zwar hübsch lacht, aber parteipolitisch stur ist, bleibt chancenlos. Sympathieträger aber wird erst, wer unabhängig von seinem politischen Standpunkt glaubhaft auf Menschen zugehen kann, und wem die Wählerschaft die Fähigkeit zutraut, persönliche Souveränität zu entwickeln, im Interesse einer Sache über den eigenen parteipolitischen Schatten zu springen und in einer neuen Rolle kompromissbereit zu sein. Dafür hat das Volk ein feines Gespür.
Claude Janiak positionierte sich als früherer Landrat klar links. Doch zunächst im Nationalrat und später im Ständerat legte er die tiefrote Weste zunehmend ab und gewann das Vertrauen des Volkes als über der Partei Stehender. Eine ähnliche Rollen-Entwicklung traut das Volk offensichtlich auch Maya Graf in der Chambre de réflexion zu, selbst wenn ihr die Gegner vorhielten, sie betreibe eine Linksaussen-Politik im Juso-Stil.
"Smartvote-Profile als Wahlkampf-Munition
haben sich als untauglich erwiesen."
Graf hatte gegenüber ihrer Kontrahentin einen klaren Erfahrungs- und Bekanntheits-Vorsprung: Nationalrätin seit 18 Jahren, Fraktionspräsidentin, Nationalrats-Präsidentin und nicht zuletzt durch ihre Rolle im Dokumentarfilm "Mais im Bundeshuus".
Daniela Schneeberger anderseits ist eine fleissige, vertrauenswürdige und zuverlässige, aber angepasste Politikerin. Das Volk hat ihr nicht zugetraut, im Ständerat die Parteiräson zugunsten von Kompromissen auch mal selbstbewusst verlassen zu wollen. Unvorbereitete Antworten kamen teilweise so knapp daher, dass sich schon die Frage stellte, wie weit sich Daniela Schneeberger das Amt der Ständerätin selbst zugetraut hat.
Anders als im ersten Wahlgang, in dem FDP, SP und Grüne nach parteipolitischer Präferenz wählten, war im zweiten Wahlgang die übergeordnete Lager-Frage entscheidend: Bürgerlich oder Grün-Rot. Offensichtlich durfte die jetzt gewählte Maya Graf trotz Differenzen mit den Sozialdemokraten vor der ersten Runde recht geschlossen von SP-Stimmen profitieren. Darüber hinaus hat Maya Graf eben doch überparteilich Akzeptanz bis in linksliberale Kreise des Freisinns (ja, die gibt es noch!) gefunden. Die Smartvote-Profile als Wahlkampf-Munition haben sich als untauglich erwiesen.
Durch die Wahl von Maya Graf rücken gleich zwei grüne Frauen nach Bern: Die frühere Kantonalpräsidentin Florence Brenzikofer nimmt Grafs Sitz in der Grossen Kammer ein. Eine profilierte Politikerin genauso wie die in den Nationalratswahlen zweitplatzierte freisinnige Saskia Schenker, die für Daniela Schneeberger nachgerückt wäre, jetzt aber auf ihre nächste Chance warten muss.
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25. November 2019
Weiterführende Links:
"Beschämend tief Wahlbeteiligung"
Leider kommentiert niemand die beschämende Wahlteilnahme von nur 35 Prozent. Davon dürften also die Hälfte Frauen gewesen sein, oder blieben etwa die Mehrheit der Männer zu Hause ? Auch diese lausige Quote widerspiegelt "die gesellschaftliche Umwälzung". Offenbar ist es egal, wer in den Ständerat delegiert wird. Ich hoffe (wie man ja auch bei Frau Rytz nun sieht), dass auch bei den Grünen aus natürlichen und klimatischen Gründen die Bäume nicht in den Himmel wachsen! Der Bevölkerung ("Zivilgesellschaft"?) ist es demzufolge ziemlich egal, wer all die teuren, glaubensbasierten Kapriolen der Politik zu bezahlen hat.
Jakob Speiser, Gelterkinden
"Knallhart links politisiert"
Der Satz "Wer nett daherkommt, aber parteipolitisch stur, bleibt chancenlos" wird im Artikel auf Daniela Schneeberger gemünzt. Er gilt aber noch viel mehr für Maya Graf. Sie hat mit dem Image der netten, bodenständigen Buurefrau immer knallhart links politisiert. Und ihre gestrigen Äusserungen und insbesondere auch das BaZ-Interview zeigen an, dass das so weitergehen dürfte. Daniela Schneeberger, die ich lange und gut kenne, traute ich "eine ähnliche Rollen-Entwicklung" wie bei Claude Janiak zur "über der Partei Stehende" viel mehr zu als Maya Graf. Doch halten wir es als Demokrat ganz pragmatisch: "Mr wei luege, seid dr Baselbieter."
Rudolf Mohler, Oberwil
"Smartvote-Profil einseitig verwendet"
Das Smartvote-Profil der beiden Kandidatinnen wurde im Wahlkampf recht einseitig verwendet. Während Frau Schneeberger gemäss Smartvote klar wirtschaftsliberal ist, ist Frau Graf gemäss Smartvote klar gesellschaftsliberal. Das wissen die Menschen und hat wohl den Wahlentscheid mitbestimmt.
Benedikt Schmidt, Pratteln