Wenn der Rechtsstaat die Potenz verliert
Von PETER KNECHTLI
Soviel dürfte in der Affäre um den türkischen Erdogan-Aktivisten im Basler Sicherheitsdepartement feststehen: Wenn sich dessen Vorsteher Baschi Dürr einer fahrlässigen Unterlassung bewusst gewesen wäre – er hätte sich gehütet, beim in Zürich tätigen Basler Staats- und Verwaltungsrechts-Professor Felix Uhlmann eine Untersuchung in Auftrag zu geben und sich damit gleich selbst ans Messer zu liefern.
Vielmehr darf angenommen werden, dass sich Dürr selbst richtigerweise aus dem Schneider sah: Er war von Polizeikommandant Gerhard Lips nicht darüber informiert worden, dass ein kleiner Sicherheitsassistent seines Departements auf Facebook Lobes- und Unterwerfungshymnen auf Präsident Erdogan angestimmt hatte.
Die Untersuchung – so dürfte Dürrs Kalkül gelautet haben – soll zeigen, wo die Verantwortlichen sitzen: Im Polizeikommando, angeführt von Oberst Gerhard Lips.
Der Polizeikommandant hatte es unterlassen, seinen politischen Vorgesetzten über die brisante Feststellung des Bundesnachrichtendienstes zu informieren: dass im Basler Polizeikorps ein türkischer Erdogan-Aktivist sitzt. Es ist leicht vorstellbar, wie sauer Dürr auf Lips gewesen sein muss, nachdem die "Basler Zeitung" den Fall ans Tageslicht recherchiert hatte. Lips wurde das Opfer seiner eigenen Deeskalations-Strategie: Nur nicht vorschnell agieren.
"Kommandant Lips war aber
auch nicht der alleinige Schuldige."
Der mittlerweile abgesetzte Polizeikommandant war allerdings auch nicht der allein Schuldige. Er hatte getreu die Empfehlung – faktisch: den Befehl – der Staatsanwaltschaft umgesetzt, den türkischen Korpsangehörigen, dem sein Herkunftsland offenbar mehr bedeutet als das Land und der Kanton seines Arbeitgebers, nicht mit den Facebook-Einträgen zu konfrontieren, um damit nicht weitere Beschattungen durch den kantonalen Nachrichtendienst zu gefährden. Die Kriminalpolizei stoppte also die Polizeiführung mit dem Argument, der Verdacht für ein Strafverfahren sei nicht hinreichend.
Man muss sich das vorstellen: Was den Strafverfolgungs-Organen nicht gelang, schaffte die "Basler Zeitung", die Ende April enthüllte, dass Y. S. mehr gewesen sein könnte als nur ein Erdogan-Anbeter: Er habe polizeiliche Datenbanken benützt, um an Informationen von Kritikern des türkischen Präsidenten oder gar Anhängern der vom Geistlichen Fethullah Gülen angeführten Bewegung zu gelangen und vermutlich an Erdogan-freundliche Kreise weiterzureichen. Eine Zeitung brachte ans Tageslicht, was Nachrichtendienst und Polizei offenbar nicht bekannt war.
Die Schweiz ist ein Rechtsstaat, was verlangt, dass Gesetze und Bestimmungen einzuhalten sind. Wenn für die Polizei aber im Kuddelmuddel von Datenschutz, Personal- und Strafrecht ein "Patt" entsteht, wie es Uhlmann in seinem Untersuchungsbericht reichlich beschönigend ausdrückte, dann gilt "Alarmstufe rot" in eigener Sache. Denn mit dem "Patt" ist nichts Anderes gemeint als die Handlungsunfähigkeit der Ermittler. Wenn also legalistische Schranken die Strafverfolgung in einer solchen Weise impotent machen, dann wird die rechtspolitische Korrektheit in ihr Gegenteil pervertiert.
Es ist keine Frage, dass das Polizeikommando gegenüber Baschi Dürr die Warnlampe hätte zünden und gemeinsam mit dem Datenschutz-Beauftragten eine kreative Lösung hätte finden müssen, um dem Erdogan-Anhänger in den eigenen Reihen auf die Spur zu kommen. Denn was diesem Eiferer tatsächlich vorgeworfen werden kann, ist bis heute nicht wirklich klar. Bekannt ist erst, dass die Polizei hinterher tatsächlich Datenbank-Abfragen des mittlerweile freigestellten Mitarbeiters feststellte, die "mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht in dienstlichem Zusammenhang erfolgt" sind.
Weshalb Lips die Brisanz des Falles unterschätzte und Dürr nicht einschaltete, ist ebenso unklar. Sollte jedoch in einem hierarchischen Betrieb wie der militärisch organisierten Polizei die Schnittstelle zwischen Polizeikommandant und Departements-Chef nicht durchlässig genug sein, dann müsste diese Firewall unverzüglich abgebrochen werden.
Bericht über die Präsentation der Untersuchung Uhlmann
23. Juni 2017
"Ein paar offene Fragen"
Guter Kommentar, Herr Knechtli. Für mich bleiben da aber noch ein paar offene Fragen:
- Darf ein Polizei-Angestellter eine eigene politische Einstellung haben? Unabhängig davon, für welche "Richtung". Wird er deswegen zu einem "Eiferer"?
- Wer entscheidet, welche "Richtung" die richtige oder die falsche ist?
- Angenommen, Y. S. hat tatsächlich die Polizeiakten von Landsleuten und Doppelbürgern eingesehen und eventuell ans Erdogan-Regime weitergeleitet, wieso gibt es bei uns über diese Leute Akten, und was wurde darin "fichiert", was man weiterleiten könnte?
- Ist es tatsächlich so, dass irgend jemand in unserem Rechtsstaat Erhebungen macht, wer mit wem sympathisiert? In wessen Auftrag und mit welcher gesetzlichen Grundlage erfolgen solche Erhebungen? Falls da nichts erhoben und aufgezeichnet würde, könnte auch ein Eiferer nichts weiterleiten. Oder sehe ich das falsch?
Peter Ensner, Basel