© Fotos by Peter Knechtli und Christian Mundschin
"Jetz git-er em": Ballonpilot Christian Mundschin
Auf der Fahrt nach Irgendwo: Ein Rencontre mit dem Adel der Lüfte
Mit dem Lampenberger Heissluftballon-Pilot Christian Mundschin unterwegs in vom Baselbiet in den Jura
Von Graf Peter von Thierstein*
Abheben aus unserer Welt in eine unbekannte Sphäre: Eine zweistündige Heissluftballonfahrt über den Jura von Arboldswil nach Courtfaivre wird zu einem unvergesslichen Erlebnis. Und daraus wird eine Reportage aus dem Korb des Lampenberger Profi-Piloten Christian Mundschin.
Den einen Wecker habe ich auf 4.27 Uhr gestellt, den andern auf 4.30 Uhr. Beide lärmten los - unnötig aufdringlich: Es war ein Aufstehen in der Erwartung, dass dieser Tag etwas Besonderes bringen wird. Fest habe ich mir vorgenommen, mich nicht als Luftfahrtbanause zu blamieren und in den kommenden Stunden konsequent vom "Fahren" und nicht vom "Fliegen" zu reden. (Es wird mir, von einer Ausnahme abgesehen gelingen.) Bekanntlich fliegt der Ballon nicht, sondern er fährt.
Es ist der frühe Morgen des Karfreitags im Jahre 2007. Die Temperaturanzeige im Auto zeigt Null Grad. Ich fahre los, eingepackt in Daunenjacke und Halstuch. Um 5.30 Uhr ist Treffpunkt an der Station Lampenberg der Waldenburgerbahn. Der Ballonunternehmer Christian Mundschin (58), ein gelernter Zimmermann, steht mit einem weiteren Piloten, zwei Nachfahrern und zwei in Anhänger verpackte Ballonen schon im Dunkeln bereit. Die eintreffenden Passagiere begrüssen sich kurz, etwas unschlüssig, ob per Sie oder gleich per Du. Das Freiluft-Einchecken ist eine Sache von Sekunden: Herr Mundschin drückt uns einen ausgefüllten "Beförderungsschein" in die Hand. Abfahrtsort: Arboldswil. Ankunftsort: Unbekannt.
Windrichtungskunde in dunkler Nacht
Dann heisst's einsteigen in den Kleinbus, in die Höhe fahren und einen geeigneten Startplatz finden. Doch der Startplatz hängt von der Windrichtung ab. Wie im Dunkeln der Nacht die Windrichtung orten? Christian Mundschin lässt auf offener Strecke anhalten, steigt aus, füllt einen weissen Ballon und lässt ihn steigen - erst vertikal, dann plötzlich nimmt er die Windrichtung an. "Jetz git er em!", so Mundschins Kommentar, und der Fall ist klar. Die schöne Bise bläst Richtung Südwest, es ist, so viel lässt sich schon sagen, eine Fahrt in den Jura angesagt. Im nahem Wald wird der Allradbetrieb eingeschaltet, die schwere Last wird über einen bachbettähnlichen Weg an einen geschützten Winkel im Windschatten geführt.
Und nun ist Teamarbeit angesagt. Im dünnen Licht einer Taschenlampe werden Ballon, Korb, Gasflaschen, Brenner und allerlei weiteres Gerät ausgeladen und auf dem mit leichtem Raureif bedecken Wiesland deponiert. Es ist bitter kalt, schon bald sind die Schuhe durchnässt. Pilot Mundschin gibt nur knappe Anweisungen, aber jene, die gerade wichtig sind. Alle legen Hand an, ziehen zur Stabilisierung an der Ballonspitze die Hauptleine, während zwei starke Ventilatoren die 30 Meter hohe und 20 Aren grosse Polyesterhülle prall aufblasen. Langsam richtet sich auch der Korb auf. Nun schiesst aus den Brennern gelegentlich eine helle mächtige Flamme in den Ballon-Bauch und erleuchtet die Waldecke in der Dämmerung während eines kurzen Augenblicks: Der Ballon erhält ersten Auftrieb und steht jetzt majestätisch zur Abfahrt bereit.
Säntis, Mont Blanc, Feldberg
Wir steigen ein, Einer nach der Anderen. Christian Mundschin hat sich umgezogen. Er sieht nun aus wie ein richtiger Pilot: Ein graues Overall mit je vier goldenen Streifen auf den Achselpatten, eine Breitling-Schirmmütze, die im Weltumfahrer Bertrand Piccard persönlich übergeben hat. Fast waagrecht scheinen erste milde Sonnenstrahlen an die bewohnte Flanke Arboldswils, die Spannung wächst, als unser Zwillingsballon abhebt. Wir glaubten anfänglich nicht, dass in diesem Korb neben den mindestens fünf fetten Gasflaschen auch wir sieben Passagiere und der Pilot noch Platz finden. Aber es reicht. Mit gutem Grund hat uns der Korb-Kapitän zuvor zugestanden, wir dürften Körperkontakt nicht scheuen - auch mit ihm nicht: Schliesslich muss er immer wieder Transponder, Höhenmesser, Variometer, Flugfunk oder Satellitennavigation kontaktieren.
Unter lautem Tosen wird aus den Brennern mit einer Leistung von 8'000 Kilowatt der 1'600 Grad heisse Flammenstrahl in die Ballon geschossen - und jetzt heben wir ab. Der erste Blick direkt in die Baumkronen. Schnell verstummt das Vogelgezwitscher, rasch werden die winkenden Zurückgebliebenen zu Zwergen und schliesslich scheint sie der Boden zu verschlucken. Ist aber nicht so. Sie werden uns folgen und uns nach der Landung an den Ausgangspunkt zurück fahren.
Rascher als erwartet verlassen wir die Erde. Die Fahrt nach Irgendwo öffnet uns einen bezaubernden Blick auf unsere Heimat, der aus keinem Flugzeug möglich ist. "Hier oben ist Frieden, die Sorgen lassen wir unten", hat uns Steuermann Mundschin die Regel erklärt. Fasziniert blicken wir über den Korb in die Tiefe. Schleier bedeckt die Dörfer, die die Morgensonne noch nicht erreicht hat, und die sich in die immer unscheinbarer anmutenden Täler einschmiegen. Eine neue Wahrnehmung unseres Lebensraums erschliesst sich uns. Wie eine mächtige grüne Buckelpiste zeigt sich die Jurakette, wir fahren über Nunningen und Breitenbach. Im Norden zeigen sich Blauen und Nenzlingen. Während sich der Horizont immer weiter öffnet, steigen wir auf 3'000 Meter.
"Hat niemand den Bammel?"
Vor uns der mit Restschnee bedeckte Jurarücken mit Passwang, Weissenstein und Chasseral, über ihm der Mittellandnebel und dahinter die Alpenkette vom Alpstein, Säntis, über Titlis, Finsterarhorn, Eiger, Mönch und Jungfrau bis zum Matterhorn und zum Mont Blanc. Hinter uns der deutsche Belchen und der Feldberg. Und unter uns über 2'000 Meter potenziell freier Fall. "Hat niemand den Schlotteri?", fragt jemand aus der Runde. Bevor im Chor ein beherztes "Nein" ertönt, erzählt der Pilot aus dem Nähkästchen: "Die Passagiere, die am Boden am meisten Bammel haben, sind oft jene, die oben am weitesten über die Brüstung hinaus lehnen." An Bord des Korbs herrscht Vertrauen: Christian Mundschin, gelernter Zimmermann, ist seit 18 Jahren Profi-Pilot und hat weit über tausend Fahrten hinter sich.
Wir fahren ("pure Sichtsteuerung") weiter und wissen nicht wohin. Vor einiger Zeit haben wir noch bellende Hunde gehört, unten auf der Erde. Jetzt sind auch sie nicht mehr zu hören. Unser 30 Meter hohes und eine Tonne schweres Gefährt gleitet nun mit der Bise über die Sprachgrenze. Vor uns liegt ein breites Tal, das mit einem Schleier leicht bedeckt ist. "Ein Kaltluftsee", bemerkt der Steuermann, "da drin ist es fast windstill, bis die Sonne den Schleier weggeputzt hat, und wir können hier gut zwischenlanden". Aus einem Hauskamin dringt ein Räuchlein und signalisiert die richtige Fahrtrichtung. Langsam sinkt die heisse Luftblase zu Boden, wo sie zur allgemeinen Verwunderung butterweich aufsetzt. Wir befinden uns mitten in einem gepflügten Acker in Rossemaison bei Delémont. Ja, es sei auch schon vorgekommen, dass landwirtschaftliches Land oder Fruchtflächen bei der Landung beschädigt worden seien. In einem solchen Fall werde das Gespräch und eine gütliche Einigung mit dem Bauern gesucht.
"Himmellüpfer" bei der Zwischenlandung
Jetzt greift Mundschin in ein Seitenfach und zieht eine Flasche Weissen hervor. "Dielenberger Himmellüpfer" aus Oberdorf ist es. Passend für unsere Situation da draussen am Boden im Niemandsland. Sorgfältig werden acht Zinnbecher ausgepackt und gefüllt. Und dann werden wir von Christian Mundschin alias Baron Christian von Wildenstein, allesamt in den Adelstand erhoben, was mit einem wackeren "Prosit" besiegelt wird: Rosmarie, Rosette, Susanne, Vreni, Fredi, Hansruedi, Chrigel und Peter. Nach diesem erfrischenden Schluck wird wieder Gas gegeben und abgehoben.
In einiger Höhe stellt sich für Pilot Mundschin allmählich die Frage nach der Landung. Er hat uns zuvor darüber aufgeklärt, dass es dabei unter Umständen anständig "rumpeln" könne, und wo wir uns im Bedarfsfall festhalten müssen. Möglich wäre eine Fahrt Richtung Saignelégier, doch dann müsste eine windige Krete überfahren werden, was zu riskant erscheint. Christian will uns offensichtlich vor "Gerumpel" bewahren und entscheidet sich für eine Landung im Kaltluftsee bei Courfaivre. Über die Heimreise brauchen wir uns keine Gedanken zu machen. Während der ganzen Fahrt hatte Christian Funk-Kontakt mit Schampe und Heinz, den beiden so genannten "Nachfahrern", die Ballon und Passagiere an den Ausgangspunkt zurückführen. Sicher hat er sie aus der Höhe durchs Baselbiet und durch den Jura gelotst - bis an den Landeort.
Ein "Bonjour" zum Abschied
Im Hintergrund wird eine Hochspannungsleitung sichtbar. Christian spät ins Gelände und hält Ausschau nach einem sicheren Landeplatz. Wieder sinkt der Ballon, diesmal über einem Weizenfeld. Die Männer steigen aus. Von ihnen ist jetzt Sorgfalt und Einsatz gefragt. Während der Ballon sich wieder einige Meter hebt, wird der Korb mit Leibeskräften auf nahegelegenes Weidland gezogen, um das Fruchtfeld nicht zu beschädigen. Dort setzt der Korb jetzt auf. Applaus für den Piloten. Ein Erinnerungsfoto. Doch die Arbeit ist noch nicht zu Ende. Eine weitere Stunde wird gebraucht, um dem Ballon die heisse Luft auszupressen, ihn fein säuberlich in eine Holzkiste zu falten und die ganze Ausrüstung im Wert von 120'000 Franken im Begleitfahrzeug zu verstauen. Auch der Pilot ist glücklich: "Jede Fahrt ist anders. Das ist das Schöne."
Zum Schluss wissen auch die Passagiere, was sie getan haben. Fein säuberlich wird der Platz verlassen, dem Bauern nebenan für das Landerecht gedankt. Ein Automobilist fährt am Feldweg vorbei und grüsst: "Bonjour!"
* Der Autor, mit bürgerlichem Namen Peter Knechtli, wurde von Christian Mundschin, seines Zeichens Baron von Wildenstein, bei einer Zwischenlandung auf einem jurassischen Acker in den Aviatik-Adelstand befördert.
13. April 2007