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"Ganz unaufgeregt": Staatlicher Kommunikations-Manager Greiner, Pin-Wand
Das Staats-Fernsehen, das kein Fernsehen sein will
"BS-TV": Die Basler Staatskanzlei geht erstmals auch mit selbstproduzierten Videos online
Von Peter Knechtli
Das Multimedia-Zeitalter hält in der Basler Staatsverwaltung Einzug: Die Regierung kommuniziert nicht mehr bloss mit schriftlichen Verlautbarungen, sondern auch mit selbstproduzierten Videos, die – unter dem Label "BS TV" – auf der staatlichen Website abgerufen werden können. TeleBasel erkennt bereits einen verstärkten Kampf um die visuelle Deutungs-Hoheit.
Im Büro von Marco Greiner (42), Basler Vize-Staatsschreiber und Informations-Beauftragter der Regierung, steht eine Pin-Wand. Mitarbeitende sind aufgefordert, dort Anregungen für spannende Kommunikations-Themen anzuheften. Neuerdings ist diese Ideen-Wand um eine Sparte reicher geworden: "TV-BS" heisst die Rubrik, die sich – derzeit ist kein Themen-Vorschlag auszumachen – noch etwas mager ausnimmt. Doch die Absicht in unverkennbar: Die Basler Kantonsverwaltung macht Staatsfernsehen im Internet.
Professionelle Bewegtbilder
Seit dem 26. April wurden bisher zwei Videos produziert. Der erste Film thematisiert den Life Sciences-Neubau der Universität Basel. Es handelt sich um einen formal professionell gestalteten und gesprochenen Beitrag, in dem sich informative Bewegtbilder und Interviews mit Regierungsräten abwechseln, der auf den ersten Blick wie eine gefällige journalistische Auftragsarbeit anmutet.
Der zweite Auftritt von "BS-TV" erfolgte vor einer Woche, als Regierungsrat Christoph Brutschin den Medien die Studie über die Basler Kreativwirtschaft vorstellte. Dieses Video bietet ein deutlich weniger aufwändig produziertes Interview mit Martin Heller, dem Leiter eines zur Belebung der Basler Kreativen eingesetzten Steuerungsausschusses. Beide Filme wurden erst auf YouTube geladen und anschliessend in die offizielle Website des Kantons Basel-Stadt eingebunden.
Bürger online besser erreichen
Der Eintritt des Kantons ins Multimedia-Zeitalter erfolgte ohne offizielle Ankündigung in den Räumen der Staatskanzlei. "Politik- und
Verwaltungsthemen haben es immer schwieriger, bei der Öffentlichkeit anzukommen, weil sie immer mehr von Lifestyle-Themen verdrängt
werden", sagt Marco Greiner. "Deshalb mussten wir uns die Frage stellen, wie wir die Leute am besten erreichen." Die Antwort: Der Trend geht – insbesondere unter jungen Staatsbürgern – immer stärker in Richtung Internet. Deshalb sollen künftig auch im Staatsauftrag und staatlich produzierte Video-Beiträge im Internet die bisherigen schriftlichen Verlautbarungen ergänzen – und zugleich die Attraktivität der kantonalen Website erhöhen.
Schon nach zwei Video-Produktionen dürfte die Bilanz für die Staatskanzlei zumindest nicht enttäuschend ausfallen: Der Life Sciences-Beitrag zählt rund 900 Aufrufe, das Heller-Interview (Bild links oben) rund 300 Zugriffe. Was die staatlichen Kommunikatoren aber vor allem mit Genugtuung erfüllen dürfte: Die "Basler Zeitung online" übernahm das staatliche Heller-Video kostenlos ab YouTube und band es als Ergänzung in den redaktionellen Bericht über die Medienkonferenz ein (Bild links unten), ohne Heller selbst zu interviewen.
Diese Vermischung von staatlicher Kommunikation und unabhängiger redaktioneller Leistung hat einen scheinbaren Vorteil, aber auch gewichtige Nachteile. Nichtstaatliche Informationsmedien können ihrer Leserschaft dank Staats-Videos einen – allerdings nicht exklusiven – Mehrwert bieten, der erst noch kaum Produktionskosten verursacht. Gravierender aber ist die freiwillige Einbusse der redaktionellen Gestaltungs-Souveränität, mit der die Grenzen zwischen journalistischen Informations- und staatlichen PR-Interessen verwischt werden.
Nur unkritische Inhalte in Staats-Videos
Der Trend ist unverkennbar: Die Kantone haben die Bereitschaft privater Medienanbieter bemerkt, staatliche Videos in ihre Online-Plattformen einzubinden. Dies zeigte sich vor einem Jahr, als die Basler Staatsanwaltschaft das Überwachungs-Film einer brutalen Schlägerei-Attacke in einem Bus zu Fahndungszwecken ins Internet stellte. Prompt übernahmen verschiedene Medien – darunter auch "BaZ online" – diesen quotenträchtigen Aufreger und sorgten dafür, dass der Server wegen Massenzugriffen zeitweise zusammenbrach.
Auf die Feststellung von OnlineReports, der Kanton Basel-Stadt sei unter dem Label "BS-TV" im Begriff Lokal-Fernsehen zu machen, sagt Marco Greiner: "Das stelle ich ein Stück weit in Abrede." So sollen die Video-Beiträge "keine kritischen Inhalte" enthalten und in keiner klar erkennbaren "Periodizität, sondern nach Bedarf produziert werden. Ausserdem seien die Beiträge "nicht moderiert". Immerhin geht das interne Konzept für "BS-TV" doch von einem gewissen Zeit-Rhythmus aus: "In der Regel wird pro Monat ein gestalteter Beitrag realisiert, dazu kommt mindestens ein Interview." Und "Die Beiträge erscheinen per Monatsanfang und per Monatsmitte."
Bürgernähe Inhalte angestrebt
Ausserdem, ergänzt Greiner, soll der Fokus auf bürgernahe Inhalte gelegt werden, die in den journalistischen Medien wenig Aussicht auf Publikation hätten. Beispiele: Hinweise auf staatliche Dienstleistungen wie Abfallabfuhr, Kompostierung, Schulanfang oder Möglichkeiten, Wasser zu sparen. Eine vierköpfige "Redaktion" des Kommunikationsstabs der Staatskanzlei verantwortet die Inhalte: Marco Greiner, Jakob Gubler, e-Government-Spezialist Juri Weiss und der Historiker und Privatdozent Peter Haber.
Technisch produziert und teilweise auch gesprochen werden die Filme vom FCB-Moderator René Häfliger ("Journalist für elektronische Medien, TV- und Filmproduktionen, Moderationen"), der allerdings keinen inhaltlichen Einfluss ausübt: Die Texte und Interview-Fragen formuliert das Redaktions-Team (Greiner: "Wir wollen die Inhalts-Hoheit vollständig behalten"). Sowohl im Standbild zu Beginn des Videos wie im Abspann wird die Staatskanzlei als verantwortlich genannt, Produzent und Autoren werden indes nicht namentlich deklariert.
Spielt Staat Wettbewerbs-Vorteil aus?
Beim Heller-Interview stellte Jakob Gubler die Fragen, Häfliger stellte das Video her – zu einem Preis von durchschnittlich rund 1'000 Franken pro Beitrag. Die beiden kennen sich als FCB-Reporter (früher "Radio Basilisk", heute "Radio Basel"). Marco Greiner: "Wir stellen somit den privaten Medien keine Primeurs wegschnappen und stellen keine Konkurrenz zu ihnen dar."
Dennoch: Wenn von journalistischen Vorgaben ausgegangen wird, verschafft sich der Staat einen Wettbewerbsvorteil: Die Videos werden vorproduziert und gleichzeitig mit der Medienmitteilung online geschaltet, so dass dagegen kein privater Anbieter eine Chance hat – insbesondere der Regional-TV-Sender TeleBasel nicht.
TeleBasel "verliert ein Stück Bildhoheit"
TeleBasel-Chefredaktor Willy Surbeck "weiss noch nicht, wie weit die staatlichen TV-Ambitionen gehen". Fest steht für ihn aber heute schon, "dass TeleBasel die Bildhoheit ein Stück weit verliert". Das Angebot von "BS-TV" betrachtet er als "fragwürdig, aber legal und Entwicklung des Wettbewerbs um die visuelle Deutung, dem wir uns stellen müssen". Surbeck sagt aber auch: "Es ist eine Konfrontation, die wir nicht gesucht haben. Dadurch wird die Arbeit aufwändiger und spannender, aber auch anspruchsvoller für die Journalisten."
"Ein Friktionsfeld" könnte sich bei personellen Vermischungen auftun: "Die Beteiligung eines Mitarbeiters von TeleBasel an 'BS-TV' wäre nicht vereinbar." René Häfliger taucht auf TeleBasel als Produzent der FCB-Sendung "rotblau" auf. Surbeck: "Er steht im Solde des FCB und ist nicht bei uns angestellt."
Luxus-Variante des PR-Auftritts
Der TeleBasel-Chef hält "BS-TV" für eine "logische Entwicklung", die in andern Kantonen schon weiter gediehen ist. Surbeck nennt den Kanton Zürich, der schon ganz Medienkonferenzen filmen lässt und den Medienschaffenden das Video als Rohstoff zur Verfügung stellt. "Es könnte sein, dass Basel-Stadt findet: Das machen wir auch." Die Konsequenz daraus sei, dass Behörden und Verbände für die Luxus-Variante ihrer PR-Auftritte immer mehr Budget-Mittel freimachen, "die dann in den Mainstream-Medien fehlen".
Der staatliche Kommunikationsstratege Greiner stapelt mit den "TV-BS"-Aktivitäten derweil "sehr unaufgeregt" tief. Der Start sei deswegen nicht kommuniziert worden, weil es sich um eine Testphase handle und "weil wir bewusst kein Fernsehen machen wollen".
25. Mai 2010
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