"Die Basler Universität ist allein der Bevölkerung verpflichtet"
Michael Gemperle (31), Assistent am Institut für Soziologie, kontert auf das OnlineReports-Interview mit Universitätsrats-Präsident Rolf Soiron
Mit der angekündigten "Portfolio-Bereinigung" möchte der Universitätsrat den massivsten Bildungs- und Sozialabbau der Geschichte der Universität Basel in die Wege leiten. Er schreckt dabei nicht davor zurück, wichtige Voraussetzungen für hoch stehende universitäre Bildung und innovative Forschung anzugreifen: Die über mehrere Jahrzehnte entstandene Fächervielfalt und die existenzsichernden Löhne der Universitätsangestellten. Der Angriff gehört zum bereits seit Jahren betriebenen neoliberalen Umbau der Basler Universität, dieser soll nun aber intensiviert werden. Das vorgelegte Restrukturierungspaket stellt erst den Anfang weiterer Kürzungen dar, es muss daher grundsätzlich bekämpft werden. Einmal mehr zeigt sich, dass die Politik des Universitätsrats den Interessen der Mehrheit der Universitätsangehörigen widerspricht.
Der "Portfolio-Bereinigungs"-Plan der Universitätsleitung sieht vor, dass kleine "wirtschaftsferne" Fächer dem Sparstift zum Opfer fallen. Zugleich sollen eher anwendungsorientierte und "rentable" Fachbereiche gestärkt werden und die bisher stark unterdotierten Fächer der "Gesellschaftswissenschaften", die relativ kostengünstig viele Studierende "abzufertigen" vermögen, aufgestockt werden. Damit wird deutlich, worauf die Politik der Universitätsleitung abzielt: Es geht ihr darum, die Universität zu einem Unternehmen mit rentablem "Kerngeschäft" umzugestalten, das Studierende gemäss den Anforderungen von Grosskonzernen ausbildet. Damit avancieren an der Universität Basel das öffentliche Gut Bildung und die Studierenden endgültig zur Ware.
Fächer ohne grosse Lobby im Visier
Am Vorgehen des Universitätsrates fällt auf, dass die Begründung für die einzelnen Kürzungen bemerkenswert willkürlich ausfällt. Anstelle der vorgeschlagenen Fächer hätten ebenso gut andere, gleichermassen "kleine" und "wirtschaftsferne" Fächer zur Streichung empfohlen werden können. Er entschied sich diesmal aber gegen jene, die in Basel über keine grosse Lobby verfügen; schliesslich wollte er bei diesem ersten Angriff auf das Angebot der Universität nicht allzu viel Porzellan zerschlagen. Bei der nächsten Restrukturierung könnten sehr wohl auch die anderen Fächer betroffen sein. Und dass der nächste "Portfolio-Bereinigungs"-Plan schon in den Schubladen des Universitätsrats bereit liegt, ist zu befürchten, da Herr Soiron keine zehn Tage nach Bekanntgabe des Pakets schon davon spricht, dass es zuviele Medizin-Professuren gäbe.
Es sticht ebenfalls hervor, dass die Universitätsleitung sich nicht mit anderen Universitäten abgesprochen hat. Auch dies ist kein Zufall, denn im Vordergrund steht die Umstrukturierung des Studienangebots entsprechend den Anforderungen des (Wirtschafts-)"Standorts Basel". Die Bedürfnisse der Universitätsangehörigen und der lokalen Bevölkerung sind ihnen gegenüber zu belanglos, um Berücksichtigung zu finden. Weiter ist für die autokratische Politik des Universitätsrates kennzeichnend, wie unverfroren er seine Pläne bekannt gibt und umsetzen möchte. Sie erinnert an die Methoden von Grosskonzernen, was genauso wenig zufällig ist, da Herr Sorion – wie er an der Medienorientierung vom 22. Januar selber zugab – die Universität Basel wie ein Unternehmen "führen" möchte.
Die Brutalität, mit welcher die Restrukturierung vollzogen werden soll, zeigt indes sehr deutlich, wie gewichtig die Interessen sind, die hinter der angekündigten Restrukturierung stehen. Die Aussage von Herrn Soiron, der Universitätsrat stünde unter Druck, trifft nämlich zu: Die chemische Industrie drängt auf diese Umstrukturierung, von der sie sich eine Anpassung an ihre Ansprüche erhofft. Jene ist es, die davon profitiert, wenn anstelle der grundlagenorientierten Fächer ein ETH-Institut für Systembiologie eingerichtet wird und die "Gesellschaftswissenschaften" gestärkt werden, von denen das "Management" des aktuellen sozialen Wandels – der auch Unkontrolliertes beinhaltet – erwartet wird. Dass die Veröffentlichung des Abbauplans von der Handelskammer beider Basel förmlich bejubelt wurde, mag da kaum erstaunen.
Einseitige Ausrichtung auf Grosskonzerne inakzeptabel
Eine einseitige Ausrichtung der Universität auf die Anforderungen von Grosskonzernen ist jedoch nicht akzeptabel. Denn die Universität gehört der Bevölkerung und soll Wissenschaften betreiben, welche dazu beitragen, dass die Bedürfnisse der Bevölkerung besser befriedigt werden können. Wir haben ausreichend gesellschaftliche Probleme, die dringend gelöst werden müssen (das Zusammenleben mit zugewanderten MitbürgerInnen, die Bekämpfung des HIV-Virus, der Abbau faktischer Rechtsungleichheit, die Umverteilung von Reichtum, neue Familien-Modelle etc.). Ihnen sollte sich die Wissenschaft unabhängig von der Rentabilität ihrer Forschung annehmen können.
Die protestierenden Universitätsangehörigen reagierten auf den massiven Angriff auf ihre Errungenschaften bisher klug und lehnten die vorgeschlagene Restrukturierung von Grund auf ab. Diese Zurückweisung ist alles andere als "undifferenziert", wie dies Herr Soiron im OnlineReports-Interview behauptete, sondern grundsätzlicher Art. Die Universitätsangehörigen haben damit viel Sachverstand bewiesen und sich nicht gegeneinander ausspielen lassen, sondern sich zwischen Nicht-Betroffenen und Betroffenen solidarisiert und gruppierungsübergreifend organisiert. Mit der Philosophisch-Historischen Fakultät stellt sich nun sogar die grösste Fakultät der Universität den Abbauplänen entgegen. Seit der friedlichen und kraftvollen Demonstration vom letzten Donnerstag, die gerade von vielen Aussenstehenden begrüsst wurde, besitzt das Zurückweisen der "Portfolio-Bereinigung" daneben einen starken Rückhalt in der Bevölkerung beider Basel. Und der Widerstand wird weiter wachsen, je mehr die Universitätsangehörigen sich der Bedeutung des Kürzungs- und Umschichtungsplans bewusst werden.
In vielen Fächern prekäre Betreuungsverhältnisse
Der Universitätsrat macht die politischen Behörden für die gespannte Finanzlage verantwortlich, obwohl er sie mitzuverantworten hat und durch die selbstauferlegten Sparpakete selbst verschärfte. Seit Jahrzehnten ist das tertiäre Bildungswesen unterfinanziert, allein in den neunziger Jahren wurden im schweizerischen Schnitt an Universitäten die Ausgaben pro Studentin und Student um mehr als 27 Prozent gekürzt. Mit der Reorganisation der Studiengänge gemäss der "Bologna"-Gegenreform, für welche gemäss Schweizerischer Hochschulrektorenkonferenz allein an der Universität Basel laufende Mehrkosten von 38 Millionen Franken erforderlich wären, wurde und wird diese Situation erneut verschärft. Kein Wunder, bestehen heute in vielen Fächern prekäre Betreuungsverhältnisse, eine starke soziale Selektion, viele unbesetzte Lehrstühle, eine hohe Abbrecherquote.
Doch woher sollen die Mittel einer alternativen Finanzierung des bestehenden oder eines ausgebauten Angebots der Universität Basel genommen werden? Bekannt ist, dass der gesellschaftliche Reichtum in unserer Gesellschaft noch nie so gross war wie heute: Das Bruttoinlandprodukt ist in den letzten beiden Jahrzehnten um mehr als 40 Prozent gestiegen. Von diesem Mehrwert haben die Universitäten jedoch wenig gesehen, nicht zuletzt, weil gerade in diesem Zeitraum kontinuierlich Steuersenkungen vorgenommen wurden. Vor allem die Unternehmenssteuern, die heute in der Schweiz europaweit am niedrigsten sind, wurden markant gesenkt. Dem Kanton Basel Stadt sind durch Steuerreduktionen nur schon in den letzten zehn Jahren Mittel in der Höhe von insgesamt fast 300 Millionen Franken jährlich entzogen worden. Darin enthalten sind die Steuereinbussen von rund 100 Millionen Franken, die letztes Jahr beschlossen wurden. Wenn die Universität als Service public nachhaltig finanziert werden soll, dann müssen dieser Prozess rückgängig gemacht werden und Reiche und Unternehmen wieder höher besteuert werden.
Bildungs-Promille für Umsatz-Milliardäre
Ein weiterer Vorschlag bestünde darin, – analog zum Kultur-Prozent der Migros – eine Bildungs-Promille einzuführen, die all jene Unternehmen an das öffentliche Bildungssystem abzuliefern hätten, deren Umsatz eine Milliarde Franken übersteigt. Mit einer solchen Steuer könnten die dem Universitätsrat fehlenden 30 Millionen nur schon durch den Betrag der Novartis AG abgedeckt werden. Ein Universitätsrat, der tatsächlich um das Wohl der Universität besorgt ist, müsste versuchen, solche Massnahmen zur Verbesserung der Mittellage vorzuschlagen; Massnahmen, die mit den drei im Universitätsrat sitzenden Regierungsräten obendrein hohe Realisierungschancen besitzen. Herr Soiron könnte dann sein im Interview fiktiv heraufbeschworenes Damoklesschwert "Grounding" wieder zurücklegen.
Statt solche Initiativen zu ergreifen, lässt der Universitätsrat die Universitätsangehörigen, zu deren Wohl er handeln sollte, im Regen stehen. Mit diesem Vorgehen zeigt er abermals, dass er nicht qualifiziert ist, die Universität im Interesse ihrer Angehörigen zu leiten. Das ist kein Wunder, da das Gremium jeglicher demokratischen Legitimation entbehrt und deshalb abgeschafft werden muss. Wie der auf der Demonstration von Tausenden skandierte Slogan "Weg mit dem Unirat!" eindrücklich unterstreicht, wird seine Existenz heute von einem Grossteil der Universitätsangehörigen nicht mehr geduldet. Ein Rücktritt von Herrn Soiron und anderen Universitätsratsmitgliedern ist nicht die Lösung für das Problem, aber unter Umständen ein viel versprechender Anfang. Die Universität ist allein der Bevölkerung gegenüber verpflichtet und nicht – über Universitätsratsmitglieder, die unzählige Verwaltungsratsmandate bei Grosskonzernen innehaben – der Industrie. Dies haben viele Universitätsangehörige erkannt und kämpfen mit ihrem Widerstand gegen den Bildungs- und Sozialabbau auch für eine grössere inner- und ausseruniversitäre demokratische Kontrolle des Geschehens an der Universität Basel.
10. Februar 2004
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