Wo beginnt und wo endet die Demokratie?
Von PETER KNECHTLI
Mit seinem Ausspruch, der erbitterte Kampf um die Zollfreistrasse an der Landesgrenze in Riehen sei "ein gutes Beispiel für demokratische Kultur", ja ein politischer "Kultur-Kampf" hat Besetzer Martin Vosseler in ein Wespennest gestochen.
Wir haben uns an den skeptischen Reflex gewöhnt, wenn "die Demokratie" in die Waagschale des sachpolitischen Diskurses geworfen wird. Wer mit "Demokratie" argumentiert, beansprucht nicht selten besonders edle Motive, bloss um schiere Eigeninteressen zu kaschieren. Denn das Demokratie-Verständnis gibt es nicht.
Im Streit um die Zollfreistrasse zeigt sich dies mit besonderer Deutlichkeit, auch wenn wir Martin Vosseler uneingeschränkt gemeinnützige Absicht attestieren: Was die einen als beispielhafte Demokratie-Lektion preisen, empfinden andere, die genauso auf demokratischen Anspruch pochen, als pure Zwängerei.
Indes fällt auf der links-grünen Seite, in früheren Jahrzehnten mehr an den sozialistischen Theorien als an der pragmatischen Praxis orientiert, das heutige Theorie-Defizit auf. Wo ist das Argumentarium nachzulesen, das die Verhinderung eines rechtskräftigen Bauprojekts auf der Basis eines Staatsvertrags demokratisch legitimiert? Wer erklärt den Bürgerinnen und Bürgern die Logik eines sich selbst entwertenden Staatsvertrags? Und wo liegt die Zäsur, wo Widerstand demokratische Pflicht wird. Auch wenn die Zerstörung einer Landschafts-Idylle nicht in Worten und Werten gemessen werden kann wie eine potenzielle radioaktive Bedrohung - hier ist es im Lager der Umweltschützer auffällig ruhig, geradezu schon unheimlich still.
Doch nicht nur die Strassengegner sind in der Klemme. Auch die Befürworter haben ein Problem: Wie sollen sie den Bürgerinnen und Bürgern plausibel machen, dass Demokratie letztlich auch darin besteht, ein Dummheit zu begehen, nur weil sie formell korrekt beschlossen wurde. Denn darüber besteht kein Zweifel: Das Projekt aus den siebziger Jahren erhielte heute in dieser Form nie und nimmer das behördliche Plazet.
Der Aufstand von Kaiseraugst war in gewissem Sinn eine Parallele: Er brachte ein Projekt zum Stillstand, das über eine rechtskräftige Bewilligung verfügte. Und weder hat die Demokratie schweizerischer Prägung irgend einen Schaden genommen noch liesse sich heute behaupten, der Verzicht auf das Atomkraftwerk habe in der Region Basel traumatische Folgen hinterlassen.
Tatsache ist: Die Zollfreistrasse wäre nicht der Weltuntergang, sie brächte in beschränktem Mass eine örtliche Entlastung. Aber die Strasse hat, das lässt sich nicht wegdiskutieren, andernorts ihren Preis und sie belastet bisher kaum berührte Gebiete. Letztlich ein Nullsummenspiel. Dass inoffiziell eine Mehrheit der sieben Basler Regierungsräte das Projekt für einen Anachronismus hält, spricht für sich.
In diesem realpolitischen Ernstfall ist von grenzüberschreitender Verständigung oder gar Regio-Solidarität nicht mehr viel zu spüren. Deutschland kann bürokratisch korrekt auf Vertrags-Erfüllung beharren. Und den gewählten Lokalpolitikern sind die Wählerinnen und Wähler näher als Riehemer Ufergehölz. Auf schweizerischer Seite kann höchstens eine aktuelle Pulsmessung noch an der verfahrenen Lage etwas ändern: Wenn eine Massenmobilisierung gelingt, die dokumentiert, dass Volksherrschaft auch jenseits eines angejahrten Staatsvertrags lebt. Gelingt die Mobilisierung nicht, muss vollstreckt werden, was dereinst wohl als "realpolitischer Zwang" bedauert werden wird.
16. April 2004