"Fuck H&M": Generation secondhand
"Fuck H&M", postete kürzlich eine Kollegin auf Instagram und forderte ihre Followerinnen und Follower auf, ihrem neuen Account zu folgen. Dort verkaufe sie Kleidungsstücke, die sie nicht mehr oder nur selten trage.
Vor wenigen Jahren hätte mich dieser Post erstaunt – jetzt überrascht er mich überhaupt nicht. Gut erhaltene Kleider aus zweiter Hand sind doch praktisch und nachhaltig, oder? Das Weiterverkaufen im Freundeskreis ist ausserdem günstiger, weil kein Vintage Store hohe Margen draufschlägt.
Jedenfalls zeigen diese Posts und die zahlreichen Projekte von Basler Jugendlichen, die Secondhand-Kleidung bedrucken, besticken oder umschneidern und dann über Social Media und an kleinen Märkten verkaufen, dass sich was verändert.
"Getragene Kleider haben
ihr schäbiges Image verloren."
Die Consciousness, also die Bewusstheit, wenn es um billig produzierte Kleider, Fast Fashion genannt, geht, ist innert kurzer Zeit von null auf hundert gestiegen.
Während mit fünfzehn noch in "H&M"-Umkleiden vor dem Spiegel posiert wurde, kaufen jetzt alle secondhand. So kommt es, dass sich meine Freunde vor dem Ausgang statt einen Burger schnell im "Heilsarmee"-Brocki einen Rollkragenpullover schnappen. Getragene Kleider haben ihr schäbiges Image verloren.
Gebraucht statt neu zu kaufen, ist etwa dieselbe Entscheidung, wie wenn die Eltern früher meinten: „Nein, wir gehen nicht zu 'Mc Donald’s', wir haben noch Brot zuhause." Nur dass im Falle der Secondhand-Kleider wir bewusst entscheiden – nicht die Eltern. Denn die gehen – zumindest meine – noch immer in den „Zara" und bestellen bei "Zalando".
Wobei: Ich bin nicht darauf aus, pötzlich Papa und Mama im Brockenhaus zu treffen. Ich finde es aber sehr erfreulich, dass nicht einfach nur der neuste Schrott von Nike & Co. in ist.
Was aber, wenn es uns nicht um Consciousness, sondern nur um Style geht? Sobald ich in Basler Brockis nicht fündig werde, ertappe ich mich dabei, den Vintage Stores im Hipster-Osten Londons nachzutrauern. Obschon ich deswegen nicht gleich ein Easyjet-Wochenende buche, macht das schon stutzig. Und dass zugleich andere wegen laden-frischen Kleidern von "uns" Secondhand-Tragenden judged, also bewertet werden, ist sowas von elitär.
Trotz dieser Bedenken: Ich finde, dass Style Freude machen darf. Und "Fuck H&M" ist schon mal ein Anfang.
4. November 2019
"Alte Kleider haben mehr Seele"
Diese Kolumne trifft wirklich den Nagel auf den Kopf, es ist genau, was ich mit meiner Tochter erlebe. Nur: Ich kaufe schon seit etlichen Jahren einen Teil meiner Kleider in der Brockenstube – und werde das auch weiterhin tun, sorry – aber dass es inzwischen salonfähig geworden ist, freut mich auch. Alte Kleider haben oft einfach mehr Seele ...
Barbara Hauser, Reinach