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Eines von vielen Ärgernissen: Kreischende Bremsen in aufgerüsteten Wagen
SBB-Kundenpflege: Spritzer auf der Politur
Im Umgang mit Passagieren schneidet das Front-Personal besser ab als das Management der Bundesbahnen
Von Peter Knechtli
Seit der Umwandlung der SBB in eine Aktiengesellschaft und der marktwirtschaftlich motivierten Reform hat sich die Kunden-Orientierung der SBB spürbar verbessert. Das Zugs- und Schalterpersonal zeigt sich von einer servicefreundlichen Seite. Verschiedene Management-Entscheide sind jedoch nicht über alle Zweifel erhaben. OnlineReports hat sich nach individuellen Erfahrungen häufiger Bahnbenützer erkundigt.
SBB-Generaldirektor Benedikt Weibel darf sich glücklich schätzen: Seine Bahn, wähend langen Jahren mit dreistelligen Millionenbeträgen in der Kreide, schloss letztes Jahr mit 120 Millionen Franken Gewinn ab, die Produktivität stieg gleichzeitig um satte 9,2 Prozent. die Zahl der Beschäftigten sank innerhalb der letzten zehn Jahre um über 10'000 auf gut 28'000. "Wenn Weibel und seine Leute das Ruder nicht herumgerissen hätten, hätten wir heute ein Milliardendefizit", freut sich SBB-Sprecher Christian Kräuchi über den gelungenen Umbau in Richtung Wirtschaftlichkeit und Liberalisierung.
Front-Personal: Freundlich und kompetent
Seit die Passagiere bei den Bundesbahnen vom Transportgut in den Kundenstatus erhoben wurden, hat sich auch die Kundenpflege teilweise deutlich zum Guten gewendet. Ueberall dort, wo das Bahnpersonal mit Passagieren in direkter Tuchfühlung steht, entwickelt sich das Unternehmen Richtung Mustergültigkeit: Freundlichkeit, Hilfsbereitschaft und Kompetenz, ja sogar ein gelegentlicher Scherz während der Lautsprecher-Durchsage ("Und lassen Sie Ihren Schirm nicht liegen") sind unter dem Zugspersonal die Regel. Die Information in Bahnhöfen und Zügen ist bedürfnisgerecht, Schalterbeamte machen bei komplexeren Billetbestellungen auch auf günstigere Varianten aufmerksam.
Doch rundum glücklich sind selbst eingefleischte Bahnbenützende nicht. Dieter Stumpf, Präsident des WWF Region Basel und als Nicht-Autobesitzer häufiger Bahnfahrer, bemängelt vor allem, dass die telefonische Bahnauskunft mit Fr. 1.19 pro Minute gebührenpflichtig ist: "Das kommt mir vor, wie wenn ich vor dem Einkaufszentrums Eintritt zahlen muss. Ich werde bestraft, wenn ich mich als potenzieller Kunde für das Angebote der SBB interessiere." Noch schlimmer aber findet Stumpf, dass auch 36 Rappen pro Minute zahlen muss, wer sein Missfallen über eine Dienstleistung los werden will. Ein marktbewusstes Bahn-Management, so Stumpf, "müsste sich über die direkte Kunden-Reaktion doch freuen".
Ohrenbetäubendes Kreischen von Bremsen
Image-Probleme handeln sich die SBB auch mit Kunden ein, die das Pech haben, per Regio-Express zur Arbeit fahren zu müssen. Die Bremsen aufgerüsteter Alt-Waggons kreischen bei der Einfahrt derart betäubend, dass die wartende Kundschaft zum Schutz der Ohren zum kollektiven Hände-hoch ansetzt.
SBB-Sprecher Kräuchi räumt ein, dass das "Lärm-Problem jahrzehntelang nicht behoben wurde, heute aber erkannt ist". Bis 2004 sei die ganze Flotte der alten Personenwagen ersetzt. Noch gravierender sei der Güterverkehrslärm. Die SBB wollten zwar eine rasche Lösung, doch verzögere sich die europäische Homologisierung, unter andere an Vorbehalten Schwedens.
Doppelstockwagen verbesserungswürdig
Doch der Lärm ist längst nicht der einzige Kritik-Punkt. Christian Hilbrand, Chefredaktor des "Info-Forums" von "Pro Bahn Schweiz" lobt am neuen Intercity-Neigezug die Ortschafts-Angabe per Display, glaubt im Interesse von Hörbehinderten aber, dass die SBB weitere Information anzeigen sollten. Störend findet er die Zugluft und die undichte Abtrennung von Raucher- und Nichtraucherabteilen in den neuen Doppelstockwagen.
Kurt Erni, Spezialist für öffentlichen Verkehr beim Verkehrs-Club der Schweiz (VCS), anerkennt die jüngsten Fahrplan-Verbesserungen, doch wundert er sich, dass das Schweizerische Kursbuch keinen Auslandteil mehr hat und die neuen Auslandkursbücher an den Bahnschaltern immer noch nicht verfügbar sind. "Hochpeinlich", so ein Insider: Auch der Telefon-Auskunft Rail-Service müsse die Daten teils im Internet suchen. Erni: "Ein schlechter PR-Auftritt."
Auch wenn ihm der Fehler angelastet wird: Schuld am Fahrplan-Malaise ist nicht das Schweizer Bahnunternehmen, sondern die verspätete Anlieferung von Daten und Druckunterlagen durch ausländische Bahngesellschaften.
Werbe-Drucksachen zu spät ausgeliefert
Allerdings läuft bezüglich Drucksachen auch SBB-intern nicht alles rund. Diese Woche entschuldigten sich die SBB-Chefs für Kunden-Services und Fernverkehr bei Bahnhöfen für die verspätete Auslieferung von aktuellem Werbematerial: "Wir sind uns bewusst, dass diese Verzögerungen bei Ihnen Probleme auslösen wie unzufriedene Kundschaft, fehlende Informationen für Sie, unmögliche Planung der Personalressourcen", heisst es im internen Schreiben. Der Chef eines Lokalbahnhofs am Mittwoch zur SonntagsZeitung: "Wir kennen den Rail-Away-Monatshit für den Juni noch nicht."
Sauer stösst Konsumenten auch der Marketing-Trend auf, den Abbau von Vergünstigungen und Dienstleistungen als Angebotsverbesserung darzustellen. In der Baselbieter Gemeinde Gelterkinden kündigte ein Flugblatt die Aufwertung des Bahnhofs zu einem "SBB-Reisebüro" an. Gleichzeitig aber wurden die täglichen Schalteröffnungszeiten um fast drei Stunden reduziert. Zwischen Samstag, 12 Uhr, und Montag früh sind Schalter und Gepäckaufgabe gänzlich verwaist.
Aerger über Abschaffung der Familienkarte
Gar einen "Angriff auf die Zwei-Kind-Familie" ortete die Zeitung "Südostschweiz" in der neulichen Abschaffung der beliebten Familienkarte zu 20 Franken. Mit dieser Karte konnten Kinder bis 16 Jahre gratis fahren, wenn ein Elternteil für sich ein gültiges Billet auf sich trug. Die neu geschaffene Junior-Karte zu 20 Franken ist jedoch nur für ein Kind gültig. Eltern mit zwei Kindern zahlen folglich fortan 40 Franken.
Pressesprecher Christian Kräuchi kann Kritik an diesem Kartenwechsel nicht verstehen: "Wir sind die familienfreundlichste Bahn in Europa. 40 Franken für zwei Kinder sind immer noch sensationell." Zudem würden die Junior-Karten "mit Rabatten versüsst" - mit einem Bon im Wert von zehn Franken für vier verschiedene Rail-Away-Angebote.
Management-Entscheide machen Verbesserungen zunichte
Ob Lautsprecher-Durchsagen präzis mit dem Lärm durchfahrender Züge kollidieren oder Postgepäckwagen von Perron-Rowdies durch Passagierströme gelenkt werden, auf attraktiven Strecken keine Gruppenreisen mehr möglich sind oder sich die Information von der persönlichen Auskunft auf elektronische Plattformen wie das Internet verschiebt - das Kundenfront-Personal ist ausserhalb des Schussfelds. Verantwortlich für Unbill im Bahnwesen ist im öffentlichen Empfinden viel eher das mittlere Management, wo Christian Hilbrand immer noch "ein gewisses bürokratisches Denken" ortet. Laut Dieter Stumpf machen häufig "Management-Entscheide die Fortschritte an der Front wieder zunichte". Ein Bahn-Profi spricht angesichts der Verlagerung der Beratung auf elektronische Medien von einer "Zwei-Klassen-Gesellschaft": "Es gibt jene, die Internet haben, und viele vor allem ältere Leute, die auf die persönliche Beratung angewiesen sind. Und diese Dienstleistung wird mehr und mehr abgebaut."
SBB widerspricht Kritik: "Fehler machen alle"
Christian Kräuchi lässt diesen Eindruck nicht gelten: Die Verbesserungen an der Kundenfront seien auch den Ausbildungs-Anstrengungen des Managements zu verdanken. Fehler gebe es auf allen Ebenen. Und die würden auch wahrgenommen, "weil wir als öffentliches Unternehmen jeden Tag eine Betriebsbesichtigungen für 760'000 Besucher machen".
Diesen Besuchern droht neuerdings eine um zehn auf 60 Franken erhöhte Busse bei Schwarzfahren. Die Kondukteure führen aber noch immer alte Busszettel über 50 Franken auf sich. Beim Neudruck des ominösen "Formulars siebentausend", so ein Schaffner hinter vorgehaltener Hand, sei die Preis-Mutation vergessen gegangen.
4. Juni 2000