Werbebildschirme: Schrecklich verführerisch
"Du bekommst viereckige Augen, wenn du weiter in den Bildschirm starrst", schimpften meine Eltern und Grosseltern früher. Ich hatte zu lange auf dem Gameboy gespielt, musste das Gerät weglegen und mich für den Rest des Tages mit analogem "Playmobil" oder "Lego" begnügen.
Inzwischen bekomme ich in Tram und Bus viereckige Augen. Unfreiwillig und ohne "ingame"-Monster zu töten oder die Fussball-WM zu gewinnen. Ich kann einfach nicht anders, als die News- und Werbebildschirme anzustarren.
"Die zentral platzierten Bildschirme im Fahrzeug ziehen die Blicke der Fahrgäste an", heisst es auf der Webseite des Werbeanbieters. Wie recht die haben. Wenn das Smartphone mal in der Tasche bleibt, müllen sie uns mit ihrem Schrott zu.
Ich weiss jetzt, dass sich der brasilianische Fussballer Neymar im Training eine leichte Knieverletzung zugezogen hat. Merçi BLT.
"Es gibt aber eine Werbung
auf diesen Monitoren, die funktioniert."
Aber dass diesen Freitag die Fussball-Weltmeisterschaft der Frauen beginnt, habe ich nicht erfahren. Die findet jeweils in den ungeraden Jahren statt, niemand bekommt's mit. Kein Wunder, auf diesen Bildschirmen würden die eher über Neymars Zehennägel als über das weltweit grösste Frauenfussball-Turnier berichten.
Die News sind aber eher Nebensache. Es geht um "digitale Verkehrsmittelwerbung". Snackangebote von Tankstellenshops und so, voll wichtig.
Da erinnere ich mich an die Flyer in den aufgehängten Kartonbehältern zu Gameboy-Zeiten. Aus denen konnte ich Papierflieger falten. Diesen Kartonbehälter nennt der Anbieter übrigens "Hängekarton mit Dispenser". Crazy modern.
Es gibt aber eine Werbung auf diesen Monitoren, die funktioniert. Bei mir auf dem Schulweg jedenfalls. Wenn die BLT "Fahrangestellte" sucht und gelbe Trams über den Bildschirm in den Morgen hinein sausen, sieht das verlockend aus. Tramchauffeur ist ja echt nicht so mein Traumberuf, aber auf dem Schulweg klammere ich mich an jedes Stückchen Freiheit, das versprochen wird.
Und da vorne in der Führer-Kabine müsste ich nicht in den Bildschirm starren.
Ein Tipp noch für die nächste Tramfahrt in der Stadt: Zählen Sie die Rechtschreibe- und Fallfehler auf den Monitoren. Spielerisch viereckige Augen zu bekommen, ist besser.
3. Juni 2019
"Auch Chauffeure blicken in Bildschirme"
Mit Interesse habe ich Ihre Kolumne gelesen. Zu Ihrer Aussage "Und da vorne in der Führer-Kabine müsste ich nicht in den Bildschirm starren" möchte ich anfügen, dass dies heute nicht mehr so ist. Anstelle Aussenspiegel haben wir Kameras, welche uns das Bild in die Kabine projezieren. Auch wir bekommen mittlerweile viereckige Augen :-).
Josua Studer, Tram- und Buschauffeur BVB, Allschwil