Frisch Pubertierte machen Weltpolitik
Die Schulzeit am Gymnasium Oberwil wurde vor wenigen Jahren von dreieinhalb auf vier Jahre verlängert. Wir Schülerinnen und Schüler bekommen das zu spüren: "Lest doch noch den fünften Schiller eurer Schulkarriere, schreibt eine Biografie über euer bisheriges Leben, berechnet als Übung für die Maturprüfung das optimale Volumen einer Hummerfalle."
Dieses letzte Semester, durch das wir uns gerade durchkämpfen, besteht zu einem grossen Teil aus Beschäftigungstherapie – für die Lehrpersonen und uns gleichermassen.
Zugleich häufen sich die Exkursionen an Orte des politischen Geschehens: Innert zwei Wochen sah ich die UNO-Dependance in Genf von innen, besuchte die Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit in Bern und spielte an der UNO-Simulation "Model United Nations" der Universität Basel Diplomat. Raus aus unserem ironischerweise, rein äusserlich, einem "NSA"-Bunker ähnelnden Schulhaus in die Weltpolitik.
"Der Event war zufällig von einem
Kaffeekapsel-Hersteller gesponsert."
Das Politische beschränkte sich bisher auf ein Semester "Politische Bildung", das genauso Geschichtsunterricht mit hohem Notendruck war wie die restlichen drei Jahre. Ob die Lehrpersonen deswegen ein schlechtes Gewissen hatten und uns zum Schluss noch "was Wichtiges mitgeben" wollten?
Auf jeden Fall hatte es die UNO-Simulation in sich – im positiven Sinne. Bis auf die Eröffnungsrede einer Basler Nationalrätin, die es zwar gut meinte, aber daran scheiterte, dass sie uns politische Herausforderungen der Zukunft im selben Stil zu erklären versuchte, in dem wir unseren Grosseltern mit ihren Smartphones helfen. So tief haben wir in "Politischer Bildung" auch nicht geschlafen.
Aber dann ging's los: Zwei Tage auf Englisch über die Todesstrafe debattieren, Allianzen schmieden, austeilen, einstecken, sich trotzdem an die Formalitäten halten. An diesen zwei Tagen gab es echt nichts auszusetzen – abgesehen vom übermässigen Kaffee-Konsum. Der Event war zufälligerweise von einem Kaffeekapsel-Hersteller gesponsert. Lobbyismus beginnt nicht erst in der Politik, sondern bereits bei der Simulation.
Weil wir alle zufälligen Delegationen zugeteilt wurden, mussten auch Haltungen vertreten werden, die der eigenen nicht entsprechen. Diese Aufgabe wurde erschreckend gut erfüllt. Jene, die denken, wir jungen, vernünftigen Menschen hätten die Konflikte dieser Welt rasch beiseitegelegt, muss ich enttäuschen. Während der Sitzungen wurden beiläufig Kriege angedroht und schnell wieder rückgängig gemacht. Alles für ein bisschen Aufmerksamkeit. Scheint ganz so, als hätten wir uns "euch Grossen" angepasst.
Nach zwei Tagen als französischer Diplomat ist mir klar: Der Grönemeyer hat mit "Kinder an die Macht" nicht vollkommen recht. Vielleicht am ehesten noch in jenem Moment, als sich plötzlich der Iran und der Westen statt mit Marschflugkörpern mit Britney Spears-Songs aus Handy-Lautsprechern bedrohten.
Aber eben: Grönemeyers Song heisst aus gutem Grund "Kinder an die Macht", nicht "Frisch Pubertierte an die Macht".
24. Februar 2020
"Anregung für Grosseltern"
Spannende und anregende Gedanken auch für Grosseltern. Danke Max!
Bernard Kaufmann, Zofingen
"Auf in die nächsten Wahlen!"
Super, lieber Max Kaufmann! Auf in die nächsten Wahlen! So jemand differenziert Kritischem wie Dir vertraue ich gerne meine Zukunft an.
Beatrice Alder, Basel