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"Mein Fall ist kein Ausnahmefall": Freigesprochener Takis Armyros
Freispruch für vermeintlichen Bombendroher vom Bahnhof SBB
Wie ein Bürger zu Unrecht zum Angeklagten und eine Gerichtsverhandlung zur Farce wurde
Von Peter Knechtli
Dieser Ermittlungsfall wird nicht in die Erfolgsgeschichte von Kriminalkommissariat und Staatsanwaltschaft Basel-Stadt eingehen: Ein heute 71-jähriger Mann wurde angeklagt, weil er vor zwei Jahren am Bahnhof SBB eine Bombendrohung angekündigt habe. Der Beweis gelang in keiner Weise, es kam zu einem vorbehaltlosen Freispruch.
Staatsanwalt Manuel Kiefer warf dem bald 71-jährigen Angeklagten falschen Alarm, Störung von Betrieben, die der Allgemeinheit dienen, und Schreckung der Bevölkerung vor. Er habe am 14. August 2006 kurz vor 16 Uhr die öffentliche Telefonkabine 3 an der Güterstrasse 115 in Basel benützt und um 15.58 Uhr über die Notrufnummer 117 der Polizei die Warnung durchgegeben: "Do Gleis 6 in 20 Minuten eine Bombe". Die Polizei sperrte die Geleise 4 bis 8 sofort ab, gab sie aber nach rund einer Stunde wieder frei, nachdem kein Sprengstoff gefunden woren war.
Die Staatsanwaltschaft beantragte, wie Gerichtspräsidentin Felicitas Lenzinger stellvertretend mitteilte, eine saftige Geldstrafe von 120 Tagen à 100 Franken, bedingt auf zwei Jahre.
Wo blieb der Staatsanwalt - wo der Zeuge?
Die Gerichtsverhandlung heute Freitagmorgen warf alles andere als ein günstiges Licht auf die Ermittlungsbehörden: Gerade mal 15 Zeilen umfasste das mit "Anklageschrift" betitelte Papier von Staatsanwalt Manuel Kiefer.
Was das zahlreich mobilisierte Publikum und die gesamte versammelte Journaille erstaunte und befremdete: Der Staatsanwalt liess sich von der Verhandlung dispensieren, und die zentrale Auskunftsperson, die als Zeuge geladen war, erschien nicht vor den Schranken des Gerichts. Staatsanwälte liessen sich, so hiess es am Rande des Prozesstermins, "bei Bagatellfällen" immer wieder von der Verhandlung dispensieren. So blieben Richterin und Angeklagter sozusagen unter sich - ein merkwürdig anmutendes Bild einer sich fair verstehenden Justiz.
Kein Beitrag zur Klärung
Bagatellfall? Vor den Schranken des Strafgerichts sass der bald 71-jährige herzkranke Takis Armyros. Der mit einer Schweizerin verheiratete gebürtige Grieche ist in der Öffentlichkeit möglicherweise noch bekannt durch seine Feuilletonberichte in der "Basler AZ" und im "Doppelstab". Ein filigraner kleiner Mann, der in keiner Weise Gemeinsamkeiten mit dem Auftreten eines Bombendrohers aufweist.
Doch der Detektiv des Kriminalkommissariats war offenbar der festen Auffassung, in Armyros (der mit der Nennung seines Namens einverstanden ist) den Täter aus der Telefonkabine 3 (Bild) erwischt zu haben. Welche Beweise die Stastsanwaltschaft veranlassten, den Rentner zwei Jahre nach der Bombendrohung als Angeklagten vor Gericht zu bringen, bleibt auch nach der Gerichtsverhandlung betrüblicherweise ihr Geheimnis: Der Prozess unter freiwilliger Absenz des Staatsanwalts trug rein nichts zur Klärung bei.
Zwar hielt sich der Angeklagte am Nachmittag jenes 14. August tatsächlich am Gundeldinger Eingang des Bahnhofs SBB auf. Er war zuvor bei seinem Arzt in Riehen, traf später am Barfüsserplatz einen Freund und begleitete ihn im Tram Nummer 16 bis zum Bahnhof. Dort stieg er - vermutlich bereits nach dem Zeitpunkt der Bombendrohung - aus, kaufte sich im dortigen "Mediamarkt" CDs und DVDs, was er mit einer Quittung (ausgestellt: "16.55 Uhr") belegen konnte. In der Telefonkabine 3, aus welcher die Drohung an die Polizei stammte, war er nach eigenen Aussagen nie. Telefoniert habe er in der fraglichen Zeit nicht.
Später, nachdem er auf der Passerelle einen Kaffee getrunken, eine Zigarette geraucht und auch die Lautsprecher-Durchsage der Perron-Sperrung gehört hatte, wurde er von der Polizei angehalten: Er traf scheinbar auf ein Signalement ("Vollbart", "Alki-Typ") zu, das ein Nachbar der Telefonzelle abgegeben hatte. Er sei, so der Kronzeuge in der damaligen Befragung, "eindeutig diese Person".
Unbrauchbare DNA-Profile
Nur: Die harten verwertbaren Beweise fehlten. Die DNA-Analysen waren verwischt oder überhaupt nicht verwertbar, die Signalemente von Polizei und Augenzeuge stimmten nicht überein, es fand keine Konfrontaton statt. Die von der Polizei aufgezeichnete telefonische Bombendrohung, die im Gerichtssaal mehrmals abgespielt wurde und dort keine offensichtliche Übereinstimmung mit dem Sprach-Timbre des Angeklagten offenbarte, war von ETH-Experten als für einen Vergleich qualitativ ungenügend taxiert worden.
Mit harter Kritik an Kriminalkommissariat und Staatsanwaltschaft forderte Verteidiger Oliver Borer einen kostenlosen Freispruch. Die Ermittlung des Fall führenden Detektivs sei "von Anfang an gegen den Angeklagten gerichtet" und "derart diletantisch" gewesen, dass er sich frage, "weshalb die Staatsanwaltschaft einen solchen Fall überhaupt zur Anklage bringt". Es reiche nicht, der Auskunftsperson zur Täteridentifikation nur ein Foto vorzulegen. Die Stimmenanalyse des Sachbearbeiters sei völlig ungenügend gewesen, die Verteidigungsrechte des Angeklagten seien verletzt worden. "Es steht überhaupt nicht fest, dass der Angeklagte der Täter ist", schloss der Anwalt sein Plädoyer.
In seinem Schlusswort sprach Armyros von einem "kafkaesken Situation" und hielt fest: "Mein Fall stellt keine einmalige Ausnahme dar."
Richterin verteidigte Ermittler
Einzelrichterin Felicitas Lenzinger (SP) sprach den Angeklagten rundum frei und attestierte ihm auch die Anwaltsentschädigung. Es sei nicht bewiesen, dass der Angeklagte "die Person aus der Telefonkabine war". In ihrer Begründung liess sie Spuren einer Verteidigung des Vorgehens der Ermittlungs- und Anklagebehörden durchblicken ("nicht so ganz einfache Ermittlung", "man konnte gar nicht anders vorgehen"). Dennoch hielt sie fest, das Kriminalkommissariat hätte den Zeugen "etwas rascher und professioneller befragen" können.
Der Fall, der als Posse endete, kostet den Staat eine fünfstellige Summe. Der Verteidiger des Freigesprochenen kündigte zusätzlich Schadenersatzforderungen an. Zahlen muss auch der Kronzeuge des Falles: Weil er nicht vor Gericht erschien, brummt ihm die Richterin 200 Franken Busse auf.
Kommentar: Imageschaden für Basler Justiz
11. Juli 2008
"Wo bleibt die Qualitätskontrolle?"
Sehr unbefriedigend an der ganzen Geschichte ist für alle Betroffenen und selbstverständlich uns Unbeteiligte die Tatsache, dass nun einfach zur Tagesordnung übergegangen wird, was leider zu befürchten ist. Wo bleibt da die Qualitätskontrolle einer geleisteten Arbeit, ein Instrument das in der Privatwirtschaft nicht mehr wegzudenken ist! Kann beim Staat gewurstelt werden und keiner schaut hin? Die Politik ist daher dringend gefordert. Ich bin gespannt, wer diesbezüglich aktiv wird. Übrigens ist auch mir zu Ohren gekommen, dass dies kein Einzelfall sei.
Bruno Heuberger, Oberwil