Vor der Rekrutenschule: Sie versuchen alles
Kürzlich habe ich meinen Marschbefehl bekommen. Doch Rekrut Kaufmann starb schon, als sie mir am Orientierungstag einen (natürlich ungeladenen) Granatwerfer in die Hand drücken wollten.
Jungs müssen das ja geil finden, dachte sich der Soldat, der uns durch die Kaserne führte.
Angestrengt versuchte er, uns für den Dienst zu begeistern. Bei einigen Jungs neben mir funktionierte das auch. Sie ächzten glücklich unter den 30 Kilogramm schweren Splitterschutzwesten, die sie zur Probe anziehen durften. Die sind aus ihrer Ballerspiel-Phase hängen geblieben.
Die hatte ja jeder mal, aber die Lust am virtuellen Schiessen verging mir, sobald ich Nachrichten las oder "Tagesschau" schaute.
In der Mittagspause verschickte ich eine WhatsApp-Nachricht: "Sind gerade mit so ultra Infanterie-Typen Radpanzer gefahren. Sie versuchen alles."
"Ich solle doch Offiziersordonnanz werden.
Da müsse ich nur Apéros vorbereiten."
Ihr Väter und grossen Brüder erzählt immer entweder, wie ihr an der Rekrutierung auf untauglich geschauspielert habt, oder wie das Militär letztlich doch spassig war. Eine gute Lektion in eurer persönlichen Entwicklung, Kameradschaft, Disziplin und so weiter. Letzteres glaubte ein Freund von mir, der direkt nach der Matur in die RS eingezogen wurde. Inzwischen will er nur noch zu seiner Freundin zurück.
Nach dem Mittagessen wollte mich der Berater für einen waffenlosen Dienst begeistern. Ich solle doch Offiziersordonnanz werden. Da müsse ich nur Apéros vorbereiten, sagte er. Und fremde Stiefel putzen, sagte die Infobroschüre.
Zudem dachte ich sofort an Friedrich Glausers Fremdenlegions-Geschichten, in denen die Offiziere ihren Ordonnanzen ein bisschen übergriffig nahe kommen. Nicht gerade ermutigend. Klar, die Kaserne Liestal ist nicht Gourrama. Aber ich wechsle lieber Bettwäsche im Altersheim als die von Offizier Hugentobler.
Einen schönen Moment gab es an diesem Tag. Ähnlich wie im Konfirmations-Unterricht war ich plötzlich wieder mit Jungs aus meinem Dorf zusammen, die ich von früher kannte aber es nicht ans Gymnasium verschlagen hatte. Und erfreulicherweise waren die wenigsten von ihnen Splitterschutzwesten-Jungs.
Als wir den Tag überstanden hatten, meinte der Soldat mit dem Granatwerfer zum Abschied: "Bis in ein paar Jahren auf dem Waffenplatz." Denkste.
12. August 2019
"Frohes Weiterkolumnieren"
Um einen Leserbrief in diesem Forum zu schreiben, muss man sich mit dem Link "Ihre Meinung zu dieser Kolumne" einklicken. Einige der Kommentatoren ignorieren dies und benützen das Feld um in diesem Fall die "(eigene) Meinung zur Armee" kund zu tun.
Ich würde gerne dem Kolumnisten Kaufmann zurufen: Ich kann mich aus verschiedenen Gründen nicht mit Ihrer Meinung in dieser Kolumne anfreunden. Ich finde sie einseitig. Um im selben Moment, wo ich dies schreibe, zu realisieren, dass das ja genau eine Kolumne ausmacht. Also: Danke für Ihre Meinung und frohes Weiterkolumnieren. Sie machen das toll.
Daniel Thiriet, Riehen
"Vergeudete, wertvolle Zeit"
Max Kaufmanns Zeilen haben mich bis auf meine alten Knochen gefreut. Er hat gut hingeschaut, hingehört und seine Schlüsse gezogen. Kürzlich erlebte ich bei meinem Enkel eine ähnlich reife Entwicklung – er wird (nach erfolgter Ausbildung) im Zivilschutz BS Dienst im Betreuungsdetachement tun. Das kann im Ernstfall echt anspruchsvoll sein.
Meine eigenen Erfahrungen und Erinnerungen an die Militärzeit teilen sich auf in ein Vorher und ein Nacher: Ich landete mit meiner ersten Berufsausbildung als Luftverkehrsangestellter fast zwangsläufig bei den Fliegertruppen. Dort bei den Motorfahreren konnte ich mich für die fachlich-technischen Belange noch begeistern, was mir sogar eine Karriere bis zum Korporal bescherte. Was ich allerdings nachher in den wenigen WKs erlebte, war deckungsgleich mit Schilderungen, wie hier von andern Kommentatoren beschrieben.
Dann folgte für mich eine einjährige Einsatzphase beim IKRK im Biafra-Krieg. Das hat mein Leben radikal verändert! Ich flog als Loadmaster mit auf den nächtlichen Versorgungsflügen nach Uli-Airstrip. Dort habe ich Krieg mit seinen grässlichen Ein- und Auswirkungen auf Menschen hautnah erlebt – ich selbst bangte mehrere Male um mein Leben. Wir wurden mit Flabkonen von Bührle und Schweizer Munition von der nigerianischen Armee dauend beschossen. Kollegen von mir kehrten nie mehr zurück – ihr Grab war entweder der rote Sand im Ojukwu-Land oder der Atlantik im Golf von Guinea. Mit Tränen in den Augen und Würgen im Hals wurde das nächtliche Programm weiter geflogen – bis zum Zusammenbruch der Luftbrücke im Herbst 1969. Mein Weltbild war ziemlich zerstört!
Nach meiner Rückkehr wurde ich zum WK aufgeboten. Mir graute davor. Dort wurde ich dann auf dem Glaubenberg vom Kadi gezwungen, Maschinenpistole zu schiessen, obwohl ich ihn klar sagte, dass ich nie mehr eine Waffe anrühren würde. Unter massiven Drohungen musste ich das Ungeheuer in die Hände nehmen und abdrücken. Dabei fiel mir die Waffe aus den Händen und eine Geschosssalve bahnte sich den Weg vor uns durch den Kiesboden. Glücklicherweise geschah niemandem etwas – ich hingegen stand geschockt und versteinert da.
Dann ging alles sehr schnell: Ich wurde nach Hause geschickt, vor die UC (Medizinische Untersuchungskommission der Armee) zitiert und sofort dienstuntauglich gestempelt. Der Vorsitzende der UC – ein Namensvetter – fand, dass ich tatsächlich nicht mehr geeignet sei für einen Armeedienst. Ich landete beim Zivilschutz (AC-Schutzdienst), weil ich schon bei den Fliegertruppen einen Ausbildungskurs darin absolviert hatte.
Ich erinnere mich, welch haarsträubende Unwahrheiten uns über Radioaktivität und deren Auswirkungen für Mensch und Umwelt von AC-Instruktoren um die Ohren geschlagen wurden. Das war für mich auch der Auslöser, mich gegen jegliche zivile und militärische atomare Bedrohung zur Wehr zu setzen. Meine restliche Zivilschutzkarriere bis zur Entlassung war nichts als vergeudete, wertvolle Zeit!
Ueli Pfister, Gelterkinden
"Für mich gab es keine Fortsetzung"
Als ich 1970 als Neunzehnjähriger den Stellungsbefehl erhielt, war mir eigentlich schon seit einigen Jahren klar, dass ich Armeen nicht als das Instrument für eine friedfertige Welt erachtete. Man hielt mir dann oft vor, ich könne nicht beurteilen, was ich nicht selbst, von innen, kenne. Also besuchte ich in Liestal die RS. Dort wurden meine Vorahnungen rundum bestätigt.
Da ich aber nach der RS meine erste Stelle als frisch patentierter Lehrer im Kanton Aargau antrat, war öffentlicher Widerstand nur unter Verlust meiner Stelle realistisch. Erst nach Rückkehr in den relativ liberalen Kanton Basel-Stadt schrieb ich den Aufgebotsstellen, nach absolvierten drei Wiederholungskursen, dass es für mich keine Fortsetzung gebe. Divisionsgericht, Prozess, Gefängnis im Lohnhof, danach Umteilung in den Zivilschutz.
Wenn ich als 20-Jähriger nochmals vor der Entscheidung stünde, schriebe ich das Gesuch für den Zivildienst. Einen Dienst leisten für die Gesellschaft steht für mich ausser Frage. Damals war dies meist den Verweigernden mit religiösen Hintergründen vorbehalten.
Steffi Luethi-Brüderlin, Basel
"700 Diensttage und Feldweibel"
1959 erlebt: Ich freute mich gar nicht, als ich diensttaugich "gestempelt" wurde. So rückte ich dann in die Inf-RS in Liestal (ehemaige Frenkenkaserne) ein. Dort waren die sanitären Einrichtungen derart fatal (Waschtrog auf dem Platz, "Stehscheissen" etc.), dass ich mir überlegte, wie ich da aus diesem Schlamassel wieder herauskomme.
Nach den ersten "Prüfungen" stellte man fest, dass ich weitermachen soll. Das passte mir gar nicht und ich überlegte, was ich unternehmen könnte, um Arrest zu bekommen. So haute ich in der Nacht aus dem KZ ab und ging an ein Mattenfest. Als ich wieder zurück kam, packte mich die Wache zum "Verhör". Ich bekam fünf Tage scharfen Arrest, ohne Schuhbändel, ohne Gurt und ohne Hosenträger.
Nach den fünf Tagen kehrte ich zur Truppe zurück und die "Oberen" bestimmten, "jetzt erst recht". So machte ich insgesamt drei Rekrutenschulen und beendete nach fast 700 Diensttagen meine Karriere als Feldweibel.
Walter Schumacher, Zunzgen
"Respekt für Zivis"
Ginge mir heute auch so. In den siebziger Jahren wäre ich kriminalisiert worden für meine heutige Sicht der Dinge. Die aktuelle Schweizer Armee kenne ich nur aus der Zeitung, ob sie "besser" geworden ist, möchte ich aber bezweifeln. Und tatsächlich: Respekt jenen gegenüber, die den Weg des Zivildienstes wählen, jenen gegenüber hingegen nicht, die die feige Hintertür nehmen.
Eneas Domeniconi, Gelterkinden
"Schweiz kann grossartige Pionierarbeit leisten"
Welches sind die Aufgaben unserer Armee von morgen? Welche Form von Konfliktbewältigung haben wir unserer wehrhaften Jugend zu vermitteln?
Das scheinen mir ernsthafte Frage zu sein. Nicht nur, weil das Armee-Budget beträchtlich hoch liegt. Wir also einen beachtlichen finanziellen Aufwand betreiben und erwarten dürfen, dass dieses Geld sinnvoll und nützlich verwendet wird. Sondern auch, weil wir den jungen Menschen vorgeben, was sie in diesen Monaten zu lernen haben.
Der Schutz der Schweizer Einwohner, unserer Werte wie auch unseres Hab und Gutes (auch wenn bereits einiges nicht mehr unser ist), ist eine Frage ersten Ranges. Es wäre an der Zeit eine ernsthafte Diskussion einzuleiten, die auf den heutigen Gegebenheiten basiert.
Das strategische Bild, auf dem die Schweizer Armee aufbaut, ist älter wie 50 Jahre. Nicht das Milizsystem ist abzubauen. Ganz und gar nicht! Nicht die Armee ist abzuschaffen. Sie braucht eine grundlegende Änderung in Richtung Friedenssicherung, Eskalationsverhinderung und gewaltfreie Konfliktbewältigung. Da kann die Schweiz als kleines, neutrales Land grossartig Pionierarbeit leisten.
Diese menschliche Weiterbildung ist für alle, für Frauen und Männer, für Zivildienst- und Militärdienstleistende und hat einen eminenten Vorteil: Sie ist alltagswirksam. Diese Kompetenzen können quasi anstelle der Ordonnanzwaffe den SchweizerInnen zu Verfügung gestellt werden!
Aber: Aufbau und Durchführung dieser Weiterbildung darf nicht in den Händen der Armeeangehörigen liegen. Das braucht Fachpersonen im gewaltfreien Widerstand.
Viktor Krummenacher, Bottmingen
"Planloser Drill, kopflose Übungen"
Anfangs sechziger Jahre: Damals brauchten sie nichts zu versuchen, keine Überredungskünste, keine Zweifel. Man ging in die Rekrutenschule. Mir jedenfalls ist es so ergangen. Sportlich fit, bereit für die Grenadier-RS in Losone. Was ich aber antraf, hatte mit meinen sportlichen Vorstellungen nichts zu tun. Planloser militärischer Drill, kopflose Übungen. Einsam mit meinen Fragen und Problemen.
Psychisch völlig überfordert, weiss ich nicht mehr, wie ich die siebzehn Wochen ausgehalten habe. Niemand, kein Mensch mit dem ein klärendes, hilfreiches Gespräch möglich gewesen wäre.
Erst nach Jahren bin ich Vielen begegnet, die damals Ähnliches erlebt hatten und mit ihren Ängsten auch alleine gelassen wurden! Der Zivildienst war noch in weiter Ferne.
Bernhard Kaufmann, Zofingen
"Ich verneige mich vor den Zivis"
Es sollte jeder junge Mann den Dienst an der Allgemeinheit leisten dürfen, für den er am besten geeignet ist. Ich verneige mich vor den Zivis, die den langen Zivildienst auf sich nehmen und in Spitälern und Heimen usw. mit jugendlicher Frische Hilfe leisten – auch der sehr unangenehmen Art.
Während unzähliger Spitalaufenthalte habe ich unzählige Zivis erlebt – alle waren zumeist aufgestellt, geduldig und hatten Zeit. Das Pflegepersonal hätte noch weniger Zeit für die Patienten, wenn es die Zivis nicht gäbe. Die meisten Zivis wollen nachher irgend einen Beruf lernen, der "mit Menschen" zu tun hat: Physiotherapie, Krankenpflege.
Rosemarie Mächler, Aesch
"Pauschal in die Ballerspiel-Ecke"
Lieber Herr Kaufmann, ich lese ihre Kolumne sehr gerne, mir gefällt der jugendliche Blick auf die Dinge. Erlauben Sie mir eine Kritik an ihrem neusten Gedankengang: Sie stellen Angehörige der Armee pauschal in die Ballerspiel-Ecke. Und sie erteilen der Dienstpflicht mit Mittelfinger-Attitüde eine Absage – aber ohne jeglichen argumentativen Unterbau. Schade.
Erstens: Sie sind fähig, sich auf intelligentere Weise mit dem Thema auseinanderzusetzen. Und Zweitens: Sie mögen stolz sein auf ihre Verweigerung am Dienst an der Allgemeinheit – aber gerade die Armee braucht Querdenker.
Ich freue mich auf ihre nächste Kolumne.
Adrian Plachesi, Basel