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"Spannende Quartier-Geschichte": "Südpark", Verkehrsader Güterstrasse
"Das Gundeli": Ein Stadt-Dorf zwischen zwei Buchdeckeln
Ein Buch des "Neutralen Quartiervereins Gundeldingen" befasst sich mit dem trendigen Basler Schachbrett-Quartier
Von Peter Knechtli
Das Basler Gundeldinger-Quartier lebt von seiner Völkervielfalt, seiner unvergleichlichen Identitiät und seinem aktiven Quartierverein: Er hat jetzt ein Buch herausgegeben, das in die Tiefe seines schachbrettartigen Lebensraums südlich der Bahnlinie leuchtet und dabei dessen Wandel hin zum Trend-Quartier beschreibt.
Es hiess einmal, das Basler Gundeldinger-Quartier sei das grösste Stadt-Quartier der Schweiz. Ob dies heute noch stimmt, spielt keine Rolle. Es ist sicherlich der grösste zusammenhängende Stadtteil Basels und vermutlich auch jener, der praktisch an jedem Standort seine unverwechselbare Identität erkennen lässt. Dies hat damit zu tun, dass zwar einzelne bauliche Veränderungen durchaus stattgefunden haben, aber niemals in jenem Ausmass wie in Teilen der Innenstadt. Das "Gundeli", wie es im Volksmund liebevoll heisst, ist das Gundeli geblieben.
Vom Grünland zum Trendquartier
Es gab eine Zeit, da galt das schier endlose, rechteckig angeordnete Häusermeer am Süd-Ende von Bahnhof und Bahnlinien als stark fremddominiert und es gibt wohl keinen Basler, der das Quartier im formlosen Gespräch nicht schon – halb ernst, halb scherzhaft – als "Gündülü" beschrieben hat. Heute sei diese Bezeichnung "fast gänzlich verschwunden". Das schreibt Beatrice Isler, die Basler Grossrätin und frühere Präsidentin des "Neutralen Quartiervereins Gundeldingen".
Diese Institution hat soeben ein Buch herausgegeben ("Das Gundeli – ein Basler Stadtquartier im Wandel"), das sich ausschliesslich mit dem Lebensraum der rund 19'000 Bewohner beschäftigt. Darin wird ausführlich dokumentiert, wie sich aus dem Landwirtschaftsgebiet mit vier Schlössern im 19. Jahrhundert das Trendquartier des 21. Jahrhunderts entwickelt hat.
Markante Akzente am Bahnhofs-Ausgang
Ein Ausdruck davon ist das 12'700 Quadratmeter grosse "Gundeldinger Feld", das sich dank zupackender Initianten um die Architektin Barbara Buser vom ehemaligen Areal der "Maschinenfabrik Sulzer-Burckhardt" zum vielfältigen und gut genutzten Gemeinschafts-Zentrum transformiert hat. Von Veränderung durch eine Abkehr vom ursprünglichen Zweck zeugt das ehemalige Gundeldinger Casino am Tellplatz, das ursprünglich als dominierendes Vereins- und Konzertlokal grosse Bedeutung hatte, seine Funktion als Veranstaltungs-Ort aber aufgeben musste.
Tatsächlich befindet sich das Gundeli, obschon es mehr als nötig im Verkehr ertrinkt, keineswegs im Niedergang. Vielmehr markieren zwei auffällige Häuser am Süd-Ausgang der Bahnhof-Passage – der "Südpark" (Aufmacherbild) und das im Bau befindliche, 80 Meter hohe Meret Oppenheim-Hochhaus, beide von Herzog & de Meuron entworfen – die Ankunft der Moderne.
Multikulti: Menschen aus hundert Nationen
Das 258 Seiten starke Werk schildert das Gundeli als ungemein lebendige, vielfältige und in sich relativ geschlossene Gemeinschaft, deren Heterogenität durch Menschen aus hundert Nationen und einem Ausländeranteil von 39 Prozent heute als "Qualitätsmerkmal" empfunden wird. Zum eigentlichen Quartier, das schon vor hundert Jahren fast vollständig überbaut war, zählen organisch auch der Dreispitz und der Fuss des Bruderholzes. Die Autoren – zumeist Baufachleute, Lehrpersonen und Funktionäre des Quartiervereins – entwerfen einen stark historischen Fokus.
Eine wichtige Rolle in den Anfängen der Quartierentwicklung spielte die "Süddeutsche Immobilien-Gesellschaft" in Mainz, die 1872 rund 72 Hektar Land kaufte und unter vielem anderem auch das heute noch bestehende kleine Haus an der Ecke Jurastrasse/Güterstrasse baute. Wir erfahren von den im Gundeli verankerten Wohngenossenschaften, vom ehemaligen Eisenbahnerviertel am Tellplatz als Folge des Aufkommens der Bahn als neues Verkehrsmittel, von der katholischen Heiliggeistkirche mit ihrer blauen "Quartieruhr" und vom reformierten Zwinglihaus mit seinem Gemeinde- und Quartierzentrum.
Einmal Gundeli – immer Gundeli
Die heimatliche Verankerung der "Gundelianer" drückt sich auch darin aus, dass viele Alteingesessene im Quartier wohnen und auch leichtfüssige Jugendliche das Gross-Quartier am Bahnhof (aus City-Sicht: hinter dem Bahnhof) mit seiner eigenen "Gundeldinger Zeitung", seinem eigenen Brauch ("Mammut-Umgang"), seiner eigenen Kunsteisbahn und seinem eigenen Friedhof (Wolfsgottesacker) sehr schätzen.
Inhaltlich wäre aus meiner Sicht wünschenswert gewesen, der Vielfalt an Menschen und Gewerben aus dem Gundeli und der erwarteten Zukunft des Quartiers je ein Kapitel zu widmen. Das ändert aber nichts am Wert dieses Werks: Das schön illustrierte Buch ermöglicht einen tiefen Einblick in ein Basler Stadtquartier, das irgendwie am Rand und doch mitten drin steht.
Der "Neutrale Quartierverein Gundeldingen" ist der älteste der 18 Basler Quartiervereine und dennoch sehr aktiv. Dass er als Herausgeber die Kraft aufbrachte, eine so spannende, leicht lesbare Quartier-Geschichte zu publizieren, ist respektabel und erfreulich zugleich.
"Neutraler Quartierverein Gundeldingen" (Hg.): "Das Gundeli – ein Basler Stadtquartier im Wandel", Schwabe-Verlag, 258 Seiten, zahlreiche Abbildungen, 38 Franken.
6. Oktober 2017