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"Kampf der semitischen Rasse": Basler Bunge-Brunnen
Der Alkohol als grösster Klassenfeind
Der Basler Abstinenten-Dachverband löst sich auf: Über den Anfängen liegen auch dunkle Schatten
Von Christof Wamister
Die Basler Abstinentenbewegung ist mit grossen Ansprüchen angetreten und hat vieles erreicht. Als politische Kraft gibt es sie nicht mehr. Unter ihren Begründern gab es nicht nur Pietisten, Templer und Sozialisten, sondern auch Rassehygieniker wie den in Basel noch immer hoch verehrten Gustav von Bunge, der privat rassistische Theorien verbreitete.
"Mit dem reinen, gesunden Germanenblut kann keine Race der Welt concurrieren." Diese unverhohlen rassistische Meinung äusserte der Basler Physiologieprofessor Gustav von Bunge in einem Brief an seine Schwester im April 1913, in dem er sich beklagte, dass ein Verwandter eine Russin geheiratet hatte. Eine solche Auffassung wäre nur noch von historischem Interesse, wenn Bunge in Basel nicht in hohem Ansehen stünde: Bunge war einer der Gründerväter der modernen Abstinentenbewegung.
Zeichen der Verehrung
In Basel erinnern an den Ehrenbürger eine Bunge-Strasse und ein Bunge-Brunnen in der Wilhelm His-Anlage an der Spitalstrasse (Bild). Ein wesentliches Motiv für Bunges Kampf gegen den Alkoholismus war es, "die Degeneration der gemanischen Rasse zu verhindern". Das schrieb die Medizinhistorikerin Marie-Louise Portmann, welche sich den Nachlass Bunges angesehen hatte, in einem Aufsatz, der bereits 1974 erschienen ist, aber bis jetzt kaum zur Kenntnis genommen wurde.
Oder wurden diese Erkenntnisse bewusst ignoriert? Anlässlich der Neugestaltung des Bunge-Grabes auf dem Wolf-Gottesacker 1990 würdigte der Basler Geschichtsprofessor und Abstinent Markus Mattmüller die Verdienste von Bunge, ohne auf dessen problematische Seiten einzugehen. Auch in der soeben erschienenen und spannend zu lesenden Darstellung zur Geschichte der Basler Abstinentenbewegung "Zum Wohl!"* werden die Verbindungen zu rassehygienischem Gedankengut eher am Rande erwähnt.
Schockierte Basler
Bunges Einfluss war auf jeden Fall prägend. Am 23. November 1886 hielt der aus Dorpat (Estland) stammende Wissenschafter eine Antrittsvorlesung, die wie eine Bombe einschlug. Er zerpflückte darin die damals noch herrschenden positiven Vorurteile über den Alkohol und rief zur Totalabstinenz auf. Das mässige Trinken sei nicht weniger gefährlich als das sich Betrinken. Der Basler Witz reagierte darauf mit dem Kalauer: "Bunge machen gilt nicht."
Bunge bediente nebenbei in seiner Vorlesung auch das "gängige rassistische Weltbild vieler Akademiker", schreibt der Historiker Fabian Brändle im Bunge-Kapitel des erwähnten Buches. Bunge im Wortlaut: "Dass in dem Kampf der semitischen Rasse mit den Völkern Europas die Nüchternheit und Enthaltsamkeit der ersteren eine Hauptwaffe bildet, wird allgemein zugestanden. Die Antisemiten sollten ihre Agitation doch vor allem damit beginnen, das eigene ekelhafte Biersaufen zu lassen."
Bunge äusserte sich in seinen Publikationen sonst kaum rassepolitisch. Er habe sich aber gegen die Mitwirkung von Juden in den Abstinentenbewegungen gewehrt, heisst es bei Marie-Louise Portmann.
Ob Bunge ein überzeugter Antisemit war, wäre noch zu erforschen. Allerdings beriefen sich die Redaktoren der Basler Wochenzeitschrift "Der Samstag" (1905-1914), die für ihre antisemitischen Ausfälle berüchtigt war, in Andeutungen mehrfach auf Bunge. Verantwortlich für den "Samstag" waren der Dialektdichter und spätere Fronten-Sympathisant Dominik Müller (bürgerlicher Name: Paul Schmitz) und Albert Graeter, Bruder des Bunge-Biographen Eduard Graeter und des abstinenten Arztes Karl Graeter. Es ist somit anzunehmen, dass Bunge bei seinen berühmten Tee-Einladungen seine Schüler in rassehygienischer und rassistischer Richtung beeinflusst hat.
Totale Degeneration in vier Generationen
Rassehyienische Ideen waren zu Beginn des Jahrhunderts weit verbreitet. Auch der Theologe, religiöse Sozialist und Abstinent Leonhard Ragaz ging davon aus, dass der Alkoholismus erblich sei und innnerhalb von vier Generationen zur totalen Degeneration führe. Er wollte den Alkoholismus mit strafrechtlichen Methoden verfolgen lassen, galt damit aber auch in der Abstinentenbewegung als Radikaler.
Diese war sich vor allem in der Gestalt ihres Feindes einig: des Alkohols. Darüber hinaus entwickelte sie eine Vielzahl von weltanschaulich geprägten Organisationen. Die Historiker unterscheiden heute zwischen den religiösen Abstinenten ("Blaukreuz"), den sozialhygienischen ("Guttempler", heute IOGT) und den sozialistischen Abstinenten.
In Basel erlangten sie einen bedeutenden Einfluss und vereinigten sich schon 1904 unter dem Dach des Abstinentenverbandes. Die Basler Erfolge waren auf die starke Präsenz religiöser Kreise, einer aktiven Arbeiterbewegung und das Wirken dominierender Persönlichkeiten wie Bunge, dem "Blaukreuz"-Präsidenten Johannes Hasler und den Brüdern Eugen Blocher (späterer Bundesrichter) und Hermann Blocher (Regierungsrat) zurückzuführen. 1916 war die Abstinentenbewegung mit Parlamentariern verschiedener Fraktionszugehörigkeit im Grossen Rat vertreten.
Der beliebte "Morgenschnaps"
Dass 1929 mit dem neuen Wirtschaftsgesetz der sogenannte "Morgenschnaps" verboten wurde, ging auf das Konto der Abstinenten. Das wirft ein Schlaglicht auf den damaligen Umgang mit Alkohol. Es war bei Arbeitern, Handwerkern oder auch Soldaten beliebt, sich vor der Arbeit mit einem Schnaps zu stärken. Verewigt ist das zum Beispiel durch eine Szene im Spielfilm "Gilberte de Courgenay", der im Ersten Weltkrieg spielt. Aber auch in bürgerlichen und akademischen Kreisen herrschten rüde Trinksitten.
Alkoholprobleme gehören heute keineswegs der Vergangenheit an, auch wenn der Alkoholkonsum pro Kopf kontiniuerlich gesunken ist. Immerhin flossen im vergangenen Jahr noch zehn Liter reinen Alkohols durch die schweizerische Durchschnittskehle. Gegen zwanzig Prozent der Erwachsenen bezeichnen sich aus verschiedenen Gründen als abstinent. Die Ansprüche des modernen Berufslebens und des Verkehrs sind mit Alkoholgenuss je länger je weniger vereinbar. Statt dessen entstanden neue Formen von Alkohol-Orgien in der Freizeit.
Verband in Liquidation
Doch die Zeiten, in denen die Antialkoholbewegung die Gesellschaft mit ihren Aktionen provozierte und aufrüttelte, sind vorbei. Mit eidgenössischen Initiativen (zuletzt mit den Zwillingsinitiativen für ein Werbeverbot für Tabak und Alkohol, 1993) erlitt sie schmerzliche Niederlagen. Die noch bestehenden Organisationen konzentrieren sich auf die Sozialarbeit.
Der Basler Abstinentenverband beschloss im Jahr 2007, sich aufzulösen. Zur Zeit befindet er sich noch in Liquidation. Fritz Ganser, früherer Geschäftsführer und Leiter der Basler Fachstelle für Alkokohlprophylaxe, begründet dies schlicht mit dem Mangel an Mitgliedern, die noch Chargen übernehmen könnten. Die Abstinenten sind in die Jahre gekommen. Die Zeiten des missionarischen Kampfes gegen den Alkohol sind vorbei.
Professionalisierung
Bei der Alkoholbekämpfung hat laut Ganser aber auch eine starke Professionalisierung und eine Ausweitung auf andere Suchtarten stattgefunden. Die Basler Alkoholberatungsstelle heisst jetzt "Sucht Info", ein Name, der jetzt auch von der Schweizerischen Fachstelle für Alkoholfragen in Lausanne – ebenfalls eine Gründung der Abstinenten – übernommen wurde. Der Basler Abstinentenverband wurde abgelöst durch den "Verein für Suchtprävention" ersetzt, der zu hundert Prozent vom Kanton subventioniert wird und in dem 14 Organsiationen, davon 12 Abstinentenvereine, vertreten sind. Die Bekämpfung des Alkoholmissbrauchs ist damit zur Staatsaufgabe geworden. Bunges Träume von Prohibition und alkoholfreier Gesellschaft haben sich aber nicht verwirklicht.
* Fabian Brändle/Hans Jakob Ritter: "Zum Wohl! 100 Jahre Engagement für eine alkoholfreie Lebensweise". Herausgegeben vom Basler Abstinentenverband, Schwabe Verlag, Basel 2010
3. Dezember 2010
"Schweizer Psychiater überzeugte Rassenhygieniker"
Ein ausgezeichneter Beitrag! Es wird immer noch verdrängt, dass die Schweizer Psychiater Auguste Forel, Eugen Bleuler und sein Sohn Manfred B. überzeugte Rassenhygieniker und Vorgänger der Nazitheorien waren. Robert Ritter, der Gründer und Leiter der Rassenhygienischen Forschungsstelle in Berlin (ab 1936), der u.a. für die berüchtigten "Zigeunerforschungen" verantwortliche zeichnete, gehörte zu den Schülern der berühmten Zürcher Schule und praktizierte in der dortigen Kinderpsychiatrischen Klinik (1931-1932). Ritter berief sich dankbar auf seine Zürcher Überväter.
Helena Kanyar Becker, Basel
"Den Brunnen einer andern Person widmen"
Tolle Recherche! Gerade in Basel ist es wichtig, rassistische Phänomene aufzudecken und zu zeigen, dass sie nie harmlos sind. Gerade in der Zeit, wo ununterbrochen neue politische Hetzaktionen gegen "Fremde" gestartet werden. Könnte man den Brunnen nicht einer anderen Person widmen, die sich für Menschenrechte eingesetzt hat?
Karl Riwar, Full-Reuenthal