Baselbieter Regierung will Machtanspruch ausdehnen
Von PETER KNECHTLI
Das Baselbieter Stimmvolk entscheidet am 17. Mai darüber, ob künftig die Kantonsregierung die Aufsicht über die neu strukturierte 150-köpfige Staatsanwaltschaft ausüben soll. Dies ist der einzige heiss umstrittene Punkt im (kantonalen) Einführungsgesetz zur Schweizer Strafprozessordnung.
Seit 2002 stehen die Statthalterämter, die mit ihren rund 130 Mitarbeitenden den Hauptanteil der neuen Staatsanwaltschaft ausmachen werden, und das Besondere Untersuchungsrichteramt unter der administrativen und operativen Aufsicht des Kantonsgerichts. Ledig die heutige Staatsanwaltschaft mit ihren rund 15 Stellen ist administrativ der Sicherheitsdirektion unterstellt.
Diese Lösung, die im Gefolge der damaligen "Basler Justizaffäre" um Graziella und Raffaele Klages vom Landrat offensiv gefordert worden war, hat sich bewährt. Bis auf den heutigen Tag ist in keiner Weise mit Fakten belegt worden, dass die Aufsicht des Kantonsgerichts über die kantonalen Ermittlungsbehörden zu Filz oder anderen Problemen geführt hätte, die eine Rückkehr zum alten System einer administrativ und operativ geteilten Aufsicht erforderlich machen sollen. Auch dem in letzter Minute aus dem Hut gezauberten Komitee, das sich für eine Aufsicht durch die Regierung stark macht, gelang es nicht, konkrete Argumente für einen Rückfall ins alte Regime auf den Tisch zu legen. Mit andern Worten: Der Beweis für die Notwendigkeit eines erneuten System-Wechsels ist nicht erbracht.
Ausserdem zeigte sich im Verlauf der Landratsdebatte und jetzt auch im Abstimmungskampf eine seltsame Facette, die die Vermutung nahelegt, dass nicht vorwiegend sachliche, sondern strategische Allianz-Motive dazu führten, der Regierung künftig die Aufsicht über die Justiz-Ermittler zu übertragen: Ausgerechnet die Fraktionen von CVP/EVP und SVP unterstützten geschlossen den Vorschlag der Regierung, die Aufsichtsmacht an sich zu reissen; etwa die Hälfte der freisinnigen Fraktion schloss sich ihnen eher spontan an, nachdem sich die parteiinterne FDP-Fachkommission noch einstimmig für das Kantonsgericht als Aufsichtsgremium ausgesprochen hatte.
Hier wird zunächst sichtbar, dass es einem Teil der FDP-Fraktion schlicht darum ging, ihre Regierungsrätin Sabine Pegoraro mit politischem Flankenschutz vor einer bösen Niederlage zu schützen. Möglicherweise schwerer aber wiegt ein anderes Kalkül: Bei den nächsten kantonalen Wahlen wird die SVP entschieden auf einen zweiten Regierungssitz drängen – was nicht weniger bedeutet, als dass sie zusammen mit der CVP eine Mitte-Rechts-Regierungsmehrheit erreichen könnte. In seiner solchen Konstellation könnte es für die CVP von Vorteil sein, gegenüber der SVP rechtzeitig jene pragmatische Kooperationsbereitschaft zu signalisieren, die die stärkste bürgerliche Kraft im Kanton an den Freisinnigen immer unumwundener vermisst. Arithmetisch könnte dies bedeuten, dass die Aufsicht über die Strafverfolgung im Kanton eine Sache von SVP und CVP werden könnte.
Zugegeben: Diese Überlegung hat eine spekulative Komponente – aber auch eine realistische.
Zwar betont Sicherheitsdirektorin Pegoraro immer, dass sich die Regierung hüten würde, innerhalb der künftigen Staatsanwaltschaft Ermittlungen anzustellen. Laut Gesetz sei dafür eine Fachkommission zuständig, was zutrifft. Doch auch dieses Argument ist nicht tragfähig. Denn mit der Fachkommission würde im Kanton ein neues Gremium mit Milchzahn-Wirkung und bisher nicht bezifferten Kostenfolgen geschaffen, das laut Gesetz zwar Inspektionen durchführen muss, aber keine personalrechtlichen oder andere Entscheide fällen, sondern nur Antrag stellen darf: Entschieden – und zwar nach politischem Ermessen – würde künftig durch die Regierung. Es wäre politisch naiv, die Möglichkeit von mehr oder weniger subtilen Einflussnahmen durch die Regierung einerseits und von schonungsvollem Verhalten der Strafermittler ihr als Aufsichtsbehörde gegenüber auszuschliessen.
Das Prinzip der Gewaltentrennung zählt seit Montesquieu zu den fundamentalsten Merkmalen der demokratischen Staatsform. In diesem Zusammenhang meinte ein angesehener Baselbieter Rechtskundiger zur aktuellen Debatte um das Einführungsgesetz: "Die Regierung hat in der Justiz nichts zu suchen. Punkt." Diese Auffassung ist zutreffend. Doch in der geplanten dreiköpfigen Fachkommission der Regierung sollen ausgerechnet zwei Gerichtspräsidenten Einsitz nehmen – ein Gewaltentrennungs-Kuddelmuddel erster Güte.
Die vom Exekutive und Landrat vorgeschlagene Lösung spricht gegen das Einführungsgesetz – Termindruck hin oder her. Die Geschichte zeigt, dass die Risiken eines erneuten Scheiterns zu gross sind. Ein Beispiel von Einflussnahme einer Regierung auf die Bundesanwaltschaft hat der Bundesrat mit seiner Aktenvernichtung im Fall Tinner in erschreckender Weise vorgeführt. Auch auf kantonaler Ebene besteht exekutive Übergriffsgefahr oder zumindest Grenzbetretung, wie Beispiele aus der Vergangenheit zeigen: So sah ein Baselbieter Statthalter auf dem Pult eines Regierungsrates schon polizeiliche Ermittlungsakten in einem Fall von Kinderpornografie. Ebenso verbot die damalige Regierung in der "Basler Justizaffäre" Untersuchungsrichtern den Auftritt an einer Medienkonferenz in Basel.
Der amtierenden Regierung sei nicht unterstellt, sie trachte nach Übergriffen und Einflussnahmen. Aber sie verschiebt innerhalb der Balance der Gewaltentrennung klar den Machtanspruch zu ihren Gunsten, indem sie die Oberaufsicht über eine Justiz-Behörde beansprucht. Darum ist das System der operativen und administrativen Aufsicht aus einer Hand, wie sie heute das Kantonsgericht ausübt, der geteilten Aufsicht, in der die Regierung oder gar einzelne Parteien die entscheidende Hand im Spiel haben, klar vorzuziehen.
28.4.2009: Standpunkt der Gesetzes-Gegner
6.5.2009: Standpunkt der Gesetzes-Befürworter
8. Mai 2009
"Regierungsaufsicht bringt mehr Kosten und Bürokratie"
Der Kommentar von Peter Knechtli trifft nicht nur den Kern der ganzen Vorlage, der Autor zieht umsichtig und ausgewogen die einzig richtigen Schlüsse. Ein weiterer Aspekt darf und sollte nicht vernachlässigt werden – und da wundere ich mich über die unbekümmerte Haltung von bürgerlichen Landräten aus SVP und FDP: Nämlich die Frage der Kosten. Die bisherige Aufsichtsinstanz Kantonsgericht, die der Landrat übrigens 2002 ausdrücklich so beschlossen hat, kann mit der bewährten Geschäftsleitung ihre Funktion kostenneutral weiter ausüben, wogegen andere Lösungen und vor allem, wenn der Regierungsrat Aufsichtsinstanz würde, erheblich ins Geld gehen. Ein weiterer Punkt ist der eigentlich überflüssige Erste Staatsanwalt bzw. die Erste Staatsanwältin, eine neue Dienststelle die mit weiteren hohen Kosten, ich schätze mindestens eine halbe Million Franken, zu Buche schlagen wird. Und da ist es doch erstaunlich, wie gewisse Kantonsparlamentarier nonchalant und grosszügig über kostenträchtige "Vermehrungen der Staatsbürokratie" hinwegsehen.
Albert Augustin, Gelterkinden
"Unglaublich einseitig"
Der Kommentar von Peter Knechtli ist unglaublich einseitig.
1. Die Frage, ob die administrative Aufsicht über die neue Staatsanwaltschaft bei der Regierung oder beim Kantonsgericht angesiedelt werden soll, ist im Landrat ausführlich diskutiert worden. Eine Mehrheit hat sich schliesslich für das Regierungsmodell entschieden. Das ist ein demokratischer Entscheid und hat mit einem Machtanspruch der Regierung nichts zu tun.
2. Der Fall Raffaele und Graziella Klages wird angeführt als Beleg für die Qualität der Lösung "Aufsicht durch das Kantonsgericht". In der damaligen Justizaffäre hatte der Untersuchungsrichter Frau Klages als V-Person eingesetzt. Das zuständige Gericht (Präsidium Überweisungsbehörde) genehmigte den Einsatz. Ein unabhängiger Gutachter (Strafrechtsprofessor Günter Stratenwerth) beurteilte diesen V-Personen-Einsatz aber als "Missgriff". Den Fehler machten also die Richter, nicht die Regierung.
3. Peter Knechtli irrt, wenn er schreibt, dass die Regierung die Oberaufsicht über eine Justiz-Behörde beanspruche: Die Staatsanwaltschaft ist kein Gericht und somit keine Justiz-Behörde. Sie vertritt vielmehr den Strafanspruch des Staates vor dem Gericht. Die Gerichte wiederum unterstehen genauso wie die kantonale Verwaltung der Oberaufsicht durch den Landrat – und eben nicht durch den Regierungsrat, der ja selber ebenfalls der Oberaufsicht des Landrats untersteht. Der Oberaufsicht durch den Landrat (und nicht durch den Regierungsrat!) wird in jedem Fall auch die neue Staatsanwaltschaft stehen.
4. Zu erwähnen ist schliesslich, dass sich nicht bloss die Fraktionen, sondern auch die Parteien mit der Vorlage befasst haben. Die Ja-Parole herausgegeben haben CVP, SVP, EVP und FDP.
Christoph Buser, Füllinsdorf