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"Anstrengendes Hobby": Freiwillige tamilische Moderatorin von "Radio X"
"Radio X": Erst belächelt, dann akzeptiert und heute anerkannt
Der Basler Minderheiten-Sender unterstützt seit zehn Jahren Integrationsprozesse auf kultureller und beruflicher Ebene
Von Valerie Zaslawski
Der Basler Alternativsender "Radio X" schaffte in der regionalen Medienlandschaft den Durchbruch. Mit seinem alternativen und multi-kulturellen Programm unterstützt er die Integration von Zuzügern und gibt talentiertem Moderations-Nachwuchs eine Einstiegs-Chance im hart umkämpften Berufs-Markt.
Jahrelang wurde die Basler Musikszene - was das Radioangebot betrifft - von Mainstream-Akteuren wie Madonna, Michael Jackson oder den Backstreet Boys geprägt. Dies änderte sich schlagartig, als "Radio X" am 7. April 1998 vom Bundesamt für Kommunikation die Sende-Bewilligung auf der Frequenz von 94,5 Megahertz erhielt und damit ausgerechnet die frühere Welle des Basler Kommerz-Senders "Basilisk" übernahm: "Wir gingen sofort auf Sendung", erinnert sich Chef Thomas Jenny gegenüber OnlineReports. Ziel sei es gewesen, ein "Kontrastangebot" zu schaffen, mit dem "der jungen Kultur und den Migranten eine Stimme gegeben werden sollte".
Treue zum "Urpapier"
Mit Erfolg, wie sich genau zehn Jahre später zeigt: Das Radio-Studio an der Spitalstrasse 2 etablierte sich mit 50'000 Hörerinnen und Hörern als anerkannter nichtkommerzieller Sender in der Basler Medienlandschaft - ohne dauernde Konzeptänderungen: Das "Urpapier" sei "aktueller Programmauftrag" geblieben, ergänzte Jenny.
Die Tatsache, dass "Radio X" keinen kommerziellen Zweck hat, machte die Etablierung des Senders - aus ökonomischer Sicht - schwierig: "Es war ein Krampf", ergänzt Jenny, als Stifungsratspräsident und gleichzeitiger Geschäftsleiter klar die dominierende Figur im "X"-Organigramm. Es kam auch zu unschönen internen Reibereien. Heute verfügt der Sender dank geschicktem Management über ein Jahresbudget von 800'000 Franken, darunter 250'000 Franken aus dem Gebühren-Splitting, 350'000 Franken von staatlichen Stellen und Stiftungen und 100'000 Franken von den 500 Mitgliedern des Fördervereins sowie von Sponsoren.
Keine "Guten Morgen"- Show
Der Fokus "weg vom klassisch modernen Tagesprogramm" scheint nicht auf taube Ohren gestossen zu sein. Anstelle von stündlichen Nachrichten erarbeiten die rund 200-köpfige unbezahlte Miliz-Redaktion und 7 Profis, "inhaltliche Kampagnen", die in erster Linie jugendliche Subkultur, Randgruppen sowie Migrantinnen und Migranten ansprechen sollen.
Der als gemeinnützige Stiftung organisierte Sender, bietet neben abwechslungsreichen und alternativen Musikformaten einmal täglich schwerpunktmässig Berichte über das aktuelle Geschehen in der Region. Dabei sei die politische und gesellschaftliche Berichterstattung "kompakt" auf Jugend und Integration ausgerichtet. Der Minderheiten-Sender möchte jedoch keineswegs in die linke Ecke gestellt werden: "Wir rufen nicht zur Anti-WEF Demonstration auf", betont Jenny. Die politische Berichterstattung sei "journalistisch korrekt und neutral".
Ausführlicher hingegen sei die kulturelle Berichterstattung. So bietet der Sender seinem Publikum mehrmals täglich einen Veranstaltungskalender mit Kino- und Theatertipps sowie Vernissage- und Partyterminen.
Das "Hier und Jetzt" in über 20 Sprachen
Am Abend ist, so die hauseigene Broschüre, "die Welt zu Gast" bei "Radio X". Von Montag bis Donnerstag zwischen 19 und 23 Uhr lässt der Sender Migrantinnen und Migranten zu Wort kommen . Und wie: In insgesamt in über zwanzig verschiedenen Sprachen – von Tamilisch über Spanisch bis Kroatisch, Serbisch oder Englisch – debattieren freiwillige Mitarbeitende Themen, die das "Hier und Jetzt" betreffen und einen Bezug zum neuen Heimatland Schweiz haben. Es gehe dabei nicht um das "freie Kurdistan", präzisiert Jenny, sondern "um das freie Kleinbasel". Eine junge tamilische Moderatorin, tagsüber Gymnasiastin, lachend über ihren Job bei "X": "Ein anstrengendes Hobby."
Neben energie- und umweltpolitischen Themen beschäftigt sich der Sender in seinen zahlreichen "Special-Sendungen" mit Integration, Prävention und mit Sensibilisierungskampagnen. Dabei geht es unter anderem um Deutschkurse, Abfallentsorgung, Behinderungen, Religionen, Meditationen oder Finanzen. In solchen Sendungen werde, so Jenny, "eng mit den Betroffenen" zusammen gearbeitet. Die Arbeit gehe somit über den "journalistischen Auftrag" hinaus, nimmt der Geschäftsleiter für sein Programm in Anspruch.
"Medien-Lücke für Secondos"
Mit diesem Angebot leiste "X" einen "wichtigen Integrations-Beitrag", betätigte der Basler Integrations-Delegierte Thomas Kessler gegenüber OnlineReports. Dies deshalb, weil der Sender "spezifische Bedürfnisse einzelner Randgruppen" ergänze. Das Grundbedürfnis der 58'000 Basler Migrantinnen und Migranten werde bereits durch regionale und nationale Medien abgedeckt. In der Medienlandschaft bestehe aber eine "Lücke für Secondos, die sich zum Beispiel in der Integration oder in sonstigen regionalen Themen engagieren wollen".
Zudem, hält es Kessler für erfolgreiche Integration für unerlässlich, gewisse Informationen in der Muttersprache zu transportieren. Die Integrationsstelle Basel-Stadt finanziert den Sender punktuell projektbezogen mit. Dabei werde die Qualität aber streng geprüft: "Wir sind anspruchsvoll", ergänzte Kessler. "Radio X" mache seine Arbeit aber "sehr gut" und habe ein "hohes Qualitätsniveau". Allerdings schränkt er ein: Der Sender allein könne jedoch nicht das gesamte Potenzial der Migrationsbevölkerung abdecken. Die regionalen Medien sollten die Vielfalt an Kulturen, die in Basel leben, "besser präsentieren", monierte der Integrations-Delegierte.
Kooperation mit der Universität?
Auch Christoph Tholen, Professor für Medienwissenschaften an der Universität Basel, ist "absolut überzeugt" davon, dass der Sender im Bereich Integration einen wichtigen Beitrag leiste. Er spricht von einem "gastlichen Dialog", der Vorurteile gegenüber fremden Kulturen aus der Welt zu schaffen helfe.
Seit 2001 prüfe das Institut zudem Möglichkeiten einer Zusammenarbeit mit dem Sender in Form von sogenannten "medienpraktischen Kursen" oder von Campus- und Universitäts-Radios. Die Verwirklichung des Vorhabens sei jedoch von der Finanzierung abhängig.
Aus medienwissenschaftlicher Sicht beschreibt Tholen den Sender als "gute Mischung aus News, Musik und Kulturdarstellung für fremdsprachiges Publikum". Der Ordinarius wünscht sich aber zusätzlich ein Sendegefäss für älteres Publikum, um den "Dialog zwischen den Generationen zu verstärken".
Sprungbrett für Jung-Journis
Von einer geplanten Zusammenarbeit spricht auch Raphael Suter, Chefredaktor von "Radio Basilisk". Die Sender starten - laut Jenny "idealerweise" im August 2009 - ein gemeinsames Pilotprojekt, welches das journalistische Handwerk in Form einer regulären Lehre vermitteln soll. Suter schätzt die "tollen Leute", die bei "Radio X" arbeiten, und räumt ein, dass der Sender an der Spitalstrase nicht selten eine Art "Ausbildungsfunktion" für "Basilisk" übernehme und "wir ihnen dann die Leute abjagen". Suter erwähnt anerkennend, dass die Karriere vieler Basler Medienschaffender bisher bei "Radio X" ihren Anfang nahm. Denn dort gilt die Devise: "Learning by doing."
Der "Basilisk"-Chef empfindet die benachbarte Station "in jedem Fall als Bereicherung" und nicht als Konkurrenz, die es zu fürchten gälte: Inhaltlich und musikalisch hätten die Sender unterschiedliche Positionen. "Basilisk" bediene den Mainstream und könne sich deshalb "kein so profiliertes Musikprogramm" leisten. Die Abgrenzung sei durch das Programmkonzept vorgegeben.
Anfänglichlich belächelt
Dem pflichtet auch Frank Linhart, stellvertretender Chefredaktor des in Liestal domizilierten Radios "Basel 1", bei. Bei Sendebeginn sei der unmittelbar neben der Notfallstation des Spitals gelegene Minoritätensender noch "belächelt" worden. Inzwischen habe er sich zu einem "guten Bewerber" entwickelt und sich Respekt verschafft. Linhart: "Wir betrachten die Station als Bereicherung und in gewissem Sinne auch als Konkurrenz."
"Eindeutig eine gute Ergänzung" ist "Radio X" auch für das Basler "Regionaljournal" von Schweizer Radio DRS, wie dessen Leiter Jürg Stöckli gegenüber OnlineReports bekannte. Der Sender biete "breitflächige und lange Sendungen", behandle "integrative Themen" und habe ein "spezielles Programm". Auch Stöckli lobt den Ausbildungsaspekt von "Radio X" als erwähnenswerte Leistung und attestiert der Arbeit seiner alternativen Branchenkollegen "befruchtende Wirkung".
Kaum Einfluss auf Polit-Debatte
Kaum einen Einfluss hat der Multikulti-Sender auf die aktuelle politische Debatte im Stadtkanton. Brisante Enthüllungen oder journalistische Primeurs sind weder seine Stärken noch seine programmlichen Botschaften. So kennt SVP-Grossrats-Vizepräsident und Regierungsrats-Kandidat Patrick Hafner den Sender "Radio X" nur "dem Namen nach". Immerhin findet er die Grund-Idee, Menschen mit ihrer Muttersprache "abzuholen", positiv.
Was allgemein von aktuellen News-Medien erwartet wird, erwartet Cederic Storz von "Radio X" keineswegs. Der 25-jährige Student wohnt in Zürich und vermisst dort seinen Basler Alternativ-Sender: Er schätzt das Musikangebot abseits der Hitparade und findet zudem die Integrationsarbeit - "Minderheiten eine Plattform zu geben" - von "X" äusserst positiv.
In Liestal und Umgebung ist "Radio X seit gestern, 6. Mai, zusätzlich über die Frequenz von 93,6 Mhz empfangbar.
7. Mai 2008