Damals im Kirchen-Hof: Küssen, nicht spucken!
Ob das auch gelte, fragte sie die Anderen. Wenn sie mich anspucke, dann sei das doch eigentlich fast dasselbe wie ein Kuss.
Wir waren noch in der Primarschule und ich ein wenig verliebt in sie. Umso mehr hatte ich mich auf diesen einen Samstag im Monat gefreut: Der Allschwiler Dorfmarkt war für uns the place to be. Mit Rahmdääfeli, Eistee und einigen Freundinnen und Freunden schlichen wir uns in den leeren Hof der Dorfkirche oberhalb des Marktes. Dort begann die Action.
Wir spielten "Wahrheit oder Pflicht", das Spiel, bei dem es darum geht, die andern mit fiesen Fragen oder unangnehmen Aufgaben in Verlegenheit zu bringen. Wir liebten es. Getrieben von Schadenfreude, aufgedreht vom vielen Zucker und inspiriert vom Wissen der ersten Lektionen Sexualkunde spielten wir stundenlang.
Und dann bekam sie die Aufgabe, mich zu küssen. Ein Kuss, Höchststrafe und Highlight zugleich, führte jedes Mal zu einem grossen Tumult und einer langen Diskussion über die entscheidende Frage: "Muul oder Bagge?"
"Auch ich musste lachen, ich mochte sie
wegen ihrem schrägen Humor."
Wie sie dann schliesslich auf die Idee kam, mich stattdessen anzuspucken und weshalb keiner meiner Freunde einschritt, weiss ich nicht mehr. Immerhin drückte sie mir noch ihre leere Rahmdääfeli-Tüte in die Hand.
Wir standen mitten in Allschwil, im Hof der Dorfkirche, ich hielt mir eine rosa Papiertüte vors Gesicht und das Mädchen, für das ich schwärmte, spuckte aus nächster Nähe drei Mal kräftig darauf. Sie fand das wahnsinnig lustig. Auch ich musste lachen, ich mochte sie wegen ihrem schrägen Humor.
Letzthin entdeckte ich in einem Geschäft voller Socken mit Ananasmuster und Einhorn-Luftmatratzen ein kleines Döschen, dessen Ettiket ein aufregendes Partyspiel voller "Sex, Drugs & Rock'n'Roll" versprach. Farbige Tombola-Lose machen die Suche nach aufregenden Fragen und Aufgaben überflüssig – "Wahrheit oder Pflicht" kann man sich nun kaufen.
Ich öffnete, ohne zu spielen, sämtliche Lose auf dem Nachhauseweg und war ernüchtert: "Sex, Drugs & Rock'n'Roll" kannten wir in der Primarschule zwar noch nicht, aber trotzdem hätten uns diese mutlosen Aufgaben kein bisschen in Verlegenheit gebracht. Wir waren hartgesottene Eistee-Trinkerinnen und Dorfmarktgänger.
Auch wenn der Dorfmarkt in Allschwil wirklich nicht cool ist und ich samstags um diese Zeit wie die meisten Gleichaltrigen noch verkatert im Bett liege, hoffe ich, dass wir trotzdem wieder einmal "Wahrheit oder Pflicht" spielen. Vielleicht entdecken wir wieder denselben spielerischen und abwegigen Witz wie damals hinter der Dorfkirche.
Dass sie dort vom Küssen aufs Spucken kam, war wirklich aussergewöhnlich. Aber als Teenager muss ich inzwischen feststellen: So falsch lag sie gar nicht.
18. Juni 2018