Die Reform-Provokation der Baselbieter Freisinnigen
Von PETER KNECHTLI
Die Baselbieter Freisinnigen durften nicht davon ausgehen, dass ihnen die politischen Mitanbieter um den Hals fallen werden, als sie diese Woche den Medien ein "Vorstoss-Bombardement" ("Volksstimme") zur Fundamental-Reform des Baselbiets vorlegten: Sie wollen dem Kanton eine nie dagewesene Schlankheits-Kur verordnen, die Gemeindeautonomie zulasten der Liestaler Zentralmacht stärken und bisherige staatliche Aufgaben "am Markt einkaufen", womit Privatisierung gemeint ist. Mehr noch: Die FDP stellt sich sogar die Frage, "ob es den Kanton überhaupt noch braucht".
Solche Formulierungen sind eine bewusste Provokation – mehr noch: Sie sind Ausdruck einer Verzweiflung darüber, wie sehr das Baselbiet in eine Blockade-Sackgasse geraten ist, aus der eine kurzfristige Befreiung nicht erkennbar ist. Der hoch verschuldete Kanton ist, nach dem Nein zur Fusion mit Basel-Stadt blockiert zwischen Autonomie und Kooperation, kaum noch bewegungsfähig, während sich Basel-Stadt im goldenen Spätherbst-Licht sonnen kann.
Die verschärfte Oppositions-Rhetorik von Rot-Grün nach dem Rausschmiss der SP aus der Regierung und die faktische Mehrheit von SVP und FDP im Kantonsparlament verstärken die Abwehrkräfte zusätzlich. Die Bürgerinnen und Bürger dieses Kantons dürfen schon froh sein, wenn die administrativen Alltags-Geschäfte reibungslos funktionieren. Mit grösseren innovativen Würfen dürfe in den nächsten Jahren nicht zu rechnen sein.
Als wäre das als "Finanz-Strategie" schöngeredete regierungsrätliche Sparprogramm mit seinen Lohnsenkungen und Personalkürzungen nicht schon gravierend genug, verlangen die Freisinnigen jetzt zusätzliche jährliche Einsparungen von 100 Millionen Franken – ohne zu sagen, wo gespart werden soll.
"Das Baselbiet weist geriatrische Strukturen
auf, die auf 1833 zurückgehen."
Tatsächlich gibt es an dieser neoliberal anmutenden Papierflut der freisinnigen Vordenker einiges mehr auszusetzen als die in der Ökonomen-Sprache ("Best-in-class", "reduce to the max", "Learnings") gehaltenen Erläuterungen, die stark an privatwirtschaftliche Ideale erinnern. Allzu vieles bleibt da hypothetisch.
So unbelegt wie die Behauptung, dass Gemeinden gleichbleibende Leistungen günstiger anbieten können als der Kanton, so offen bleibt, ob eine schwerere kommunale Aufgabenlast nicht einfach zu einer Steuern-Verschiebung vom Kanton zu den Gemeinden führt. Weiter steht in den Sternen, dass die Auslagerung staatlicher Aufgaben an private Anbieter den Steuerzahler letztlich günstiger zu stehen kommen.
Die Grundfrage ist aber die, ob eine Salve von 24 parlamentarischen Vorstössen zur nachhaltigen Sanierung der Staatsfinanzen das geeignete Mittel ist, um den Kanton strukturell zu reformieren. Verräterisch ist dabei, dass sich in den freisinnigen Verlautbarungen keinerlei substanzielle Überlegungen zur Staatspolitik finden. Offenbar soll hier unter dem hehren Deckmantel einer Kantonsreform einer verschärften Sparpolitik das Wort geredet werden, die ein Gesellschafts-Segment besonders trifft: jenes der Einkommensschwachen.
Der FDP darf attestiert werden, die "heisse Kartoffel" der Kantons-Reform zumindest ansatzweise thematisiert zu haben. Denn das Baselbiet weist in der Tat geriatrische Strukturen auf, die auf 1833 zurückgehen und heutigen Ansprüchen längst nicht mehr zu genügen vermögen. So zu tun, als läge das Heil in einer verstärkten Aufgabenzuweisung an die Gemeinden, wäre naiv: Die Zentralisierung des Baselbiets ist nicht zuletzt auch eine Folge davon, dass vor allem kleinere Gemeinden mit der Aufgaben-Erfüllung überfordert waren – und es bis heute geblieben sind. Darum dürfen kommunale und regionale Kooperationen oder Zusammenschlüsse nicht länger Tabu bleiben.
Wer sich aber die Gross-Projekte der Verfassungs-, Parlaments- und Verwaltungsreformen aus den siebziger und achtziger Jahren in Erinnerung ruft, stellt fest, dass diese Vorhaben allesamt, wenn auch ursprünglich über Vorstösse initiiert, aus einem überparteilichen Konsens entstanden. Die FDP-Vorstösse zeigen bisher jedoch keinerlei Anzeichen von überparteilichem Vorgehen. Wenn sich die Freisinnigen darum foutieren, für ihre Idee einer "fundamentalen Kantonsreform" weitere Partner auch aus Mitte-Links an Bord zu holen, dann wird sie eine Totgeburt bleiben – so nötig sie wäre.
Bericht: Freisinnige wollen das Baselbiet "fundamental reformieren"
4. Dezember 2015
"Kennt die FDP ihre Prinzipien noch?"
Die Analyse von Peter Knechtli stimmt für mich. Wie kann man in einem System wie dem schweizerischen einen Kanton nota bene grundsätzlich, strategisch reformieren und dabei den fortschrittlichen, eher offenen Teil der Bevölkerung fast kategorisch ausschliessen? Aber da ist noch mehr. In einem Dialog zwischen "Head" (Kopf, Ratio) und "Heart" (Herz, Emotion) las ich vor kurzem eine Anekdote von Thomas Jefferson in einem langen Brief. Jefferson war liberal wie kein anderer, realistisch, Gründervater und dritter Präsident der USA.
Er begegnete in Philadelphia einer armen Frau, die ihn um Almosen bat. Seine erste Reaktion war: "Sie sieht wie ein Trunkenbold aus. Ich gebe also nicht mehr als einen halben Dollar [übrigens, für damals noch immer eine beträchtliche Summe], dann kann sie zur Wirtschaft gehen und sich ein Bier kaufen. Es gibt halt immer genug Gründe, nichts oder nicht all zuviel zu geben. Später suchte ich sie doch wieder auf und gab ihr das, was ich schon direkt hätte geben wollen. Und Achtung: Was die Frau als Erstes tat, war das Geld zu gebrauchen, um ihr Kind in die Schule zu plazieren".
Das Herz überlistete in zweiter Instanz den Verstand, und die Frau wollte wie alle anderen auch nur eine Zukunft für ihren Spross. Kombination von beiden – Kopf und Herz – führt zum Neudenken, zur Innovation.
Es sieht danach aus, dass die Baselbieter FDP kein Herz mehr hat (erste Reaktion) und zudem keinen Kopf (Korrektiv bleibt aus). Sie sollte sich fragen: Kennen wir die ursprünglichen Prinzipien des Freisinns noch? Gab es neben Freiheit nicht auch noch Gleichheit und Brüderlichkeit (Solidarität) für alle? Zugegeben, es brauchte in der Geschichte noch eine weitere Bewegung, um die beiden letzten Prinzipien stärker zu betonen, aber auch der Liberalismus hatte alle drei inne.
Mit Bevorteilen gewisser Segmente der Bevölkerung und Sektoren der Gesellschaft wird es in Baselland nie gelingen. Mit Ausschlachten und Schwächen des Staates ist niemandem gedient. Zwei staatstragende Bewegungen in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft sind sichtbar, mit im besten Fall einem sozial-christlichen Dritten im Bunde. Mangelt es einer an gutem Willen bzw. wird eine von diesen ausgeschlossen, kommt bald Sand ins Getriebe. Fehlentwicklungen sind unvermeidlich, sobald Kopf und Herz nicht mehr im Gleichgewicht sind, ja stärker noch: sobald man herzlos und kopflos wirkt.
Peter Toebak, Liestal
"Ziemliche Luftschlösser"
Was derzeit in der Medienmitteilung der FDP Baselland zu lesen ist, sind ziemliche "Luftschlösser". Nicht jeder Kanton ist gleich aufgebaut und gleich ausgerichtet. Die eher zentrale Aufgabenlösung in Basel-Landschaft hat in Sachen Steuerbelastung (Kanton und Gemeinde) z.B. gegenüber Solothurn wesentliche Vorteile.
Setzen wir Kantons- und Gemeindesteuer Waldenburg (effektiv 167%) in Vergleich zu Bottmingen (effektiv 142%), so zahlt der Bottminger nur 15% Steuern weniger als der Waldenburger. In Solothurn zahlt man in Kleinlützel (effektiv 247%) und in Feldbrunnen (effektiv 162%). In der steuergünstigen Gemeinde in Solothurn zahlt man somit 34% weniger Steuern. Vielleicht lösen die Baselbieter ihre Aufgaben doch kostengünstig und effizient. Es sind ja in Basel-Landschaft noch andere Gebietsreformen und Zusammenschlüsse in der normalen Planung enthalten.
Bei "modernster Steuergesetzgebung" sind die Gestaltungsmöglichkeiten im Steuerharmonisierungsgesetz ziemlich eingeschränkt. Vielleich denkt die FDP BL an Experimente wie in Luzern oder Obwalden, aber auch in Schwyz wachsen die Bäume nicht in den Himmel. Was man aber dem Baselbiet zugute halten kann: eine fortschrittliche Familienbesteuerung. Diese führt auch dazu, dass einige wenig verdienende Familienhaushalte keine direkten Steuern zahlen, aber sehr wohl die Mehrwertsteuer entrichten. Bei diesen Haushalten kann die Partei nicht mehr mit dem Slogan locken "Wir senken die Steuern!". Über die Steuerbelastung versuchen einige Parteien ihre Anliegen durchzusetzen.
In den Ideen der FDP BL wird auch zu wenig unterschieden zwischen Sach- und Personalaufwand. Übrigens ist die Reform der Pensionskasse einfach ein Bestandteil des Personalaufwands. Dieser wird sich bei Kanton und Gemeinden beim jetzigen Beitragsprimat (öffentliche Arbeitgeber) nicht gross unterscheiden.
Die Ausgaben in Baselland sind in den Bereichen Gesundheit, Bildung, Soziales und Alter gewachsen. Das wären die Themen, mit denen sich die FDP beschäftigen soll und – falls sie es kann – geeignete Lösungen vorschlagen, die unsere Gesellschaft weiterbringen. Der FDP ist auch zu wünschen, dass sie eine bestimmte Linie einhält – z.B., was sie vor kurzem im Landrat über eine Motion gefordert hat (steuerneutrale Einführung des Krankheitskosten-Selbstbehalts).
Paul Fraefel, Liestal